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INTERPHARM 2019: Wie gut sind die neuen Migräne-Antikörper?

Prof. Dr. Gerd Bendas sprach bei seinem Vortrag auf der 30. Interpharm in Stuttgart über die Wirkung von Migräne-Antikörpern. | Bild: PTAheute /Alex Schelbert

Sie sind die ersten Arzneimittel, die speziell für die Prophylaxe von Migräne entwickelt wurden: die Migräne-Antikörper Erenumab, Galcanezumab und Fremanezumab. Bislang waren Migränepatienten, die ihren Attacken medikamentös vorbeugen wollten, auf Arzneimittel angewiesen, die anderen Therapiebereichen entlehnt waren und nicht ursprünglich zur Migräneprophylaxe entwickelt wurden – wie beispielsweise die Betablocker Metoprolol, Propranolol und Bisoprolol. Unter diesem Gesichtspunkt „revolutionieren“ die Migräne-Antikörper, die das Neuropeptid Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) oder dessen Rezeptor zur Zielstruktur haben, tatsächlich die Prophylaxe der Migräne. Doch bringen sie auch das erhoffte Heil für die Migränepatienten? Bei der diesjährigen Interpharm 2019 in Stuttgart umriss Professor Dr. Gerd Bendas vom Pharmazeutischen Institut der Universität Bonn den Nutzen der innovativen Migräne-Antikörper.

Migräne-Prophylaxe mit Nebenwirkungen

Während sich akute Migräne-Attacken mit Schmerzmitteln wie ASS, Ibuprofen oder Triptane mittlerweile gut behandeln lassen, fristete die medikamentöse Prophylaxe von Migräne bislang eher ein Randdasein. Laut Professor Bendas nehmen nur 20 Prozent der Migränepatienten eine Prophylaxe bei Migräne ein. Den Grund für den schlechten Stellenwert der medikamentösen Migräneprophylaxe verortet der Professor für Pharmazeutische Chemie in der schlechten Verträglichkeit der Wirkstoffe. Die bislang als Mittel der Wahl in der Migräneprophylaxe geltenden Betablocker (Metoprolol, Propranolol und Bisoprolol) und der Calciumkanalblocker Flunarizin könnten beispielsweise durch Nebenwirkungen wie Hypotonie, Schwindel und Müdigkeit die Lebensqualität der Migräniker beeinträchtigen. Nach Ansicht von Bendas ist damit „keine Pharmakotherapie im modernen und besten Sinne“ möglich.

Zielgerichtet gegen Migräne mit CGRP-Antikörpern

Die CGRP-Antikörper (Fremanezumab, Galcanezumab, Eptinezumab) und der CGRP-Rezeptor-Antikörper (Erenumab) seien hingegen ein „ideales Ziel“ bei Migräne. Mit CGRP als Zielstruktur revolutionieren sie tatsächlich den Ansatz der Migräneprophylaxe. Calcitonin Gene-Related Peptide spielt eine wichtige Rolle in der Krankheitsentstehung von Migräne. Die CGRP-Hypothese stützen Wissenschaftler unter anderem auf zwei Beobachtungen: Migräniker weisen während ihrer Migräne-Attacken erhöhte CGRP-Spiegel auf. Zudem können gezielte Injektionen mit dem Neuropeptid CGRP bei Migränepatienten einen Anfall auslösen.

Dass der CGRP-Ansatz funktioniert, zeigten Erenumab, Fremanezumab und Galcanezumab in ihren jeweiligen Zulassungsstudien. Sie reduzierten sowohl bei Patienten mit episodischer als auch mit chronischer Migräne die Anzahl der monatlichen Migränetage und waren hierbei Placebo überlegen. Von einer chronischen Migräne sprechen Experten, wenn Patienten an mehr als 15 Tagen pro Monat unter Migräne leiden. Unter Galcanezumab konnten Patienten mit chronischer Migräne ihre monatlichen Kopfschmerztage ausgehend von 19,4 Tagen um 4,8 Tage verringern, Placebopatienten hatten ausgehend von 19,6 Kopfschmerztagen 2,7 Kopfschmerztage pro Monat weniger. Im Schnitt litten am Ende die Galcanezumabpatienten an 14,6 Tagen an Migräne, die Placebopatienten an rund zwei Tagen mehr, sprich an 16,9 Tagen.

