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ganz natürlich: Heißhunger auf Süßes: Geplagt vom Bärenhunger

von Nicole Böhler

Ungesunde Essgewohnheiten, wie Süßigkeiten zwischen den Mahlzeiten und wenig nahrhafte Hauptmahlzeiten, haben oft Schwankungen im Blutzuckerspiegel zur Folge. Das kann zu Heißhungerattacken auf ungesunde und vor allem zuckerhaltige Lebensmittel führen. Langfristig kann eine unausgewogene Ernährungsweise auch einen Nährstoffmangel verursachen, den der Körper auszugleichen versucht – bevorzugt wird dann energiereiche Nahrung. Ebenso können hormonelle Schwankungen derartige Gelüste auslösen. Nicht zu unterschätzen sind auch emotionale und soziale Faktoren wie Kummer- oder Frustessen. Häufig entsteht aus den schlechten Angewohnheiten ein Teufelskreis, bei dem ständig Zucker konsumiert werden muss.

Hilft bitter gegen süß?

Zurzeit bewerben viele Hersteller ihre jeweiligen Bittertropfen damit, die Lust auf Süßes zu blockieren – tatsächlich gibt es Studienergebnisse, die diesen Zusammenhang teilweise zeigen. Instinktiv meidet man Bitterstoffe im Essen, da man einen bitteren Geschmack mit Giftstoffen in der Nahrung verbindet. In tierischen Lebensmitteln zeigen sie meist Fäulnisprozesse an, während Pflanzen Bitterstoffe als Schutz vor Fressfeinden bilden. Dabei kommen in Pflanzen die unterschiedlichsten chemischen Strukturen vor – unter anderem Phenole, Flavonoide oder Glucosinolate –, von denen nur wenige in den aufgenommenen Mengen tatsächlich toxisch wirken. Aus den meisten Nutzpflanzen wurde der bittere Geschmack herausgezüchtet – so sind Gemüse- und Obstsorten heute sehr viel süßer als ihre wilden, bitteren Vorfahren.

Das Wichtigste in Kürze

  • Ursächlich für Heißhungerattacken, vor allem auf Süßigkeiten, können Blutzucker- oder Hormonschwankungen sowie soziale oder psychische Faktoren sein. Langfristig kann nur eine Änderung der Ernährungsgewohnheiten die Lust auf Süßes reduzieren.
  • Bittertropfen enthalten pflanzliche Bitterstoffe, die einen Effekt auf das Hungergefühl und den Blutzuckerspiegel gezeigt haben.
  • Auch homöopathische Arzneimittel sollen im Sinn einer Reizregulationstherapie das natürliche Gleichgewicht von Hunger- und Sättigungsgefühl wiederherstellen.

Bitterrezeptoren beeinflussen Blutzucker

Werden genügend Bitterstoffe mit der Nahrung aufgenommen, können diese für die Steuerung des Hungergefühls und den Energiestoffwechsel deutlich positive Wirkungen haben. In entsprechenden Studien wurden neben extrem bitteren synthetischen Stoffen auch Inhaltsstoffe von Hopfen und Enzian untersucht. Ihre Wirkung entfalten Bitterstoffe über G-Protein-gekoppelte Geschmacksrezeptoren (Taste 2 receptors, TAS2Rs), von denen unzählige unterschiedliche Formen für die verschiedensten Bitterstoffe identifiziert wurden. Aufgrund von Punktmutationen in Genen, die TAS2Rs codieren, ist das Geschmacksempfinden von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich – sogenannte Supertaster schmecken beispielsweise schon geringste Bitternoten in ihrer Nahrung. Bitterrezeptoren sind aber nicht nur im Mund, sondern über den gesamten Magen-Darm-Trakt verteilt. Ihre genaue Funktion wird noch untersucht, sie scheinen aber an der Freisetzung von Hormonen wie dem Glucagon-like Peptide 1 (GLP-1) beteiligt zu sein. GLP-1 verstärkt die Insulinfreisetzung und löst ein Sättigungsgefühl aus. Für eine verminderte Kalorienaufnahme reichten die Bitterstoffwirkungen in den genannten Studien nicht aus, es konnte aber eine positive Wirkung auf den Blutzuckerspiegel und das Auftreten von Heißhungerattacken gezeigt werden.

