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Leseprobe PTAheute 8/2015: Gehirndoping für Schüler und Studenten

Bild: adragan / AdobeStock

Die eigene kognitive Leistungsfähigkeit verbessern – für diesen Wunsch gibt es viele Namen: Gehirndoping oder Neuro-Enhancement, Cognitive Enhancement, Mind Doping, Gehirnoptimierung, Brain-Boostern oder Hirn-Tuning. Suchen Sie sich Ihren Lieblingsbegriff aus! 

Doch wo beginnt „Gehirndoping“? Mit einem Stück Traubenzucker, einer Tasse Kaffee, einem Energydrink? Mit der Einnahme von Psychopharmaka oder dem illegalen Drogenkonsum? 

Im Vorfeld muss differenziert werden, worüber wir sprechen: Unter Gehirndoping wird umgangssprachlich all das gerade Genannte verstanden, besonders aber der missbräuchliche Einsatz von (meist) illegal erworbenen Arznei- und Aufputschmitteln. 

Der Begriff „Doping“ suggeriert – in Anlehnung an das Doping im Sport – bereits eine verbotene und negative Absicht mit einem nicht unerheblichen gesundheitsschädigenden Potenzial. Unter Neuro-Enhancement versteht man die Einnahme von psychoaktiven Substanzen aller Art zur Verbesserung der geistigen Leistungsfähigkeit. Dieser Begriff ist eher positiv besetzt und umfasst auch die Einnahme von Vitaminen, Mineralstoffen, homöopathischen oder pflanzlichen Stoffen, den sogenannten Soft-Enhancern.

Wie verbreitet ist das Gehirndoping?

In den USA ist das Prinzip „Pimp your brain“ (to pimp = aufmotzen, brain = Gehirn) weiter verbreitet als in Deutschland. Allerdings ist davon auszugehen, dass immer mehr Nachfrage besteht, nicht nur bei Schülern und Studenten in Lern- und Prüfungsphasen, sondern auch bei Berufstätigen zur besseren Bewältigung des täglichen Arbeitspensums! 

Es gibt jedoch kaum Daten, wer wann wie häufig und welche Mittel zum Gehirndopen anwendet. Eine große Befragung unter Studenten wurde 2011 vom HIS-Institut für Hochschulforschung im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit durchgeführt. Ausgewertet wurden knapp 8.000 Antwortbögen zu Fragen der Stresskompensation und Leistungssteigerung in Form von Hirndoping.

Zwölf Prozent der Studenten gaben an, dass sie seit Studienbeginn eine oder mehrere Substanzen eingenommen haben, um die Studienanforderungen besser bewältigen zu können. Fünf Prozent der Studenten betrieben „pharmakologisches Hirndoping“ mit verschreibungspflichtigen Mitteln, ebenfalls fünf Prozent zählen zu den „Soft-Enhancern“, die durch Zusatzpräparate wie Vitamine, Mineralstoffe, pflanzliche oder homöopathische Mittel ihre Leistungen verbessern wollten. Ü

brigens bezieht ein Großteil der Soft-Enhancer seine Mittel in der Apotheke (59 Prozent) oder im Drogeriemarkt. 43 Prozent der Hirndoper bekamen eine ärztliche Verschreibung für ihre eingesetzten Medikamente. Daraus ist ersichtlich, dass der illegale Bezug recht groß sein muss.

Das Wichtigste in Kürze

  • Unter Gehirndoping versteht man die Einnahme von Arzneistoffen oder Drogen zur Verbesserung der Lernleistung und Konzentrationsfähigkeit.
  • Verwendet werden ADHS-Medikamente wie z. B. Methylphenidat, Amphetamine, Modafinil, Psychopharmaka und Drogen.
  • Die Grenzen der Legalität werden bei der Beschaffung der entsprechenden Präparate oft überschritten.
  • Der Nutzen des Hirn-Dopings wird oft überschätzt und schafft eine psychische Abhängigkeit. Es gibt keine wissenschaftlich belegten Wirksamkeitsnachweise.
  • Die Arzneistoffe sind zur Anwendung bei kranken Menschen gedacht, nicht bei gesunden! Nebenwirkungen und Langzeitschäden sind zu beachten.
  • Für stressige Phasen sind gutes Zeitmanagement und Schlaf am besten.

Gehirndoping mit Psychostimulanzien

Zum Gehirndoping werden verschiedene Arzneimittel eingesetzt. Im Voraus ist anzumerken, dass diese Medikamente zur Behandlung einer krankhaften Veränderung im Gehirn entwickelt und zugelassen wurden und nicht zur Anwendung beim gesunden Menschen gedacht sind. Über Nebenwirkungen und Langzeitschäden ist demnach nachzudenken! Es gibt auch keine wissenschaftlich belegten Nachweise der Wirksamkeit. Diese wird von Wissenschaftlern und Psychologen auch eher angezweifelt.