Zwar konnten die Migräne-Antikörper, hier beispielhaft an Galcanezumab gezeigt, ihre Wirksamkeit nachweisen, doch hatte man sich wohl einen durchschlagenderen Effekt versprochen, so Bendas. Man merke bei der therapeutischen Effizienz eine gewisse Zurückhaltung in den Fachkreisen. Dennoch ist Bendas von CGRP als Target überzeugt: „CGRP als Zielstruktur spricht für die Antikörper.“  Und weiter: „Sie eröffnen keinen neuen Horizont, sie sind nicht schlechter, vielleicht sogar besser.“

Teure Migräneprophylaxe

Ganz so überzeugt vom Zusatznutzen einer Migräneprophylaxe mit Erenumab schien auch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) jüngst nicht. Als erster Antikörper mit CGRP-Zielstruktur durchläuft Erenumab derzeit die frühe Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), die das AMNOG (Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes) seit Januar 2011 für neue Wirkstoffe vorschreibt. Das Ergebnis der Nutzenbewertung dient als Entscheidungsgrundlage dafür, was die Krankenkassen an dem neuen Arzneimittel bezahlen werden. Das IQWiG unterstützt den G-BA hierbei, indem es ein Gutachten über den Zusatznutzen von Arzneimitteln erstellt – die endgültige Entscheidung jedoch trifft der G-BA. Allerdings bemängelte das IQWiG in seiner Einschätzung zu Erenumab, dass vergleichende Studien mit den bisher zur Migräneprophylaxe eingesetzten Arzneimitteln fehlen. Somit empfahl das Institut auch lediglich für austherapierte Migränepatienten unter „best supportive care“ einen beträchtlichen Zusatznutzen. Auch die Erstattung wird sicherlich nicht ganz unproblematisch – so kostet Aimovig® 688 Euro pro Monat und folglich 100-mal mehr als eine Monatsprophylaxe mit Metoprolol.

Vorteil der Migräne-Antikörper

Auch wenn die CGRP- beziehungsweise CGRP-Rezeptor-Antikörper laut Prof. Bendas „kein Quantensprung“ in der Prophylaxe der Migräne sind, so sieht er dennoch Potenzial bei den innovativen Arzneimitteln: Die Antikörper hätten wenige Nebenwirkungen und Kontraindikationen, die monatliche Selbstapplikation verspreche eine hohe Akzeptanz bei den Patienten – und das sei das Manko der bisherigen Prophylaktika.

Sowohl Erenumab als auch Galcanezumab können Migräniker sich selbst injizieren. Beide Antikörper werden monatlich als subkutane Injektion mittels eines Fertigpens verabreicht. Kommt demnächst noch Fremanezumab auf den Markt, könnte sich die Applikationshäufigkeit noch weiter reduzieren, denn Teva untersuchte seinen CGRP-Antikörper auch in der lediglich vierteljährlichen Gabe.

Was muss in die Beratung?

Für PTA und Apotheker hat Bendas noch einfache, doch wichtige Hinweise parat, die bei der Apothekenberatung und der Abgabe von Aimovig®, Emgality® und potenziell bald Ajovy® nicht fehlen dürfen: „Gelagert werden die Antikörper im Kühlschrank, doch appliziert werden sie bei Raumtemperatur – und der Patient darf sie dafür nicht auf die Heizung legen“, mahnt Bendas. Sonst sollten die Patienten es halten wie James Bond bei seinem Martini: Nicht schütteln, lieber rühren.

Welche Migräne-Antikörper gibt es?

Den Startschuss für die Migräne-Antikörper machte Novartis‘ Erenumab. Bereits im Mai 2018 ließ die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA (Food and Drug Administration) Aimovig® zur Migräneprophylaxe zu. Die Zulassung von Erenumab für Europa folgte nur wenige Monate später, im Juli 2018. Seit November vermarktet Novartis Aimovig® auch in Deutschland. Mit Galcanezumab (Emgality®) brachte das Bad Homburger Pharmaunternehmen Lilly im September 2018 (USA) und November 2018 (EU) die erste Konkurrenz für Aimovig®, und auch der dritte CGRP-Antikörper sitzt bereits in den Startlöchern: Fremanezumab aus dem Hause Teva wartet derzeit die EU-Zulassung, nachdem der Humanarzneimittelausschuss (CHMP, Committee for Medicinal Products for Human Use) der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA sich im Januar dieses Jahres positiv zu dem dritten Migräne-Antikörper geäußert hatte. In den USA gibt es Ajovy® bereits seit September 2018. Eptinezumab lässt derzeit noch auf sich warten. Laut Alder Biopharmaceuticals – dem Entwickler des vierten Migräne-Antikörpers – laufen derzeit noch Phase-III-Studien zu Eptinezumab.