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Thromboserisiko beachten: Wann darf die „Pille“ nicht verordnet werden?

Dunkelhäutige Frau hält Pille in Hand
Kontrazeptiva haben viele Nebenwirkungen. | Bild: Krakenimages.com / AdobeStock

Spätestens seit 2013 sollte das Wissen über das Thromboserisiko von kombinierten hormonalen Kontrazeptiva (KHK) weit verbreitet sein. Damals beschäftigte sich das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gemeinsam mit der europäischen Arzneimittelagentur (erneut) damit. 

Es kam zu dem Schluss, dass bei allen KHK der Nutzen die Risiken zwar überwiegt, jedoch wurde schon früher immer wieder über venöse thromboembolische Ereignisse (VTE) als bekannte, seltene Nebenwirkung von KHK berichtet. „Aus Studien, überwiegend aus den 1990er Jahren“ war bereits bekannt, dass das VTE-Risiko durch die Art des Gestagens beeinflusst wird. 

Zur Erinnerung: Was ist eine Thrombose?

Die Thrombose bezeichnet eine Gefäßerkrankung oder Störung des Kreislaufsystems, bei der ein Blutgefäß durch ein Blutgerinnsel (Thrombus) verstopft wird. In manchen Fällen kann sich dieser Blutpfropf von selbst wieder auflösen. Jedes arterielle oder venöse Blutgefäß kann betroffen sein, am häufigsten sind jedoch Beinvenenthrombosen. Löst sich das Blutgerinnsel von der Gefäßwand und wandert ins Herz, in die Lunge oder ins Gehirn, kann es zu schwerwiegenden oder tödlichen Folgen kommen.

Schulungsmaterial hilft bei Beratung zur Pille

Erst 2014 wurden schließlich gemeinsam mit einem Rote-Hand-Brief zu KHK und deren Risiko von venösen Thromboembolien auch Informationsmaterialien für Patientinnen und Ärzte veröffentlicht. Diese sollten dauerhaft auf der Internetseite des BfArM bereitgestellt werden. 

„Insbesondere bei der Erstverschreibung sollte die Checkliste verwendet sowie die Patientinnenkarte den Anwenderinnen ausgehändigt werden“, hieß es. Erst seit 2016 wird solches behördlich genehmigtes Schulungsmaterial – analog zur roten Hand – mit einer blauen Hand gekennzeichnet. 

In diesem Schulungsmaterial zu KHK wird darauf hingewiesen, dass sich Thrombose-Risikofaktoren der Anwenderinnen über die Zeit ändern können. Zwar richtet sich das Informationsmaterial zunächst vor allem an Patientinnen und Ärzte, doch auch PTA können Stammkundinnen helfen und nochmals an die wichtigsten Punkte erinnern, sollten sich Änderungen bei den Patientinnen ergeben.

Welche Risikofaktoren sind bei der Verordnung der Pille zu beachten?

Die Nutzen-Risiko-Abwägung ist für alle zugelassenen „Pillen“ positiv. Doch erhöhen sie alle das Risiko für eine Thrombose oder venöse Thromboembolie – je nach Wirkstoffkombination mehr oder weniger. 

Insgesamt tritt eine Thrombose auch unter KHK immer noch sehr selten auf. Zum Vergleich: Eine Schwangerschaft erhöht das Risiko am stärksten, schätzungsweise 1–2 Frauen pro 1.000 Schwangerschaften sind betroffen. 

Dennoch ist jeder Einzelfall tragisch. Es lohnt sich also, einen Blick auf die zahlreichen Risikofaktoren zu werfen, die die Gefahr für eine Thrombose erhöhen und beachtet werden müssen. So geht aus der Checkliste für Ärzte hervor, dass KHK beispielsweise nicht geeignet sind bei  

  • sehr hohen Blutfettwerten oder
  • stark erhöhtem Blutdruck,
  • Migräne mit fokalen neurologischen Symptomen,
  • bekannter Blutgerinnungsstörung oder
  • einer Thromboembolie in der Anamnese.

KHK sollten ebenfalls nicht verordnet werden, wenn mehr als ein Risikofaktor von 13 weiteren im Schulungsmaterial aufgeführten vorliegt. Darunter ein  

  • BMI über 30 kg/m2,
  • Alter über 35 Jahre,
  • Rauchen,
  • Migräne oder beispielsweise
  • Diabetes mellitus.

Bei welchen anderen Arzneimitteln und KHK ist Vorsicht geboten?

