COVID-19-Impfung
Corona-Pandemie
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COVID-19-Impfung: Paracetamol prophylaktisch einnehmen ja oder nein?

Impfspritze neben Tablettenblister
Darf man zur Vorbeugung von Impfreaktionen Schmerzmittel einnehmen oder gefährdet das den Impferfolg? | Bild: Artem / AdobeStock

Vor allem bei jüngeren Erwachsenen können nach einer Impfung gegen SARS-CoV-2 Nebenwirkungen wie Fieber, Schüttelfrost sowie Kopf- und Muskelschmerzen auftreten. Diese Impfreaktionen sind meist mild bis mäßig ausgeprägt und werden von der Antwort des Immunsystems auf die Impfung hervorgerufen, also nicht ungewöhnlich. 

Zur Linderung dieser grippeähnlichen Symptome können wie bei anderen Impfungen auch fiebersenkende Analgetika eingesetzt werden. Auch das Robert Koch-Institut empfiehlt in seinem Aufklärungsmerkblatt zur Schutzimpfung gegen COVID-19: „Bei Fieber und Schmerzen nach der Impfung können schmerzlindernde und fiebersenkende Medikamente eingenommen werden.“ Der Wirkstoff Paracetamol wird dabei ausdrücklich als Beispiel genannt. 

Fieber, Schmerzen und Kopfschmerzen unter COVID-19-Impfstoffen

Laut Gebrauchsinformation von Comirnaty® (Biontech/Pfizer) kam es bei > 10 Prozent der Geimpften zu Fieber und Schwellung an der Injektionsstelle, nach einer Impfung mit dem COVID-19-Impfstoff von Moderna berichteten 15,5 Prozent der Geimpften über Fieber.

Unter der AstraZeneca-Impfung kam es bei 33,6 Prozent zu erhöhter Temperatur, Fieber über 38 °C hatten 7,9 Prozent der Probanden. Beim COVID-19-Impfstoff Janssen wird Fieber als Nebenwirkung der Impfung „häufig“ – sprich bei bis zu 10 Prozent der Geimpften – angegeben.

Wirkung von Paracetamol

Hemmstoffe des Enzyms Cyclooxigenase-2 können über die Unterdrückung der Prostaglandin-Synthese die Begleiterscheinungen einer Impfung effektiv lindern. Über diese Hemmung der Prostaglandin-Bildung kann aber auch die Höhe des Impftiters reduziert sein. 

Bisher ist allerdings nicht geklärt, ob diese Reduktion der Immunantwort auch tatsächlich klinisch relevant ist. Auch sind die genauen Mechanismen dazu bisher nicht gut verstanden. Möglicherweise stören fiebersenkende Mittel wie Paracetamol die Kommunikation zwischen dem angeborenen und dem erworbenen Immunsystem im lymphatischen Gewebe, wenn die Arzneimittel unmittelbar nach der Impfung eingenommen werden. 

Prophylaktische Paracetamol-Einnahme nicht empfohlen 

Die bislang verfügbaren Daten, ob fiebersenkende Arzneimittel den Impfschutz beeinträchtigen, sind widersprüchlich. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hinter einer im Jahr 2009 im Fachjournal „The Lancet“ publizierten Studie empfahlen keine routinemäßige prophylaktische Verabreichung von fiebersenkenden Arzneimitteln zum Zeitpunkt der Impfung. 

Zwar hätten fieberhafte Reaktionen dadurch signifikant abgenommen, doch seien die Antikörperreaktionen auf mehrere Impfstoffantigene reduziert gewesen. Die Kinder (9–16 Wochen bei Studienbeginn, zwölf bis 15 Monate bei Auffrischimpfung) hatten 24 Stunden nach einer Impfung gegen Pneumokokken, Diphterie, Tetanus, Pertussis, Hepatitis B, Polio und Rotavirus (oral) entweder alle sechs bis acht Stunden Paracetamol erhalten oder nicht. 

Wirkt Paracetamol prophylaktisch?

