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Ab dem 27. Mai: Probiotika sind künftig keine Medizinprodukte mehr

Frau hält weiße Kapseln in der Hand
Neben Probiotika für die Vaginalflora gibt es auch solche Produkte, die zur Anwendung für den Darm geeignet sind. | Bild: Farknot Architect / AdobeStock

Laut der EU-Verordnung 2017/745 vom 5. April 2017 über Medizinprodukte (Medical Device Regulation, MDR) dürfen Probiotika ab dem 27. Mai keine Medizinprodukte mehr sein. Darauf macht der Anbieter von „Vagisan ProbioFlora Milchsäure-Bakterien“, die Dr. August Wolff GmbH & Co. KG, derzeit aufmerksam und wirbt damit, das einzige Produkt auf dem Markt anzubieten, das bereits erfolgreich vom Medizinprodukt zum Arzneimittelstatus gewechselt ist.

Diese Verordnung gilt nicht für andere als die unter den Buchstaben d, f und g genannten Produkte, die aus lebensfähigen biologischen Substanzen oder lebensfähigen Organismen — einschließlich lebender Mikroorganismen, Bakterien, Pilzen oder Viren — bestehen oder solche enthalten, um die Zweckbestimmung des Produkts zu erreichen oder zu unterstützen.

EU-Verordnung 2017/745 vom 5. April 2017 über Medizinprodukte, Artikel 1 Abs. 6 h

Produkte wie „Vagisan ProbioFlora Milchsäure-Bakterien“ zur Aufrechterhaltung der normalen Vaginalflora dürfen laut der Verordnung also keine Medizinprodukte mehr sein.

Andere Probiotika-Anbieter sind im Kontrast dazu erstaunlich still. Wie steht es um ihre Produkte? Verschwinden sie am 27. Mai einfach aus dem Handel?

Zur Erinnerung: Was sind Medizinprodukte?

Bei Medizinprodukten handelt es sich um Produkte mit einer medizinischen Zweckbestimmung, die vom Hersteller für die Anwendung beim Menschen bestimmt sind. Obwohl sich die Anwendung in vielen Fällen ähnelt, gibt es zwischen Arzneimitteln und Medizinprodukten eine klare Abgrenzung. 

Anders als bei Arzneimitteln, die pharmakologisch, immunologisch oder metabolisch wirken, wird die bestimmungsgemäße Hauptwirkung bei Medizinprodukten primär auf physikalischem Weg erreicht.

Medizinprodukte können sein:

  • Hilfsmittel (z. B. Blutzuckermessgeräte)
  • Medizinprodukte mit Arzneicharakter (z. B. NaCl-Nasensprays, Anlage V der Arzneimittel-Richtlinie)
  • Verbandmittel (z. B. Verbandstoffe, Pflaster und auch einige Wundgele, z. B. Draco Wundgel)
  • Teststreifen (z. B. Blutzuckerteststreifen) 

/vk

Probiotika dürfen weiterhin Nahrungsergänzungsmittel sein

Bereits 2017 machte das Unternehmen Diapharm darauf aufmerksam, dass einige Medizinprodukte in der Folge künftig als Arzneimittel auf den Markt kommen könnten. Zwar dürfen auch Nahrungsergänzungsmittel Probiotika enthalten, doch für solche Produkte zu werben, soll kaum möglich sein.

Hinsichtlich der Übergangsregelungen, wie lange Probiotika noch als Medizinprodukte im Handel bleiben dürfen, gab es offenbar einige Unsicherheiten. In Artikel 120 Abs. 2 der MDR heißt es jedoch, dass Bescheinigungen, die von benannten Stellen nach dem 25. Mai 2017 gemäß den Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG ausgestellt wurden, spätestens am 27. Mai 2024 ihre Gültigkeit verlieren.  

Darauf scheint sich nun die Dr. August Wolff GmbH & Co. KG zu berufen: Sie hat am 25. März in einer Pressemitteilung erklärt, dass „Vagisan ProbioFlora Milchsäure-Bakterien“ aktuell das einzige Produkt sei, welches bereits die Umstellung auf den Arzneimittelstatus erfolgreich durchlaufen hat.