Einteilung nach Arzneibuch

Bitterstoffdrogen werden schon seit dem Altertum bei Verdauungsstörungen und je nach Verfassung des Betroffenen entweder zur Appetithemmung oder -steigerung eingesetzt. Einige arzneilich verwendete Vertreter der Gruppe sind in der Tabelle oben auf dieser Seite mit den enthaltenen Bitterstoffen aufgeführt. Bitterstoffe sind keine eigene chemische Stoffgruppe – gemeinsam ist ihnen allen nur ein bitterer Geschmack. Zu ihrer Charakterisierung wurde der sogenannte Bitterwert eingeführt. Er wird durch ein standardisiertes Verfahren bestimmt, das im Europäischen Arzneibuch beschrieben ist: 2.8.15 Bitterwert. Der Bitterwert beschreibt, wie viel Gramm Wasser nach dem Lösen eines Gramms der entsprechenden Bitterstoffdroge noch bitter schmecken. Als Referenz legt das Ph. Eur. Chininhydrochlorid mit einem Bitterwert von 200.000 fest.
Bitterstoffdrogen (Beispiele)
Bitterstoffdroge
Bitterwert
Enzianwurzel (Gentianae radix)
10.000
Artischockenblätter (Cynarae folium)
10.000
Wermutkraut (Absinthii herba)
10.000
Teufelskrallenwurzel (Harpagophyti radix)
5.000 bis 15.000
Bitterkleeblätter (Menyanthidis trifoliatae folium)
3.000
Tausendgüldenkraut (Centaurii herba)
2.000
Chinarinde (Cinchonae cortex)
1.000
Benediktenkraut (Cnici benedicti herba)
800
Pomeranzenschale (Bitterorangenschale,Aurantii amari epicarpium et mesocarpium)
600
Löwenzahnwurzel (Taraxaci officinalis radix)
100 bis 500

Was kann man empfehlen?

Werden in der Apotheke Bittertropfen zur Kontrolle des Heißhungers verlangt, können diese meist mit gutem Gewissen abgegeben werden: Sie haben bei richtiger Anwendung keine schädlichen Effekte. Die entsprechenden Produkte werden als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben und enthalten ungefähr 15 verschiedene Bitterstoffdrogen, zum Beispiel Doppelherz pure Bittertropfen oder Bitterliebe Original Tropfen. Die Hersteller empfehlen, dreimal täglich 25 Tropfen einzunehmen.

Ebenfalls regulierend auf den Magen-Darm-Trakt und den Appetit wirken traditionelle Arzneimittel mit Bitterstoffen, zum Beispiel Amara-Pascoe Tinktur. Bittertropfen sollten generell circa eine halbe Stunde vor einer Mahlzeit entweder pur oder in wenig Wasser eingenommen werden.
Bittertropfen (Beispiele)
Präparat
Inhaltsstoffe
empfohlene Dosierung
Kontraindikationen
Doppelherz pure Bittertropfen
Enzianwurzel, Artischockenkraut,
Tausendgüldenkraut, Löwenzahnwurzel,
Wermutkraut, Angelikawurzel,
Pomeranzenschale, Schafgarbenkraut,
Ingwerwurzel, Kardamom,
Lavendelblüten, Curcumawurzel,
Zitwerwurzel, Bittere Fenchelsamen,
Schwarzkümmelsamen
Ethanol: 55 Vol.-%
3 x tägl. 25 Tropfen
Kinder unter 18 Jahre,
Schwangerschaft und Stillzeit
Bitterliebe Original Tropfen
Amara-Tropfen von Weleda
Wermutkraut, Tausendgüldenkraut,
Wegwarte, Schafgarbenkraut,
Wacholderbeerenzapfen, Enzianwurzel,
Meisterwurzwurzel, Salbeiblätter,
Löwenzahn
Ethanol: 33 Vol.-%
Erwachsene und Jugendliche ab 12 Jahren: 10 bis 15 Tropfen, Kinder von 6 bis 11 Jahren: 5 bis 8 Tropfen, Kleinkinder von 1 bis 5 Jahren: 3 bis 5 Tropfen
Säuglinge unter 1 Jahr,
Schwangerschaft und Stillzeit,
Leberkranke,
Überempfindlichkeit gegen Wegwarte oder andere Korbblütler
Amara-Pascoe Tinktur
Chinarinde, Enzianwurzel,
Pomeranzenschale, Zimtrinde,
Ethanol: 65 Vol.-%
vor den Mahlzeiten15 bis 20 Tropfen
Schwangerschaft,
Magen- und Zwölffingerdarm-Geschwür
Magen-Tropfen N von Salus
Bittere Fenchelfrüchte, Enzianwurzel,
Pomeranzenschale, Pfefferminzblätter,
Benediktenkraut
Ethanol: 27 Vol.-%
3 x tägl. 2 ml
Kinder unter 18 Jahre,
Schwangerschaft und Stillzeit,
Magen- und Zwölffingerdarmgeschwür, Leberkranke, Gallensteine
maximal 2 Wochen lang einnehmen