Die meisten Studien zu Paracetamol bei Impfung – prophylaktisch oder therapeutisch – sind bislang jedoch nicht der Frage nachgegangen, ob Paracetamol eine Immunantwort negativ beeinflusst, sondern wie sehr Paracetamol Impfnebenwirkungen, wie Fieber und Schmerzen, lindert.

In einem Kommentar zu der in „The Lancet“ veröffentlichten Studie gehen die Autoren um Robert Chen noch weiter in die Studienhistorie zu Paracetamol bei Impfungen zurück. So hatte eine Studie in den 1980er Jahren die Effekte einer Paracetamol-Prophylaxe auf die Nebenwirkungsrate bei Säuglingen und Kleinkindern (Alter zwei bis 18 Monate) nach Diphterie-Pertussis-Tetanus-Polio-Impfung untersucht. Veröffentlicht wurde die Arbeit 1987 im Fachjournal „The Pediatric Infectious Disease Journal“. 

Signifikant weniger unerwünschte Reaktionen auf die Impfung machten sie bei mit Paracetamol behandelten Säuglingen im Alter von zwei bis sechs Monaten aus (bei 18 Monate alten Säuglingen konnte Paracetamol die Nebenwirkungsrate nach Auffrischimpfung nicht signifikant senken). 

„Wir kommen zu dem Schluss, dass Paracetamol, das zum Zeitpunkt der Erstimpfung mit Diphtherie-Pertussis-Tetanus-Toxoiden-Polio verabreicht wird, die Häufigkeit und den Schweregrad häufiger unerwünschter Reaktionen signifikant reduzieren kann“, lautet das Fazit.

CDC empfahlen Prophylaxe bei Pertussis-Impfung und Neigung zu Krämpfen

Den Kommentatoren in „The Lancet“ zufolge sind vor allem Ganzzell-Pertussis-Impfstoffe mit hohen Raten von Reaktionen an der Injektionsstelle, Fieber und seltener mit Fieberkrämpfen verbunden. Die CDC (Centers for Disease Control and Prevention ) nahmen damals die Studie im „The Pediatric Infectious Disease Journal“ zum Anlass, bei Kindern mit Neigung zu Krampfanfällen die folgende Empfehlung auszusprechen:

Es gibt keine Daten darüber, ob die prophylaktische Anwendung von Antipyretika nach der DTP-Impfung das Risiko von Fieberkrämpfen verringern kann. Vorläufige Informationen deuten jedoch darauf hin, dass Paracetamol in einer Dosis von 15 mg/kg zum Zeitpunkt der DTP-Impfung und erneut 4 Stunden später die Inzidenz von Fieber nach der Impfung verringert. Daher ist es sinnvoll, die Verabreichung von Antipyretika (wie Paracetamol) in altersgerechten Dosen zum Zeitpunkt der Impfung und alle 4 bis 6 Stunden für 48 bis 72 Stunden bei Kindern zu erwägen, die ein höheres Risiko für Krampfanfälle haben als die allgemeine Bevölkerung.

Centers for Disease Control and Prevention

In der Praxis habe sich dann jedoch die Verabreichung von Paracetamol an alle Kinder, die einen Ganzzellimpfstoff gegen Keuchhusten erhalten, durchgesetzt, liest man in dem Kommentar im „The Lancet“ dazu.

Warnung vor verminderter Wirkung

Kurze Zeit später erschien eine weitere Studie, veröffentlicht wurde sie 1988 im Fachjournal „American Journal of Diseases in Children“. Auch hier schlussfolgerten die Wissenschaftler, „dass prophylaktisches Paracetamol einen mäßigenden Effekt auf Fieber, Schmerzen und Aufgeregtheit nach Diphtherie-, Tetanus-Toxoid- und Pertussis-Impfung hat“. 

Sie warnten jedoch auch vor den Auswirkungen von entzündungshemmenden Mitteln auf die Immunantwort: „Schließlich ist es möglich, dass die entzündungshemmende Wirkung einer längeren Paracetamol-Verabreichung der Entwicklung spezifischer schützender Antikörper abträglich sein könnte“, lautet ihr letzter Satz. Allerdings: Die Antikörperantwort mit und ohne Paracetamol hatten auch sie nicht untersucht.