Döderlein-Produkte: Noch bis Haltbarkeitsende im Handel

GlaxoSmithKline (GSK) erklärt auf Anfrage der Redaktion, ob auch die „Döderlein“ Vaginalkapseln künftig als Arzneimittel vertrieben werden sollen oder am 27. Mai außer Handel gehen:

„Unsere Produkte erfüllen alle regulatorischen Anforderungen, wir sind uns der Vorgaben der MDR bewusst und berücksichtigen diese. Döderlein-Produkte in ihrer bisherigen Form können noch bis zum Ende ihrer Haltbarkeit vermarktet werden. Wir werden die Apotheken sowie Patientinnen und Patienten zu gegebener Zeit über Änderungen informieren.“

Mail von GSK am 5. April 2024

Warum dürfen die Döderlein-Produkte länger im Handel bleiben, als es die Dr. August Wolff GmbH & Co. KG in ihrer Werbung suggeriert? GSK verweist dazu in einer Mail vom 12. April darauf, dass „mit der Abschaffung der Abverkaufsfrist gemäß Verordnung (EU) 2023/607“ vom 20. März 2023 Döderlein Vaginalkapseln bis an das Ende der Haltbarkeit abverkauft werden könnten. Hinsichtlich der Umstellung des Produkts könne man noch keine Details nennen.

Kijimea: Wie sieht es mit Probiotika für den Darm aus?

Nun gibt es Probiotika nicht nur für die Vaginalflora, bekannt sind vor allem Präparate für den Darm. Dass auch solche Produkte künftig von der neuen Medizinprodukteverordnung betroffen sein werden, darauf machte im November 2020 die Zeitschrift „Gute Pillen – Schlechte Pillen“ aufmerksam.

Die Zeitschrift fragte damals beim Anbieter des Medizinprodukts „Kijimea Reizdarm Pro“ gegen Reizdarm an, „was denn angesichts der neuen Verordnung aus seinem Präparat wird“. Der Anbieter machte daraufhin darauf aufmerksam, dass der enthaltene Bifido-Bakterienstamm hitzeinaktiviert sei und somit im Sinne der MDR nicht mehr „lebensfähig“ und weiterhin als Medizinprodukt verkehrsfähig bleibe.

In der Lauer-Taxe® ist auch „Kijimea Reizdarm“ weiterhin als Medizinprodukt gelistetStand 1. April 2024 . Anders als „Kijimea Reizdarm Pro“ ist in „Kijimea Reizdarm“ ein Bifido-Bakterienstamm enthalten, der nicht hitzeinaktiviert ist. Zahlreiche andere Kijimea-Präparate werden als Nahrungsergänzungsmittel angeboten.

„Kijimea Reizdarm“ wird zum Nahrungsergänzungsmittel

Daher hat sich die Redaktion an die Synformulas GmbH gewandt und gefragt, was denn nun aus „Kijimea Reizdarm“ wird. In ihrer Antwort verweist die Firma vor allem auf „Kijimea Reizdarm Pro“, das eine „Weiterentwicklung“ von „Kijimea Reizdarm“ sei und im vergangenen Jahr nach der neuen Medizinprodukteverordnung rezertifiziert wurde. 

Zur Verkehrsfähigkeit von „Kijimea Reizdarm“ erklärt Synformulas: „Vom Vorgänger Kijimea® Reizdarm sind noch Restbestände im Verkehr. Diese dürfen gemäß Verordnung (EU) 745/2017 Art. 120(4) auch über den 27.05. hinaus verkauft werden.“  

In Verordnung (EU) 745/2017 heißt es im Artikel 120 Absatz 4 in der überarbeiteten Version vom 20. März 2023 wörtlich:

„Produkte, die vor dem 26. Mai 2021 gemäß den Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG rechtmäßig in Verkehr gebracht wurden, und Produkte, die ab dem 26. Mai 2021 gemäß den Absätzen 3, 3a, 3b und 3f in Verkehr gebracht wurden, dürfen weiter auf dem Markt bereitgestellt oder in Betrieb genommen werden.“

Verordnung (EU) 745/2017 Art. 120(4), Stand 20. März 2023 

Auch längerfristig soll „Kijimea Reizdarm“ nicht  vom Markt verschwinden: „Für die Kunden, die weiterhin das Präparat mit lebenden Bakterien des Stammes B. bifidum MIMBb75 wünschen, werden wir Kijimea® als Nahrungsergänzungsmittel anbieten“, erklärt Synformulas.

Unstimmigkeiten bei der Übergangsphase für Probiotika 

Hinsichtlich der Übergangsregelungen, wie lange Probiotika noch als Medizinprodukte im Handel bleiben dürfen, gibt es also offenbar einige Unsicherheiten. Denn: Der Vagisan-Anbieter, Dr. August Wolff GmbH & Co. KG, erklärt in einer Pressemitteilung vom März, dass vaginale Probiotika ab Mai 2024 als Arzneimittel zugelassen sein müssen, um vertrieben werden zu dürfen.

