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Semaglutid: Hoffnungsträger bei Typ-1-Diabetes und Adipositas?

Adipositas ist auch bei Menschen mit Typ-1-Diabetes (T1D) ein zunehmend relevantes Thema –mit Folgen für Insulinbedarf und kardiometabolisches Risiko.
Bisher war Semaglutid bei T1D nicht etabliert; es wird normalerweise bei Typ-2-Diabetes zur Appetitkontrolle, Insulinfreisetzung und Gewichtsabnahme eingesetzt.
Die aktuelle, in „NEJM Evidence“ veröffentlichte ADJUSTT1D-Studie prüft erstmals systematisch, ob Semaglutid als Ergänzung zu automatisierten Insulinabgabesystemen (AID) sowohl die Blutzuckerkontrolle als auch das Körpergewicht bei adipösen T1D-Patienten verbessert. Ziel ist es, die Wirksamkeit und Sicherheit von Semaglutid in dieser spezifischen Patientengruppe zu beurteilen.
Zur Erinnerung: Was ist Typ-1-Diabetes?
Typ-1-Diabetes ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das körpereigene Immunsystem die insulinproduzierenden Beta-Zellen in der Bauchspeicheldrüse zerstört, was zu einem völligen Fehlen von Insulin führt.
Der häufigste Erkrankungsbeginn liegt meist in der Kindheit oder Jugend, auch wenn der Typ-1-Diabetes noch im Erwachsenenalter auftreten kann.
Die Folge ist ein absoluter Insulinmangel, der unbehandelt zu hohem Blutzucker, Gewichtsverlust und im schlimmsten Fall zur lebensbedrohlichen Ketoazidose führt. Die Therapie besteht aus einer lebenslangen Insulinersatzbehandlung.
Semaglutid unter AID-Therapie geprüft
Die randomisierte Doppelblindstudie dauerte 26 Wochen und umfasste 72 Erwachsene mit Typ-1-Diabetes, BMI ≥ 30 kg/m2 und Nutzung eines automatisierten Insulinabgabesystems (Closed-Loop-Systeme, bestehend aus einer Insulinpumpe und einem Sensor zur kontinuierlichen Glukosemessung).
In einem 1:1-Verhältnis erhielten die Teilnehmenden entweder Semaglutid (bis zu 1 mg/Woche subkutan) oder Placebo zusätzlich zu ihrer AID-Therapie. Primäres Ziel war ein zusammengesetzter Endpunkt: eine verbesserte glykämische Kontrolle, definiert als eine Zeit im Glukosezielbereich (70–180 mg/dl) von mehr als 70 %, kombiniert mit weniger als 4 % Zeit in Hypoglykämie (< 70 mg/dl) und einer gleichzeitigen Gewichtsabnahme von mindestens 5 %.
Diese Kriterien sollten zeigen, ob Semaglutid nicht nur Blutzucker und Gewicht günstig beeinflusst, sondern dabei auch sicher bleibt.
Bei Typ-1-Diabetes: Semaglutid als Add-on wirksam
Die Resultate fielen deutlich aus. In der Semaglutid-Gruppe erreichten 36 % der Teilnehmenden alle drei Kriterien des primären Endpunkts. In der Placebogruppe hingegen gelang dies keiner einzigen Person. Auch bei den einzelnen Parametern zeigten sich Vorteile:
Der HbA1C-Wert sank im Schnitt um 0,3 Prozentpunkte, während die Zeit im Zielbereich der kontinuierlichen Glukosemessung um 8,8 Prozentpunkte zunahm.
Genauso eindrücklich war der Effekt auf das Körpergewicht. Die Teilnehmenden, die Semaglutid erhielten, verloren im Durchschnitt 8,8 kg mehr als jene mit Placebo.
Bei den Sicherheitsparametern zeigte sich kein erhöhtes Risiko: Schwere Hypoglykämien traten in beiden Gruppen vereinzelt auf, eine diabetische Ketoazidose wurde während der Studie nicht beobachtet.
Gut zu wissen: Vergleichbare Forschung zu Semaglutid bei Typ-1-Diabetes
Bereits vor der ADJUST-T1D-Studie hatte Dr. Janet Snell-Bergeon, Professorin für Pädiatrie und Epidemiologie am Barbara Davis Center for Diabetes, in kleinen retrospektiven und Beobachtungsstudien die Anwendung von GLP-1-Rezeptoragonisten bei Typ-1-Diabetes und Adipositas untersucht.
