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Wegen Krieg in der Ukraine: AMK und BfS warnen vor Jod­prophylaxe in Eigenregie

Jodid-Tabletten werden in Polen derzeit stark nachgefragt. Dieses Phänomen zeigt sich zunehmend auch in Deutschland. AMK und BfS warnen die deutsche Bevölkerung daher nun vor der Einnahme in Eigenregie.| Bild: Seeliger / imago

Die AMK (Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker) rät dringend von einer eigenmächtigen Jodblockade ab. „Eine Selbstmedikation birgt erhebliche gesundheitliche Risiken, hat aktuell aber keinerlei Nutzen“, erklärt die AMK. Derzeit gebe es in Deutschland keine rationale Begründung für die Einnahme hochdosierter Jodidpräparate aufgrund der Situation in der Ukraine, da keine Belastung durch radioaktives Jod gegeben sei, betont die AMK

Hintergrund: Krieg in der Ukraine

Russlands Präsident Wladimir Putin hatte am 27. Februar seine Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft versetzt. Zudem schüren Kampfhandlungen in der Ukraine, die Lager für radioaktive Abfälle in Kyjiw und Charkiw betreffen, sowie die Besetzung der Sperrzone um den verunglückten Reaktor in Tschernobyl durch russische Truppen die Angst vor nuklearen Folgen – wohl auch bereits in Deutschland.

BfS gibt aktuell Entwarnung

Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) geht jedoch davon aus, dass radiologische Auswirkungen auf Deutschland nach dem Stand der verfügbaren Informationen nicht zu befürchten seien, erklärte das BfS am Sonntag. Man beobachte jedoch die Situation in der Ukraine aufmerksam.

Dennoch kocht das Thema um eine prophylaktische Jodideinnahme, um sich vor der Aufnahme radioaktiven Jods zu schützen, derzeit hoch, sodass sich neben der AMK auch Wissenschaftler bemüßigt sehen, Stellung zu beziehen. Auch das BfS versucht zu verdeutlichen, für wen und wann eine Jodblockade sinnvoll ist und was auch ihre Grenzen sind.

Jodid statt radioaktives Jod

Bei Unfällen oder Angriffen auf Kernkraftwerke sowie durch Detonation von Nuklearwaffen werden radioaktive Stoffe freigesetzt – auch Jod 131, das sodann über die Luftwege oder Nahrung und Getränke aufgenommen werden kann. 

Radioaktives Jod hat die gleichen chemischen und biologischen Eigenschaften wie auch normales Nahrungsjod, weswegen es in gleicher Weise in der Schilddrüse gespeichert wird und Schilddrüsenkrebs verursachen kann. Kurzum: Die Schilddrüse unterscheidet nicht zwischen Nahrungsjod und radioaktivem Jod. 

Zur Erinnerung: Jod und Jodid

Jod (im chemischen Kontext auch Iod geschrieben) liegt im elementaren Zustand als I2-Molekül vor. Bei Zimmertemperatur ist Jod ein grau bis blauvioletter Feststoff, der jedoch vedampft (sublimiert). Die Dämpfe sind haut- und schleimhautreizend.

Elementares Jod wird z. B. zur Desinfektion von Wunden eingesetzt, da es sowohl bakterizid als auch fungizid wirkt. Über die Nahrung bzw. entsprechende Präparate wird Jod meist als Jodid-Ionen (I-) in Form von Salzen (z. B. Kaliumjodid) aufgenommen. 

Jodmangelprophylaxe vs. Jodblockade

Eine hochdosierte aktive Jodideinnahme bei nuklearen Zwischenfällen soll die Schilddrüse mit Jod sättigen, sodass diese kein radioaktives Jod mehr speichern kann. Für eine solche Jodblockade sind enorme Mengen an Jodid vonnöten.

Während man für eine Jodmangelprophylaxe Präparate im Mikrogrammbereich anwendet (z. B. Jodid Hexal 100 µg bzw. 200 µg), erfordert eine Jodblockade die bis zu tausendfache Menge, wobei nach Alter dosiert wird: In der Regel nehmen 13- bis 45-Jährige einmalig 130 mg Kaliumjodid, was 100 mg Jodid entspricht.