Kein negativer Impfeffekt durch Paracetamol

Ein Jahr später, 1990, veröffentlichten Wissenschaftlerinnen um Sarah Long ihre Arbeit zu Nebenwirkungen einer Diphtheria-Tetanus-Pertussis-Impfung im Journal „Pediatrics“. Sie beobachteten die Nebenwirkungen nach einem Vier-Dosen-Schema und einem Drei-Dosen-Schema und kamen zu dem Schluss, dass das Impfalter hinsichtlich der Nebenwirkungsrate eine größere Rolle spielen könnte als die Zahl der Impfdosen. 

So war die Dosis des DTP-Impfstoffs, die im Alter von sechs Monaten verabreicht wurde, mit den geringsten unerwünschten Wirkungen assoziiert. Zudem konnten sie keine Effekte durch Paracetamol – und 75 Prozent der Kinder hatten mindestens eine Dosis erhalten – auf die Antikörpertiter nach Impfung ausmachen: „Weder das Auftreten von Nebenwirkungen noch die Verwendung von Paracetamol beeinflussten die Antikörperantwort auf den Impfstoff.“ 

Nur kein prophylaktisches Paracetamol

Andere Wissenschaftler kamen 24 Jahre später in einer weiteren Studie zu dem Ergebnis, dass nur die prophylaktische, nicht aber die therapeutische Paracetamol-Gabe nach einer Hepatitis-B-Impfung einen negativen Einfluss auf die Antikörperkonzentration hatte. 

In dieser Studie wurden jedoch Erwachsene und keine Kinder geimpft. „Diese Befunde veranlassen dazu, eine therapeutische statt einer prophylaktischen Behandlung in Betracht zu ziehen, um eine maximale Wirksamkeit der Impfung zu gewährleisten und dennoch die Möglichkeit zur Behandlung von Schmerzen und Fieber nach der Impfung zu erhalten“, erklärten die Wissenschaftler damals. 

Sie hatten ihren Studienteilnehmern bei einer Hepatitis-B-Impfung entweder sofort und vorbeugend Paracetamol verabreicht oder erst sechs Stunden nach der Impfung oder gar nicht und sodann untersucht, ob und wie sich dies auf die Antikörpertiter gegen Hepatitis B auswirkt. Veröffentlicht wurde die Arbeit 2014 im Fachjournal „PLoS One“.

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rät von einer Verwendung von Antipyretika rund um den Zeitpunkt der Impfung ab, sieht aber auch keine Probleme bei einem Einsatz in den Tagen danach.

Aktuelle Arbeit eines Teams aus Kanada zu Paracetamol

Diese Empfehlung der WHO deckt sich auch mit einer aktuellen Arbeit einer Gruppe von Forschern aus dem kanadischen Vancouver. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hinterfragen dabei, ob die Einnahme fiebersenkender Mittel zur Abschwächung normaler Impfreaktionen als sinnvoll zu betrachten ist. 

Die Wissenschaftler beziehen sich in diesem aktuellen „Chest“-Beitrag ebenfalls auf die beiden Studien aus dem Jahr 2009 („The Lancet“) und 2014 („PLoSOne“). Sie geben zu bedenken, dass einige der Unterschiede in diesen Befunden auf das Impfalter zurückzuführen sein könnten, da die potenziell immunmodulierenden Effekte von Antipyretika und ihre mögliche negative Interaktion mit Impfstoffen bei Kindern und Erwachsenen unterschiedlich ausfallen könnten.

Das Team von der University of British Columbia gibt dabei außerdem zu bedenken, dass es bisher nicht bekannt sei, ob Paracetamol die Wirksamkeit einer COVID-19 Impfung beeinträchtigen könne. Zudem werden die unerwünschten Wirkungen nach einer Impfung in der Öffentlichkeit deutlich stärker wahrgenommen, als sie laut Zulassungsdaten auch tatsächlich auftreten. 

Man kann mittlerweile von einem nicht unerheblichen Anteil an Nocebo-Effekten nach einer Immunisierung gegen COVID-19 ausgehen. Der Nocebo-Effekt entspricht dem bekannten Placebo-Effekt, nur im Negativen. Wenn gut informierte Patienten auf bekannte Nebenwirkungen warten, dann werden diese mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch tatsächlich so erlebt werden. 

