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Wie kann der Engpass ersetzt werden?: Lieferengpass bei Tamoxifen 20 mg

Etwa 120.000 bis 130.000 Patienten sind vom Tamoxifen-Engpass betroffen. | Bild: Pixel-Shot / AdobeStock

„Seit Januar 2022 besteht bei Produkten mehrerer Hersteller/Vertreiber von Tamoxifen nahezu vollumfänglich ein Lieferengpass“, erklärt die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO) auf ihrer Website. 

Das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hatte die Fachkreise über einen Lieferengpass bei Tamoxifen bereits zuvor informiert. Aktuell betroffen sein sollen circa 85 Prozent des Tamoxifen-Marktes. Jedoch manifestiere sich der Engpass bislang vor allem in der 20-mg-Dosierung. 

Zur Erinnerung: Wann wird Tamoxifen eingesetzt?

Tamoxifen ist ein sogenannter Selektiver-Estrogen-Rezeptor-Modulator (SERM) und wird in der Therapie von Brustkrebs (Mammakarzinom) eingesetzt. So hemmt Tamoxifen im Brustgewebe die Wirkung von Östrogen (antagonistische Wirkung), während es in der Gebärmutter, den Knochen oder im Lipidstoffwechsel agonistisch wirkt.

Tamoxifen wirkt gezielt an den Andockstellen weiblicher Geschlechtshormone und kann so das Wachstum hormonabhängiger Tumore hemmen. Im Vergleich zu anderen Wirkstoffen zur Krebsbehandlung hat Tamoxifen ein übersichtliches Nebenwirkungspotenzial. 

Neben der Therapie hormonabhängiger Tumore, kann Tamoxifen auch unterstützend nach einer Primärbehandlung von Mammakarzinomen eingesetzt werden oder aber bei Brustkrebs, der bereits Tochtergeschwülste (Metastasen) gebildet hat.

20-mg-Dosis teilweise ersetzbar

Dieser Lieferengpass muss noch nicht zwangsläufig einen Versorgungsengpass bedeuten. So kann der selektive Östrogen-Modulator bei Patienten mit Hormonrezeptor-positivem Mammakarzinom in der 10-mg-Dosierung offenbar noch ausgeliefert werden. 

Zudem heißt es, dass in einigen Indikationen Tamoxifen temporär durch andere Formen der endokrinen Therapie ersetzt werden kann, wenn keine Kontraindikationen vorliegen. Allerdings ist ein solcher Ersatz mit einer höheren Nebenwirkungsrate belastet.

Über 100.000 Patienten betroffen

Auch wenn Patienten also bislang noch versorgt werden können, fordert die DGHO: „Es müssen kurzfristig alle erforderlichen Maßnahmen getroffen werden, um den Lieferengpass bei Tamoxifen zu beenden und einen Versorgungsengpass zu verhindern. Die Zahl der betroffenen Patienten ist hoch.“ Sie wird auf 120.000 bis 130.000 Patienten geschätzt.

Warum kam es zum Tamoxifen-Engpass?

Nach Angaben des Verbandes Pro Generika haben einige Tamoxifen-Zulieferer ihre Produktion eingestellt, weil diese für sie nicht mehr wirtschaftlich war. Und offenbar war die Suche nach einem Ersatz bislang nicht erfolgreich. Tatsächlich soll eine solche Suche laut Pro Generika „aufgrund hoher regulatorischer Anforderungen Monate bis Jahre in Anspruch“ nehmen. Zudem sollen sich aufgrund von jahrelangem Kostendruck immer weniger Zulieferer an der Produktion von Tamoxifen-Präparaten beteiligen. Die Auswahl bei der Suche nach einem Ersatz ist also nicht groß.

„Der Fall Tamoxifen illustriert sehr deutlich, wo das strukturelle Problem bei unserer Grundversorgung liegt. So liegt der Preis, den die Arzneimittelhersteller von den Krankenkassen für eine 100er-Packung Tamoxifen erhalten, bei 8,80 Euro. Zu diesem Preis ist eine wirtschaftliche Produktion ohne Verluste kaum mehr möglich und eine resiliente Lieferkette schon gar nicht“, wird Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika zitiert. 

In den vergangenen Jahren hätten sich Hersteller wie Zulieferer aus dem Markt zurückgezogen. Hinsichtlich einer langfristigen Lösung meint Bretthauer: „Bei lebenswichtigen Arzneimitteln, für deren Produktion es bloß noch eine Handvoll Unternehmen und Zulieferer gibt, müssen Preisdrücker wie Preismoratorium, Festbeträge und Rabattverträge rechtzeitig ausgesetzt werden. Und das so lange, bis sich wieder mehr Unternehmen an der Versorgung beteiligen.“ In Großbritannien soll dieses Vorgehen bereits üblich sein.

Wie die DGHO erklärt, kann eine weitere mögliche Erklärung ein Anstieg an Verschreibungen seit dem ersten Quartal 2020 sein – „im zeitlichen Zusammenhang mit den Lockdown-Maßnahmen aufgrund der COVID-19-Pandemie in Kombination mit einer geringen Flexibilität in den Herstellungsprozessen“.

Wie wird der Engpass aufgefangen?

Wie Pro Generika erklärt, könnte der Engpass – sollte eine kurzfristige Produktion gelingen – dennoch schon in einigen Wochen zum Teil behoben sein. Die Lieferengpassliste des BfArM stimmt allerdings weniger optimistisch. Für „Tamoxifen 30 mg Hexal“ wird der Beginn des Engpasses beispielsweise erst mit März 2022 angegeben – das Ende mit 29. Dezember 2022. Aliud Pharma will beispielsweise seinen bestehenden Lieferengpass laut Liste für „Tamoxifen Al 20“ Ende August beenden können. Der Engpass für „Tamoxifen 20 Heumann“ soll hingegen schon im März beendet werden. Er soll bereits im Oktober 2021 begonnen haben.

Außerdem heißt es, dass sich das BfArM in einem intensiven Austausch mit allen involvierten Akteuren auf nationaler und europäischer Ebene befinde. Maßnahmen zur Kompensation des Engpasses sollen sich bereits in Abstimmung befinden. An dieser sollen neben der pharmazeutischen Industrie auch das Bundesministerium für Gesundheit und die Aufsichtsbehörden der Bundesländer beteiligt sein. 

Die nun von den Fachgesellschaften veröffentlichte Stellungnahme bietet einen Überblick, in welchen Indikationen Tamoxifen in welchen Dosierungen eingesetzt wird (z. B. auch bei Prostatakarzinom) – und gibt Empfehlungen „zu einem möglichen, temporären Ersatz von Tamoxifen“.