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Valproat: Sicher verhüten gilt auch für Männer

Eine Hand hält die Pille für die Frau und die andere ein verpacktest Kondom
Bei Kinderwunsch unter Valproat sollte an eine wirksame Empfängnisverhütung gedacht werden. | Bild: Bigc Studio / AdobeStock

Frauen, die Valproat anwenden, dürfen nicht schwanger werden, denn: Schätzungsweise 30–40 Prozent der Kinder von mit Valproat behandelten Schwangeren weisen Probleme in der frühkindlichen Entwicklung auf – langsames Laufen und Sprechen, intellektuelle Defizite und Schwierigkeiten mit Sprache und Gedächtnis, schreibt die Europäische Arzneimittelagentur EMA. 

Auch schwere Missbildungen des Kindes sind unter Valproat-Einfluss möglich, weswegen eine „Blaue Hand“ nochmals explizit über die Risiken einer Schwangerschaft unter Valproat informiert.

Zur Erinnerung: Wann wird Valproat eingesetzt?

Die Anwendungsgebiete von Valproat sind erheblich eingeschränkt. Grund dafür ist das hohe teratogene Risiko. Durch Einnahme von Valproat-haltigen Arzneimitteln während der Schwangerschaft kann es zu Fehlbildungen, Neuralrohr- und anderen Defekten kommen. Daher müssen Frauen im gebärfähigen Alter unbedingt über die Risiken aufgeklärt werden und auf einen effektiven Konzeptionsschutz achten.

Valproinsäure ist indiziert zur Behandlung bestimmter Epilepsieformen. Der Wirkstoff beeinflusst den inhibierenden Neurotransmitter GABA. Es wird angenommen, dass Valproat die über GABA stattfindende Inhibition verstärkt und/oder die Ionenkanäle postsynaptisch direkt beeinflusst.  

Neben der Behandlung von Epilepsie verordnen Ärzte Valproat in manchen Ländern zudem zur Migräneprophylaxe und bei bipolaren Störungen in der manischen Phase.

Zeugung von Kindern auch risikobehaftet?

Doch wie sieht es mit Männern aus, die Valproat einnehmen? Dürfen sie problemlos Kinder zeugen oder erhöht sich dadurch auch das Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen beim gezeugten Kind? 

Denkbar ist, dass Valproat die Spermien schädigt und so die Entwicklung des Babys beeinflusst. Zweifel an der Sicherheit von Valproat bei der Zeugung von Kindern hegte der für die Risikobewertung für Arzneimittel zuständige Ausschuss bei der EMA – der Pharmakovigilanzausschuss (PRAC) – bereits 2023, nachdem der Zulassungsinhaber die Ergebnisse einer verpflichtenden Unbedenklichkeitsstudie vorgelegt hatte. 

Diese hatte die EMA angeordnet, nachdem Wissenschaftler in einer schwedischen Kohortenstudie„Paternal exposure to antiepileptic drugs and offspring outcomes: a nationwide population-based cohort study in Sweden“ veröffentlicht im „Journal of Neurology, Neurosurgery and Psychiatry“ herausgefunden hatten, dass Kinder, deren Väter an Epilepsie litten und während der Zeugung Valproat angewendet hatten, ein höheres Risiko für Autismus und geistige Behinderung zeigten als Kinder, deren Väter ebenfalls Epileptiker waren, jedoch kein Valproat eingenommen hatten. 

Daraufhin leitete der PRAC am 13. März 2023 eine Überprüfung ein – am 12. Januar 2024 veröffentlichte der Sicherheitsausschuss nun sein Ergebnis.

Unter Valproat-Therapie wirksam verhüten

In der Tat rät der PRAC zu Vorsichtsmaßnahmen auch für männliche Valproat-Patienten. Nur Spezialisten für Epilepsie, biopolare Störungen und Migräne sollten eine Behandlung mit Valproat einleiten. Zudem sollten sie die Therapie auch überwachen und den männlichen Patienten informieren, dass er und seine Partnerin sicher verhüten müssten. 