Ebenso kann auch die Einnahme von Arzneimitteln wie beispielsweise  

  • Glucocorticoiden,
  • Neuroleptika,
  • Antipsychotika,
  • Antidepressiva und
  • Chemotherapeutika

das Thromboserisiko erhöhen. Diese werden in der Regel nicht vom Gynäkologen verordnet, führen aber dazu, dass die hormonelle Kontrazeption kritisch hinterfragt werden sollte. Gleiches gilt auch bei bestimmten Krankheiten, wie zum Beispiel Krebs, systemischem Lupus erythematodes, Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa.

Wann sollte die Einnahme von Kontrazeptiva unterbrochen werden?

Auch wenn sich eine Patientin verletzt hat, operiert werden soll oder eine längere Reise antreten möchte, kann es sein, dass die Apotheke davon eher mitbekommt als der Frauenarzt. Insbesondere bei längerer Immobilisation nach einer Verletzung oder Operation sowie bei Flugreisen ist Vorsicht geboten: Planen Frauen eine Reise mit einer Flugdauer über vier Stunden, sollten sie am besten mit ihrem Arzt geeignete Vorbeugungsmaßnahmen besprechen. 

Ist ein größerer operativer Eingriff geplant, sollten Frauen die Einnahme der Pille mindestens vier Wochen vorher unterbrechen. Die Pille darf frühestens zwei Wochen nach vollständiger Remobilisation wieder angesetzt werden, da das Risiko einer Thrombose besonders zu Beginn der Einnahme am höchsten ist.

Da das Risiko aber auch steigt, wenn die Einnahme für mehr als vier Wochen unterbrochen wurde und dann wieder fortgeführt wird, ist das Absetzen der „Pille“ generell abzuwägen.

Patientinnen für Symptome einer Thrombose sensibilisieren

Die offizielle Patientenkarte der Blaue-Hand-Unterlagen weist nicht nur auf mögliche Risikofaktoren hin, sondern klärt außerdem über mögliche Anzeichen einer Thrombose, einer Lungenembolie, eines Herzanfalls oder Schlaganfalls auf.

Zur Erinnerung: Symptome eine Thrombose

Hellhörig sollte man immer dann werden, wenn einseitig starke Schmerzen oder eine Schwellung am Bein auftritt. Zusätzlich können Druckschmerz, Kribbeln, Erwärmung sowie eine farbliche Änderung, also Blässe, Rot- oder Blaufärbung, auf eine Beinvenenthrombose hindeuten. 

Sind größere Lungengefäße betroffen, kann es zu plötzlicher Atemnot, starken Brustschmerzen beim Einatmen oder gar das Aushusten von Blut kommen (Lungenembolie). Sind Herz- oder Hirngefäße betroffen, drohen Herzinfarkt oder Schlaganfall.

Aus Sicht des BfArM sollte insbesondere für Erstanwenderinnen und Anwenderinnen unter 30 Jahren zur Schwangerschaftsverhütung die Verordnung eines kombinierten hormonalen Kontrazeptivums mit dem geringsten bekannten Risiko für venöse Thromboembolien bevorzugt werden. 

Der Arzt sollte vorzugsweise KHK mit Levonorgestrel wählen, da es nach heutigem Kenntnisstand das niedrigste Risiko für venöse Thromboembolien aufweist. 

Ist Levonorgestrel für alle Frauen geeignet?

Ebenfalls als niedrig bewertet wird das Thrombose-Risiko für die Wirkstoffe Norethisteron oder Norgestimat. Bei KHK mit Levonorgestrel, Norethisteron oder Norgestimat erleiden etwa 5 bis 7 von 10.000 Frauen innerhalb eines Jahres eine venöse Thromboembolie. Hingegen sind nur 2 Frauen von 10.000 ohne hormonelle Verhütung und ohne Vorliegen einer Schwangerschaft davon betroffen. 

Mit der Kombination Dienogest und Ethinylestradiol steigt das Risiko auf etwa 8 bis 11 Frauen, bei der Einnahme von Drospirenon, Gestoden oder Desogestrel sogar auf 9 bis 12 von 10.000 Frauen.

Die androgene Wirkung von Levonorgestrel kann zu Nebenwirkungen wie unerwünschtem Haarwachstum und/oder Akne führen. Leidet eine Frau ohnehin an Androgenisierungserscheinungen (Symptome der Vermännlichung), kommen daher teils bevorzugt Gestagene zum Einsatz, die den Androgenrezeptor kompetitiv hemmen. Hierzu zählen Cyproteronacetat, Dienogest sowie Drospirenon. 

Aus kosmetischen Gründen dürfe jedoch keine Pille verordnet werden, mahnt das BfArM. Schließlich seien Verhütungspräparate Arzneimittel mit ernstzunehmenden Nebenwirkungen und Risiken und keine Lifestyle-Produkte.