Zum Beispiel zeigte eine retrospektive Auswertung, dass erwachsene Patienten mit Typ-1-Diabetes und Übergewicht oder Adipositas, die off-label Semaglutid erhielten, im Laufe von etwa einem Jahr eine deutliche Gewichtsabnahme (ca. 9 %) sowie eine verbesserte Zeit im Zielbereich ihrer Glukosewerte aufwiesen – im Vergleich zu Kontrollpersonen ohne Semaglutid-Behandlung.
Auch in der ADJUST-T1D-Studie, in der Snell-Bergeon beteiligt war, wurden ähnliche Effekte gefunden – allerdings erstmals im kontrollierten, randomisierten Setting.
Schwächen der ADJUST-T1D-Studie
Trotz der vielversprechenden Ergebnisse hat die Studie einige Schwächen, die bei der Interpretation berücksichtigt werden müssen. Zum einen war die Zahl der Teilnehmenden mit nur 72 relativ klein. Ob sich die Effekte in größeren und heterogeneren Populationen wiederholen lassen, bleibt offen.
Zum anderen war die Studiendauer mit 26 Wochen vergleichsweise kurz, sodass keine Aussagen über die Langzeitsicherheit oder die Nachhaltigkeit der Effekte möglich sind.
Hinzu kommt, dass nur adipöse Erwachsene mit Typ-1-Diabetes und gleichzeitigem Einsatz eines AID-Systems eingeschlossen wurden. Das bedeutet: Auf Jugendliche, normalgewichtige Patienten oder Menschen ohne moderne Diabetes-Technologie sind die Ergebnisse nicht automatisch übertragbar. Damit repräsentiert die Studienpopulation nur einen Teil der Menschen mit Typ-1-Diabetes.
Zudem bleibt die Frage, wie sich der Insulinbedarf über längere Zeit entwickelt und ob es eventuell doch zu einem erhöhten Risiko für Ketoazidosen kommen könnte – ein Aspekt, der in dieser kurzen Studie nicht umfassend erfasst werden konnte.
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft den primären Endpunkt: Er war als zusammengesetztes Maß definiert. Zwar überzeugte das Gesamtergebnis, jedoch bleibt offen, wie wichtig einzelne Parameter jeweils für den Gesamteffekt sind.
„Wir hoffen, dass unsere Studie die Industrie dazu ermutigen wird, eine Zulassungsstudie durchzuführen, sodass dieses Medikament als Ergänzung zur Insulintherapie verfügbar sein könnte, um das Management von Typ-1-Diabetes zu optimieren“, sagt Studienleiter Dr. Viral Shah von der Indiana University School of Medicine in einer Stellungnahme.
Semaglutid bei Typ-1-Diabetes: Weitere Studien nötig
Die ADJUST-T1D-Studie liefert jedoch insgesamt erstmals überzeugende Evidenz, dass Semaglutid bei adipösen Erwachsenen mit Typ-1-Diabetes unter AID-Therapie gleichzeitig die glykämische Zielreichweite verbessert, Hypoglykämie nicht verstärkt und eine deutliche Gewichtsabnahme bewirkt.
Dennoch bleibt die Studie mit ihrer kleinen, spezifischen Kohorte und relativ kurzen Laufzeit erklärungsbedürftig. Für eine klinische Aufnahme wären größere, längere regulatorische Phase-III-Studien nötig, die auch Sicherheitsaspekte und den praktischen Einsatz im Versorgungsalltag genauer beleuchten. Quellenangaben
https://evidence.nejm.org/doi/10.1056/EVIDoa2500173
https://www.aerzteblatt.de/news/rubriken/medizin/semaglutid-wirkt-auch-bei-typ-1-diabetes-undadipositas-
c2578307-18fb-4a80-a848-58c7fbc8c5db
https://clinicaltrials.gov/study/NCT05537233
https://www.reuters.com/business/healthcare-pharmaceuticals/health-rounds-novo-nordiskssemaglutide-
may-help-some-with-type-1-diabetes-2025-06-27/
https://ctv.veeva.com/study/adjunct-semaglutide-treatment-in-type-1-diabetes
https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4914168
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/39745353/
https://flexikon.doccheck.com/de/Diabetes_mellitus_Typ_1