Vor allem Kinder und Schwangere, aber nicht für ab 45-Jährige

Besonders wichtig, sollte eine Jodblockade erforderlich werden, ist, dass Kinder und Schwangere Jodid einnehmen, da die Schilddrüse bei Kindern besonders empfindlich sei, erklärt das BfS. Bei Schwangeren soll durch die Jodblockade vornehmlich das ungeborene Baby geschützt werden, das auf die mütterliche Jodzufuhr angewiesen ist. 

Hingegen rät das BfS von einer Jodprophylaxe bei ab 45-Jährigen ab. Bei ihnen überwögen die Nebenwirkungen der Hochdosistherapie den Nutzen der Jodblockade mit der Intention, Schilddrüsenkrebs zu vermeiden.

Nur nach Aufforderung der Katastrophenschutzbehörde

Allerdings sollten Jodid-Tabletten in dieser Menge „nur nach ausdrücklicher Aufforderung durch die Katastrophenschutzbehörden eingenommen werden“, erklärt das Bundesamt für Strahlenschutz und weist darauf hin, dass hochdosiertes Jodid Nebenwirkungen mit sich bringt. 

Deswegen rät das BfS, wie auch die AMK, von der „Eigenanwendung dringend“ ab. Auch betont das BfS, dass im Fall einer erforderlichen Jodblockade sodann eine einmalige Applikation genügt. Weiteres Jodid sollte nur auf Empfehlung der Strahlenschutzbehörde eingenommen werden.

Der richtige Zeitpunkt

Dass eine hochdosierte Jodprophylaxe nur auf ausdrückliches Kommando der zuständigen Katastrophenschutzbehörden erfolgen sollte, begründet sich darin, dass sowohl eine zu frühe wie auch zu späte Anwendung den maximalen Nutzen verfehlt. 

Bei zu früher Einnahme könne nicht radioaktives Jod schon wieder abgebaut sein, wenn radioaktives Jod aufgenommen werde, warnt das BfS. Bei verspäteter Einnahme hingegen war das radioaktive Jod schneller und hat sich bereits in der Schilddrüse eingelagert, was ebenfalls den Jodschutz beschränkt.

Entfernung, Windverhältnisse und freigesetzte Menge

Ob die Katastrophenschutzbehörden nach nuklearen Zwischenfällen dazu auffordern, prophylaktisch Jodid einzunehmen, hängt davon ab, ob ein Risiko für die Bewohner besteht und ob radioaktives Jod über die Luft in die Region kommen kann. Das wiederum werde beeinflusst davon, „wie viel radioaktives Jod freigesetzt wird, wie weit der Unfallort entfernt liegt und wie die Wind- und Wetterverhältnisse sind“, erklärt das BfS.

Radioaktives Jod ist nicht das einzige Problem

Bei nuklearen Unfällen ist radioaktives Jod nicht das alleinige Problem. So twitterte Professor Martin Smollich (Institut für Ernährungsmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein und Betreiber von Ernährungsmedizin.blog) am gestrigen Dienstag (1. März 2022): „Die Jodblockade schützt ausschließlich vor der Aufnahme von radioaktivem Jod in die Schilddrüse. Vor allen (!) übrigen Schäden einer Kernwaffenexplosion (Druckwelle, Licht-/Wärme-/ionisierende Strahlung, Fallout, EMP) schützen Jodtabletten NICHT.“ Und weiter: „Damit ist klar: Die Schilddrüsenschädigung durch radioaktives Jod macht nur einen minimalen Bruchteil der Gesundheitsschäden einer Kernwaffenexplosion aus.“

Nach Angaben der AMK haben die für den Katastrophenschutz zuständigen Behörden 189,5 Millionen hochdosierte Kaliumjodidtabletten bevorratet, die bei Bedarf und nach Aufforderung der Behörden an die Bevölkerung ausgegeben werden sollen.