COVID-19-Krankheitsverlauf
Corona-Pandemie
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Fehlgeleitete Immunreaktion: Wie zerstört das Coronavirus die Lunge?

Arzt hält Tablet mit Thorax-Röntgenbild
Bei schweren COVID-19-Verläufen kann bei einigen Patienten Lungenversagen auftreten. Doch was macht das Coronavirus mit der Lunge? | Bild: nito / AdobeStock

Eine schwer verlaufende COVID-19-Erkrankung geht oft mit einer starken Vernarbung des Lungengewebes einher. Womöglich bringt SARS-CoV-2 die Fresszellen des Immunsystems dazu, Vernarbungsprozesse zu befeuern, berichtet ein deutsches Forscherteam um Leif-Erik Sander von der Berliner Charité im Fachmagazin „Cell“.

Das habe letztlich zur Folge, dass die COVID-19-Patienten außergewöhnlich lange unterstützend mit Sauerstoff versorgt oder sogar über eine künstliche Lunge – die ECMO – beatmet werden müssten.

Akutes Lungenversagen bei schwerem COVID-19-Verlauf

Bei einem schweren Verlauf von COVID-19 entwickelt sich bei vielen Patienten ein akutes Lungenversagen, kurz ARDS genannt (Acute Respiratory Distress Syndrome). Die Forschenden um Sander gingen in ihrer Studie der Vermutung nach, dass dabei das Lungengewebe der Patienten vernarbt, verdickt und unelastisch wird. Ganz ähnliche Vorgänge laufen bei einer bisher unheilbaren Form der Lungenvernarbung ab, der idiopathischen Lungenfibrose.

Zur Erinnerung: Was ist eine Lungenfibrose? 

Bei einer Lungenfibrose kommt es zur Bildung von Narbengewebe. Das vernarbte Lungengewebe wird dick und steif und dadurch wird es für den Sauerstoff schwieriger, durch die Lunge und in den Blutstrom zu gelangen. Eine Lungenfibrose führt zu Kurzatmigkeit und schließlich dazu, dass die Organe des Körpers nicht genügend Sauerstoff bekommen, um richtig zu funktionieren.

Die Wissenschaftler untersuchten zunächst das Lungengewebe verstorbener Patienten unter dem Mikroskop und fanden charakteristische Merkmale einer schweren Fibrose. „Bei fast allen Betroffenen haben wir enorme Schäden entdeckt: Die Lungenbläschen waren weitgehend zerstört, die Wände deutlich verdickt. Außerdem fanden wir ausgeprägte Ablagerungen von Kollagen, welches ein Hauptbestandteil von Narbengewebe ist“, sagte Peter Boor vom Institut für Pathologie an der RWTH Aachen.

Lungenversagen zwei bis drei Wochen nach ersten Symptomen

Typischerweise entwickelt sich das Lungenversagen erst zwei bis drei Wochen nach Auftreten der ersten Symptome, erläuterte Sander. „Das weist darauf hin, dass nicht die unkontrollierte Virusvermehrung zum Versagen der Lunge führt, sondern nachgeschaltete Reaktionen, beispielsweise des Immunsystems, eine Rolle spielen.“

Das Team untersuchte deshalb im nächsten Schritt die Immunzellen in Lungenspülungen und Lungengewebe von schwer erkrankten oder verstorbenen COVID-19-Patienten.

Fehlgeleitete Reaktion der Fresszellen

Sie fanden, dass sich vor allem Makrophagen in der Lunge betroffener Patienten ansammeln. Diese Fresszellen beseitigen normalerweise Erreger oder Zellabfälle, sind aber auch an der Wundheilung beteiligt.

Bei einer schweren COVID-19-Erkrankung scheinen sie mit bestimmten Zellen des Bindegewebes in Kontakt zu treten. Diese vermehren sich daraufhin stark und bilden große Mengen Kollagen. Nachfolgende Untersuchungen in Zellkulturen legten nahe, dass SARS-CoV-2 die fehlgeleitete Reaktion der Fresszellen anstößt.

Parallelen zwischen COVID-19 und der chronischen Lungenfibrose

„Unsere Daten zeigen also eindeutig Parallelen zwischen COVID-19 und der chronischen Lungenfibrose auf“, erklärte Antoine-Emmanuel Saliba vom Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung in Würzburg. „Das erklärt vielleicht, warum einige Risikofaktoren für COVID-19 auch Risikofaktoren für die idiopathische Lungenfibrose sind – zum Beispiel Grunderkrankungen, Rauchen, ein männliches Geschlecht und ein Alter über 60 Jahre.“

Anders als bei der idiopathischen Lungenfibrose, deren Ursache unbekannt ist, sind die Vernarbungen bei COVID-19-Patienten reparabel, berichten die Forschenden weiter. Im Verlauf der Genesung lösen sich bei ihnen die Verdickungen und Vernarbungen zumindest zum Teil wieder auf.

Eine genauere Untersuchung der Rückbildungsprozesse soll nun dazu beitragen, mögliche Behandlungsmöglichkeiten für beide Erkrankungen zu entwickeln beziehungsweise die Vernarbungen von vornherein zu verhindern. Quelle: dpa / vs 

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