Die ausführliche Berichterstattung über die Nebenwirkungen der COVID-19-Impfung kann auch dazu beitragen, dass vor der Impfung bereits präventiv Schmerzmittel und eben auch Paracetamol eingesetzt wird. Schließlich ist das nicht verschreibungspflichtige Mittel in vielen Hausapotheken ohnehin vorhanden.

Keine Daten zu COVID-19-Impfstoffen

Doch wie sieht es jetzt konkret bei COVID-19-Impfungen aus? Die Impfstoffe verfolgen meist gänzlich neue – oder bislang kaum eingesetzte – Prinzipien, wie die mRNA-Impfung oder die vektorbasierte Vakzination. Studien, die speziell die Effekte von Paracetamol oder Ibuprofen auf die Wirksamkeit von mRNA- oder vektorbasierten COVID-19-Impfstoffen untersuchen, gibt es bislang jedoch nicht.

In der Studie zu ChAdOx1 – dem COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca – hatte ein Teil der Probanden prophylaktisch 1.000 mg Paracetamol vor und alle sechs Stunden nach Impfung (für 24 Stunden) erhalten. 

„Durch die prophylaktische Paracetamol-Gabe konnten Nebenwirkungen wie Schmerzen an der Einstichstelle, Fieber, Schüttelfrost, Muskelschmerzen, Kopfschmerzen und Abgeschlagenheit insgesamt signifikant reduziert werden“, schreibt das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) im Epidemiologischen Bulletin 5|2021 dazu. 

Laut AstraZeneca hat Paracetamol die immunogene Wirkung des Vektorimpfstoffs nicht beeinträchtigt, doch sind die Daten dazu bislang nicht publiziert. Zudem lassen sich sodann diese Ergebnisse nicht unbedingt auf mRNA-Impfstoffe übertragen, geben die Wissenschaftler im aktuellen „Chest“-Beitrag zu bedenken. 

Moderna habe keine Daten zu fiebersenkenden Mitteln veröffentlicht (oder erhoben?). Und auch Biontech/Pfizer erwähnen in der im „New England Journal of Medicine“ veröffentlichten Zulassungsstudie zu Comirnaty® nur, dass jüngere Probanden häufiger zu fiebersenkenden Arzneimitteln griffen als ältere – vielleicht, weil jüngere Teilnehmer auch häufiger Fieber entwickelt hatten als ältere – und dass mehr Probanden in der Impfstoffgruppe Antipyretika nutzten als in der Placebogruppe. Doch: „Daten zur Immunogenität wurden nicht angegeben“, erklären die Wissenschaftler in „Chest“.

Klärung weiterer Fragen

Grundsätzlich fehlen also noch klinische Daten zur Auswirkung einer Paracetamoleinnahme auf die Produktion der Antikörper. In den Zulassungsstudien zu den COVID-19-Impfstoffen wurden solche nicht erhoben. 

Um beurteilen zu können, inwiefern sich eine vorbeugende Einnahme von Paracetamol auf die Immunogenität auswirkt, müssten daher dringend weitere klinische Studien durchgeführt werden. 

In diesen sollte dann unter anderem geklärt werden, ob Paracetamol – und auch andere Schmerzmittel wie Ibuprofen – die Antikörperinduktion beeinflussen. Wichtig wäre auch zu klären, ob der Zeitpunkt der Verabreichung der Antipyretika, also vor oder unmittelbar nach Impfung, dabei eine Rolle spielt. 

Fazit

Bis zur Vorlage von genauen wissenschaftlichen Untersuchungen sollte daher auf eine prophylaktische Gabe von Paracetamol vor einer Impfung grundsätzlich verzichtet werden

Eine mögliche Therapie sollte erst beim Auftreten von Impfreaktionen erfolgen und dabei am besten frühestens 6 Stunden nach der Gabe des Impfstoffs. Bei Patienten mit eingeschränkter Immunantwort ist diese Empfehlung besonders wichtig. 

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