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Desinfektionsmittel aus der Apotheke – herstellen erlaubt?

Händedesinfektionsmittel sind derzeit begehrt. Dürfen Apotheken diese daher selber herstellen? | Bild: Pixel-Shot / Adobe Stock

Die Panik vor dem Coronavirus hat nicht nur zu Hamsterkäufen bei haltbaren Lebensmitteln, sondern auch bei Schutzmasken und Desinfektionsmitteln geführt. Sterillium und Co. sind deswegen mittlerweile Mangelware. Um die Nachfrage zu bedienen, haben viele Kollegen angefangen, selbst entsprechende Lösungen herzustellen. Doch darf man das überhaupt noch? Gab es da nicht eine Änderung, dass Apotheken verdünnten Isopropylalkohol und Co. nur noch mit entsprechender Zulassung herstellen dürfen?

Die Antwort lautet wie so oft „kommt drauf an“. Denn diese Änderung gab es tatsächlich. Dahinter steckt die Biozid-Verordnung, die besagt, dass es für Biozide einer Zulassung bedarf. Unter diese Regelung fallen unter Umständen seit einiger Zeit auch Isopropanol und Ethanol, zum Beispiel wenn sie zur Flächendesinfektion eingesetzt werden.

RP-Tübingen verweist auf Standardzulassungen

Anders ist es bei Isopropanol oder Ethanol zur Anwendung am menschlichen Körper. Für diese Anwendung können die Lösungen auch als Arzneimittel in den Verkehr gebracht werden. Sie unterliegen dann dem Arzneimittelgesetz, es gibt entsprechende Fertigarzneimittel, und sie dürfen unter bestimmten Voraussetzungen auch weiterhin in der Apotheke hergestellt werden.

Diese Einschätzung bestätigt auch das Regierungspräsidium Tübingen. Auf Nachfrage unserer Kollegen von DAZ.online heißt es: „Mittel zur Hautdesinfektion sind Arzneimittel. Jede Apotheke, die über Ethylalkohol oder Isopropylalkohol verfügt, kann daraus 70-prozentige Hautdesinfektionsmittel herstellen. Der Weg über Einzelrezepturen oder Defekturen ist nicht erforderlich, wenn man die bestehenden Standardzulassungen nutzt. Hierzu genügt – soweit bislang diese Standardzulassungen von der Apotheke nicht genutzt wurden – eine einfache Anzeige beim BfArM mit Übersendung einer Kopie an die zuständige Landesbehörde (= die Behörde, die die Apothekenbetriebserlaubnis erteilt hat).“

Biozid oder Arzneimittel – eine Frage der Zweckbestimmung

Ob ein Mittel als Biozid oder Arzneimittel einzustufen ist, hängt nicht von den enthaltenen Substanzen ab, sondern von der Zweckbestimmung. So gilt ein Händedesinfektionsmittel als Arzneimittel, wenn es überwiegend für medizinische Zwecke bestimmt ist. Erfüllt ein Haut- und Händedesinfektionsmittel sowohl die Voraussetzungen eines Arzneimittels als auch die eines Biozides gemäß des Chemikaliengesetzes (§ 3b ChemG), so tritt die Zweifelsregelung (§ 2 Absatz 3a AMG) in Kraft, welche besagt, dass es sich im Zweifelsfall um ein Arzneimittel handelt. Bei Hautdesinfektion zur Infektionsprophylaxe handelt es sich nach Auffassung vieler Experten um ein Arzneimittel, das folglich den Regelungen des Arzneimittelgesetzes unterliegt und unter bestimmten Umständen in der Apotheke hergestellt werden darf.

Rezeptur oder Defektur möglich, aber ...

Grundsätzlich wäre wie bei allen Arzneimitteln auch die Herstellung als Rezeptur oder Defektur möglich. Beides dürfte aber, zumindest wenn man sich streng an die gesetzlichen Vorgaben hält, eher unpraktikabel sein. Denn Rezepturen dürfen bekanntermaßen nur auf Einzelanforderung hergestellt werden, für Defekturen bedarf es den Nachweis einer häufigen ärztlichen oder zahnärztlichen Verschreibung.

Ausnahmegenehmigung möglich 

Eine praktikablere Möglichkeit der Defektur wäre allerdings die sogenannte Bulkware. Das ist zwar eine Herstellung auf Vorrat, aber keine Herstellung eines abgabefähigen Fertigarzneimittels. Die Herstellung als Standgefäßware (Bulk) ist die Option, wenn weder eine Standardzulassung vorliegt noch die Voraussetzungen der Hunderter-Regel erfüllt sind. Das Produkt, in diesem Fall die Lösung, wird dann in einem Standgefäß aufbewahrt und bei Bedarf als „Rezeptur“ abgefüllt. Das zwischengelagerte Produkt ist jedoch als fertige Defektur anzusehen und unterliegt damit nach Auffassung der Arbeitsgemeinschaft der Pharmazieräte Deutschlands (APD) der Prüfpflicht gemäß § 8 ApBetrO (APD2013). Zur Freigabe eignet sich die Bestimmung der relativen Dichte, weil die Dichte unmittelbar mit dem Alkoholgehalt der jeweiligen Zubereitung korreliert. Die Abgabegefäße sind dann nach § 14 ApBetrO zu kennzeichnen. Ein Nachweis der ärztlichen Verordnung ist in diesem Fall nach Ansicht der Pharmazieräte nicht nötig.

Sondergenehmigung durch Behörde theoretisch möglich

Einzelne Kammern sehen das Ganze anscheinend eher pragmatisch. So verweist die Kammer in Baden-Württemberg in einem aktuellen Schreiben an die Mitglieder explizit auf die Möglichkeit der Eigenherstellung nach der WHO-Rezeptur. Rechtliche Bedenken macht sie zumindest an dieser Stelle nicht geltend.

Angesicht der aktuellen Knappheit an Desinfektionsmittel ist es allerdings nicht ganz ausgeschlossen, dass „eine zuständige Behörde befristet für eine Dauer von höchstens 180 Tagen“ die Herstellung, Abgabe und Verwendung von nicht zugelassenen Desinfektionsmitteln erlaubt. Dann dürften Apotheken auch Desinfektionsmittel, die gemäß Zweckbestimmung nicht unter das Arzneimittelgesetz, sondern die Biozid-Verordnung fallen, herstellen.