Als sich die Redaktion zur Klärung an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte wandte, ob ab dem 27. Mai 2024 für die Apotheken mit entsprechenden Produktrückrufen oder anderen regulatorischen Maßnahmen zu rechnen ist, verwies dieses an die Überwachungsbehörden der einzelnen Bundesländer.

Vertrieb von Gynophilus-Medizinprodukten wird eingestellt

Daraufhin hat die Redaktion bei der Bezirksregierung Köln, die für die Gynophilus-Medizinprodukte von Viatris zuständig ist, angefragt, ob ab dem 27. Mai für die Apotheken mit entsprechenden Produktrückrufen (von Gynophilus-Medizinprodukten) oder mit anderen regulatorischen Maßnahmen zu rechnen ist.  

Die Mylan Germany GmbH – gehört zur Viatris Group – trete rechtlich gesehen lediglich als Händler in Erscheinung, heißt es. Hersteller von Gynophilus sei die Firma Biose Industrie aus Frankreich. Diese hat gegenüber der Bezirksregierung Köln angegeben, dass „die Gynophilus Medizinprodukte nicht weiter vertrieben“ werden und dass die letzten Chargen vollständig abverkauft wurden: „Die Produkte werden mit Verfall der letzten Charge (30.04.2024) außer Vertrieb gesetzt“, schreibt die Bezirksregierung Köln in einer Mail an die Redaktion vom 17. April.

Eine Vermarktung als Arzneimittel sei nicht geplant, womit auch ausgeschlossen werden könne, „dass Apotheken das in Rede stehende Produkt des im RB Köln ansässigen Händlers künftig an Kunden/Patienten abgeben“.  

Damit bleibt wohl bei jedem einzelnen Probiotikum mit lebensfähigen Mikroorganismen abzuwarten, was wann konkret daraus wird. Eine allgemeingültige Aussage lässt sich derzeit nicht treffen:

„Die allgemeinen Anfragen probiotikahaltige Vaginalia betreffend bitte ich um Verständnis, dass eine schriftliche Einschätzung der Bezirksregierung Köln zum rechtlichen Status der Präparate und dem Umgang mit bereits in Verkehr gebrachten und somit im Markt befindlichen Produkten anderer Hersteller nicht stellvertretend für die ganze Bundesrepublik Deutschland getroffen werden kann.“

Bezirksregierung Köln, E-Mail vom 17. April 2024

Quellen:
- Schweim J. Medizinprodukte neu geordnet. DAZ 2023, Nr.3, S.48, 19.01.2023, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2023/daz-3-2023/medizinprodukte-neu-geordnet
- EU-Verordnung 2017/745 vom 5. April 2017 über Medizinprodukte, eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX%3A32017R0745
- Turowski A. Quo vadis Probiotikum: Zur Zukunft lebender Mikroorganismen in Consumer Healthcare Produkten. Internetauftritt von Diapharm, Stand 04.12.2017, www.diapharm.com/news/quo-vadis-probiotikum-zur-zukunft-lebender-mikroorganismen-in-consumer-healthcare-produkten/
- Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2020. Pflaster für den Darm? Was hinter der Kijimea-Werbung steckt. Stand: 2. November 2020, gutepillen-schlechtepillen.de/pflaster-fuer-den-darm/
- Internetauftritt von Diapharm. Diapharm schafft den Switch zum Arzneimittel. Stand: 08.06.2022, www.diapharm.com/news/probiotische-medizinprodukte-verlieren-markt-zugang-diapharm-schafft-den-switch-zum-arzneimittel/
- Pressemitteilung der Dr. August Wolff GmbH&Co.KG. Neue Regelungen für vaginale Probiotika zur Förderung der Intimgesundheit. Stand: 25.03.2024, www.drwolffgroup.com/neue-regelung-probiotika/
- Suche nach Kijimea-Präparaten in der Lauer-Taxe®, Stand 1. April 2024
- Fachinformation zu Vagisan ProbioFlora Milchsäure-Bakterien, Stand März 2022, www.fachinfo.de/
- Suche nach Alternativpräparaten zu Vagisan ProbioFlora Milchsäure-Bakterien in der Lauer-Taxe®, Stand 1. April 2024
- S2k-Leitlinie Bakterielle Vaginose, Stand: 01.06.2023, gültig bis: 31.05.2027, register.awmf.org/de/leitlinien/detail/015-028