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Warnung vor Nebenwirkungen: Neuer TikTok-Trend: Semaglutid zum Abnehmen?

Frau setzt Insulinpen an Bauchfalte
Ozempic sollte nicht ohne ärztliche Verordnung etwa zum Abnehmen verwendet werden. | Bild: 6okean / AdobeStock

Die Versorgungssituation mit dem GLP‑1-Rezeptoragonisten Semaglutid (Ozempic®) ist derzeit angespannt. Als Grund werden „zeitweilige Lieferverzögerungen durch eine stärker als erwartet gestiegene Nachfrage“ angegeben. Bereits im März hatte es auch bei Dulaglutid (Trulicity®) einen Lieferabriss gegeben. Auch hier wurde als Grund eine erhöhte Nachfrage angegeben.

Denn die Inkretin-Mimetika schützen – neben der Stimulation der Insulin-Sekretion – in Studien Patienten mit Typ-2-Diabetes vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen und teilweise auch vor Nierenschäden. Die Substanzklasse erweist sich also als vielversprechend in der Mono- und Kombinationstherapie des Typ-2-Diabetes mellitus, auch weil beispielsweise zum Teil nur eine einmal wöchentliche Gabe nötig ist.

Neuen Aufwind erfuhr die Wirkstoffgruppe dann 2021: Denn Inkretin-Analoga sind zunehmend in den Fokus einer Gewichtsabnahme gerückt, obwohl sie ursprünglich zur Behandlung von Menschen mit Typ-2-Diabetes entwickelt worden waren. Liraglutid in Saxenda® ist tatsächlich bereits zur Gewichtsregulierung indiziert und auf dem deutschen Markt erhältlich.

Zur Erinnerung: Wie wirken GLP-1-Rezeptoragonisten?

Als Analogon zum humanen Glucagon-like-Peptide (GLP-1) übernehmen Semaglutid und Co. die Funktionen von GLP-1 – unter anderem die Regulierung des Appetits und der Nahrungsaufnahme. Semaglutid senkt glucoseabhängig den Blutzuckerspiegel und verlangsamt die Magenentleerung. Durch eine Verringerung des Appetits wird die Energieaufnahme und damit letztlich das Körpergewicht reduziert. Zusätzlich verringert Semaglutid die Vorliebe für fettige Speisen.

Eine anschauliche Erklärung zur Wirkung von Antidiabetika erhalten Sie in unserem Erklärvideo zu Diabetes mellitus Typ 2.

Off-Label-Use von Semaglutid: Zahlreiche Nebenwirkungen möglich

All diese Entwicklungen haben die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) jetzt offenbar dazu veranlasst, unter dem Titel „Mit Diabetesmedikament zum Traumgewicht?“ dazu zu ermahnen, „GLP-1-Rezeptor-Agonisten nicht als Lifestyle-Therapie im Eigengebrauch“ einzunehmen. 

Sie erklärt zwar, dass Semaglutid neben seiner Zulassung gegen Diabetes auch beim Abnehmen helfen kann. „Denn Semaglutid führt auch bei Menschen ohne Diabetes zu einer Gewichtsreduktion von etwa 15 Prozent“, heißt es. Doch das führe dazu, dass der Wirkstoff zunehmend „off-label“ bei Übergewichtigen als Life-Style-Medikament zum Abnehmen eingesetzt werde. Das gefährde nicht nur die Versorgung der eigentlichen Zielgruppe, der Diabetiker, sondern bringe auch die Risiken und Nebenwirkungen des Arzneimittels mit sich.