Insbesondere bei Kinderwunsch gelte es zu überprüfen, ob Valproat tatsächlich das einzige wirksame Arzneimittel für den Patienten ist. Explizit weist der Sicherheitsausschuss auch darauf hin, dass Männer kein Sperma spenden sollten, wenn sie Valproat aktuell anwendeten. Auch nach Absetzen des Arzneimittels muss mindestens drei Monate bis zu einer Samenspende gewartet werden.

Studie deutet auf Entwicklungsstörungen hin

Der PRAC stützt seine Sicherheitsempfehlungen auf die Ergebnisse der unternehmerseits durchgeführten retrospektiven Beobachtungsstudie (Registerdatenbänke aus Dänemark, Norwegen, Schweden) sowie auf nichtklinische Daten, wissenschaftliche Literatur und die Einschätzung klinischer Experten:  

„Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass bei Kindern von Männern, die in den drei Monaten vor der Empfängnis Valproat einnahmen, ein erhöhtes Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen besteht. Neurologische Entwicklungsstörungen sind Entwicklungsprobleme, die in der frühen Kindheit beginnen, wie Autismus-Spektrum-Störungen, geistige Behinderung, Kommunikationsstörungen, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen und Bewegungsstörungen“, erklärt der PRAC. 

Die Männer hatten zum Zeitpunkt der Zeugung entweder Valproat, Lamotrigin oder Levetiracetam eingenommen oder das Arzneimittel weniger als drei Monate vor Zeugung abgesetzt.

Fünf Prozent der Kinder mit Entwicklungsstörungen

Wie häufig kommt es zu Entwicklungsstörungen? Fünf von 100 Kindern zeigten neurologische Entwicklungsstörungen, wenn der Vater Valproat angewendet hatte. Bei Vätern, die Lamotrigin oder Levetiracetam eingenommen hatten, betrafen neurologische Entwicklungsstörungen drei von 100 Kindern. 

Ob ein früheres Absetzen – mehr als drei Monate vor Zeugung – die Rate an neurologischen Entwicklungsstörungen verringert, wurde in der Studie nicht untersucht.

Valproat nicht einfach absetzen

Wichtig ist der Hinweis des PRAC, dass Patienten Valproat nicht eigenmächtig absetzen sollten, da dies die Grunderkrankung – Epilepsie oder bipolar Störung – verschlimmern könne. Bei Epileptikern könnten erneut Anfälle auftreten.

PRAC erklärt Einschränkungen der Studiendaten

Der PRAC informiert, dass er nicht feststellen konnte, ob sich die vermehrten Störungen tatsächlich auf Valproat zurückführen ließen. Denn es gebe Unterschiede in den Erkrankungen, für die die Arzneimittel eingesetzt wurden, und bei den Nachbeobachtungszeiten. Außerdem sei die Studie zu klein gewesen, um definitiv festzustellen, für welche neurologischen Entwicklungsstörungen ein erhöhtes Risiko bestehe, erklärt der PRAC die Einschränkungen der Studie. 

Trotz dieser Unwägbarkeiten erachtete der Sicherheitsausschuss die nun kommunizierten Vorsichtsmaßnahmen für gerechtfertigt.

BfArM warnte bereits letztes Jahr

Noch bevor der PRAC seine abschließende Sicherheitsbewertung abgegeben hat, informierte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bereits 2023 über ein potenziell „erhöhtes Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen bei Kindern …, deren Väter in den drei Monaten vor der Empfängnis Valproat eingenommen haben“, kommunizierte das BfArM damals. 

Auch Frankreich gab die Information trotz der Einschränkungen in der Aussagekraft der Studie direkt an Ärzte und Patienten weiter. Anders die Britische Arzneimittelbehörde (MHRA), die aufgrund der Studienmängel im August 2023 keinen Handlungsbedarf sah.

Die aktuell ausgesprochenen Empfehlungen des PRAC gehen nun an die Koordinierungsgruppe für gegenseitige Anerkennung und dezentralisierte Verfahren – Humanmedizin (CMDh). Dieses Gremium sorgt letztlich für einheitliche Sicherheitsstandards für Arzneimittel in der EU.