Globuli nach Charakter auswählen

Einen anderen Weg, den süßen Teufelskreis zu durchbrechen, bietet die Homöopathie. Sie soll den Körper im Sinn einer Reizregulationstherapie dazu anregen, das Gleichgewicht selbst wiederzufinden und öfter auf süße Snacks zu verzichten. Schlägt man das „Verlangen nach Süßem“ in einem Repertorium nach, findet man oft die vier Mittel Argentum nitricum, China, Lycopodium und Sulfur. Diese unterscheiden sich zum einen darin, wie sich die Lust auf Süßes äußert, passen aber auch zu ganz unterschiedlichen Menschentypen.

Argentum nitricum eignet sich für sehr feine Menschen, die häufig Angst haben – vor allem Lampenfieber oder Höhenangst. Von Süßigkeiten oder anderen Genussmitteln bekommen sie schnell Sodbrennen. Lehnt der Patient gekochte, warme Mahlzeiten ab und isst stattdessen Süßigkeiten, könnte Lycopodium passen. Lycopodium-Patienten stehen außerdem im Ruf, immer alles besser zu wissen, und fallen durch mannigfaltige Magen-Darm-Beschwerden wie etwa Völlegefühl oder Meteorismus auf. Potenzierte Chinarinde passt fast immer, wenn Patienten besonders naschhaft sind und viel zwischendurch essen. Sulfur-Patienten haben oft heiße Hände und/oder Füße, sind leidenschaftlich und teilweise etwas „schludrig“ – im Gegensatz zu Argentum-nitricum-Patienten.

Bei akuten Heißhungerattacken können von allen vorgestellten Homöopathika sogar stündlich fünf Globuli in D12 eingenommen werden. Sobald eine Besserung eintritt, reicht eine Gabe von dreimal täglich je fünf Globuli.

Wie erkläre ich es meinen Kunden?

  • „Bitterstoffe, wie sie in diesen Bittertropfen enthalten sind, können Ihr Hungergefühl positiv beeinflussen. Nehmen Sie die Tropfen bei Heißhunger ein.“
  • „Sie haben großes Verlangen nach Süßigkeiten, bekommen nach dem Naschen aber immer Sodbrennen? Dann könnte Argentum nitricum das richtige Mittel für Sie sein. Nehmen Sie an den ersten Tagen mehrmals täglich fünf Globuli. Nach einiger Zeit wird sich Ihr Hungergefühl reguliert haben, dann sollten dreimal täglich fünf Globuli reichen. Nach drei bis vier Wochen können Sie das Mittel absetzen. Sollten die Gelüste wiederkommen, beginnen Sie erneut mit der Einnahme.“

Am besten die Ernährung umstellen

Langfristig ist es sinnvoll, der Lust auf Süßes neue Gewohnheiten entgegenzustellen: Einhöherer Anteil von Ballaststoffen in der Nahrung hilft dabei, den Blutzuckerspiegel konstant zu halten und damit Heißhungerattacken einzudämmen. Außerdem lassen sich natürliche Bitterstoffe, zum Beispiel aus Chicorée, Artischocke oder Rosenkohl, recht einfach in die Mahlzeiten integrieren. Meldet sich dann trotzdem einmal das Verlangen nach Zucker, sollten tatsächlich nur gesunde Snacks wie Obst und Nüsse im Schrank versteckt sein.

Tritt ein extrem verstärktes Hungergefühl plötzlich auf, so sollte Rat bei einem Arzt gesucht werden, damit mögliche schwerwiegende Auslöser wie Schilddrüsenüberfunktion, Diabetes mellitus oder Depressionen ausgeschlossen werden können. •

Nicole Böhler

Apothekerin,

Heilpraktikerin

Schopfheim

autor@ptaheute.de