„Es ist naheliegend, dass sich die Aufmerksamkeit auch der ansonsten gesunden, aber übergewichtigen Normalbevölkerung auf die neuen Wirkstoffe richtet“, sagt Professor Dr. med. Harald J. Schneider, Sprecher der Sektion Angewandte Endokrinologie der DGE. Er nennt in der Mitteilung die USA als Beispiel: 

[In den USA] wird das verschreibungspflichtige Diabetesmedikament Ozempic sehr stark im Off-Label-Use, also ohne Zulassung, zur Gewichtsreduktion verwendet; auch weil viele Prominente wie Elon Musk das stark bewerben. Alleine der Hashtag #Ozempic wurde 350 Millionen Mal in Sozialen Medien geteilt.“

Die unkontrollierte Anwendung ohne Indikation könne aber etwa zu Übelkeit und Erbrechen führen. Auch Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse und Gallenblase könnten die Folge sein. „In Tierversuchen fand man zudem ein potenziell erhöhtes Risiko für bestimmte Schilddrüsenkrebsarten“, sagt Schneider. Zudem wisse man nichts über die Langzeitwirkungen.

„Diese Medikamente sollten nur spezialisierte Ärztinnen und Ärzte verschreiben – und auch nur, wenn die medizinische Notwendigkeit besteht und die Anwendung in der Folge sorgfältig überwacht wird“, fasst Schneider zusammen.

Semaglutid gegen Adipositas zugelassen

Nun ist die Behandlung von Adipositas natürlich nicht nur ein Lifestyle-Problem. Auch Professor Dr. med. Stephan Petersenn von der ENDOC Praxis für Endokrinologie und Andrologie in Hamburg und Pressesprecher der DGE spricht in der Mitteilung von einer Erkrankung. Und tatsächlich wurde die Indikation von Semaglutid mittlerweile auf die Therapie der Adipositas erweitert.

In den USA ist Semaglutid seit Juni 2021 unter dem Handelsnamen Wegovy in erhöhter Dosis (bis zu 2,4 mg einmal wöchentlich als Spritze) zugelassen. Seit Januar 2022 hat Wegovy auch von der EU-Kommission die Zulassung zur Therapie der Adipositas erhalten. „Aufgrund von Lieferengpässen ist es in Europa jedoch derzeit nicht erhältlich“, sagt Schneider. Und auch in den USA gibt es Lieferprobleme. 

In Deutschland ist Semaglutid für Personen mit Diabetes unter dem Handelsnamen Ozempic® in der Dosis 1,0 mg seit dem Jahr 2018 zugelassen und laut DGE bei Tausenden in der Anwendung. Semaglutid zeigt demnach unter den derzeit zugelassenen GLP-1-Rezeptor-Agonisten (Exenatid, Liraglutid, Lixisenatid, Albiglutid, Dulaglutid, Semaglutid) in Bezug auf eine Gewichtsreduktion die höchste Effektivität. Damit wäre eine Verordnung von Semaglutid in Wegovy – wenn es denn erhältlich ist – bei Adipositas also nicht falsch, sofern dies innerhalb der Zulassung geschieht, so die DGE. 

Wegovy wird zusammen mit einer Diät und körperlicher Aktivität angewendet, um Menschen zu helfen, Gewicht zu verlieren und ihr Gewicht unter Kontrolle zu halten. Es wird bei Erwachsenen angewendet, die:

  • einen BMI von 30 kg/m² oder mehr (Fettleibigkeit) haben, oder
  • einen BMI von mindestens 27 kg/m², aber weniger als 30 kg/m² haben (Übergewicht), und die gewichtsbedingte Gesundheitsprobleme haben (z. B. Diabetes, Bluthochdruck, anormale Blutfettwerte, obstruktive Schlafapnoe, oder eine Vorgeschichte mit Herzinfarkt, Schlaganfall oder Blutgefäßproblemen).“
Auszug aus der Fachinformation zu Wegovy®

Auch Petersenn findet, dass die Anwendung nur unter erfahrener ärztlicher Begleitung (z. B. aus den Bereichen der Endokrinologie oder Diabetologie) erfolgen sollte. Damit bleibt der Wirkstoff Semaglutid wohl vielversprechend, der Off-Label-Use von Ozempic® muss dennoch verhindert werden. Bei der Aufklärung darüber können sicherlich auch Apotheken helfen.