Amphetamine kommen, wenn auch eher selten, therapeutisch bei ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung) oder Narkolepsie zum Einsatz. Das missbräuchliche Potenzial ist, besonders in der Party- und Techno-Szene, jedoch groß (z. B. Speed). Als euphorisierendes Rauschmittel unterdrückt es das Müdigkeitsgefühl, steigert das Selbstbewusstsein bei gleichzeitig erhöhter Risikobereitschaft und steigert das sexuelle Verlangen. Amphetamine setzen im ZNS Noradrenalin und Dopamin frei und versetzen den Organismus in eine Art „Stress-Zustand“.  

Im Zusammenhang mit Gehirndoping kommen die zugewiesenen Wirkungen wie eine erhöhte Wachheit und verbesserte Fähigkeit, sich zu konzentrieren, zum Tragen. Es resultieren jedoch viele Nebenwirkungen, von mangelndem Appetit, erhöhter Herzfrequenz und Bluthochdruck, Unruhe und Agitiertheit, Hyperhidrose und Logorrhö (= erhöhtes Bedürfnis, sich anderen mitzuteilen) bis hin zu Nierenschäden, Psychosen und zuletzt einem großen Suchtpotenzial. Ebenso sind zahlreiche Wechselwirkungen zu beachten.

Gehirndoping mit ADHS-Medikamenten

Methylphenidat ist der bekannteste Vertreter aus der Gruppe der Amphetamine. Medizinisch kommt es zur Behandlung von ADHS ab einem Alter von sechs Jahren zum Einsatz.

Es bewirkt, dass im Gehirn die Neurotransmitter Dopamin und Noradrenalin in höheren Konzentrationen vorliegen. Durch die stimulierende Wirkung wird die Müdigkeit unterdrückt und kurzfristig die körperliche Leistungsfähigkeit gesteigert. Als Nebenwirkungen sind, neben den oben genannten, noch gastrointestinale Beschwerden, Leberschäden und ein erhöhtes Auftreten von Suizidgedanken und Suizidgefährdung zu nennen. 

Missbräuchlich (hoch dosiert und / oder intravenös appliziert) wirkt Methylphenidat stark antriebssteigernd und euphorisierend. Eine Befragung unter Medizinstudenten, die Methylphenidat missbräuchlich angewendet hatten, ergab, dass sie sich eine Verbesserung ihrer geistigen Leistungsfähigkeit davon versprachen. Letztendlich ist diese nicht belegbar – lediglich die Schlafdauer ist verkürzt, die Wachheit erhöht und die Aufmerksamkeit gesteigert. Dies ist jedoch kein Beleg für eine erhöhte Lern- oder Gedächtnisleistung.

Amphetamine und Methylphenidat unterliegen der BtM-Verschreibungspflicht. Innerhalb der Zulassung sind es nutzbringende Medikamente zur Behandlung von diagnostizierten Erkrankungen. Die Einnahme bei gesunden Menschen muss strikt abgelehnt werden, zudem ist der Nutzen nicht belegt und das Risiko von unerwünschten Wirkungen hoch.

Alternativen für stressige Lernphasen

  • gesunde, vitaminreiche Ernährung, „Brain-Food“, z. B. Studentenfutter
  • kein Alkohol
  • ausreichend Schlaf
  • gutes Zeitmanagement
  • Entspannungsphasen und Lernphasen abwechseln

Wach bleiben mit Arzneimitteln

Modafinil ist ein Arzneistoff zur Behandlung der Narkolepsie (= exzessive Tagesschläfrigkeit). Off-Label kommt er auch bei ADHS, chronischem Erschöpfungssyndrom (CFS) und Depressionen zum Einsatz. Der genaue Wirkmechanismus ist gar nicht bekannt, man geht aber davon aus, dass die Wiederaufnahme von Noradrenalin und Dopamin gehemmt wird und somit die Neurotransmitterkonzentration erhöht wird.

Seit 2008 ist es in Deutschland aus der BtM-Verschreibungspflicht entlassen. Nicht verschrieben werden darf es bei Patienten mit Angstzuständen, psychischen Erkrankungen, Bluthochdruck, Leber- oder Nierenerkrankungen. 

Nicht therapeutisch ist es, ähnlich wie Methylphenidat, wegen seiner wachhaltenden und angeblich konzentrationsfördernden Wirkung in Gehirndoping-Kreisen bekannt. Allerdings ist anscheinend die Ausgangslage des Konsumenten für eine mögliche Wirksamkeit entscheidend. Wer nach Schlafentzug Modafinil einnimmt, spürt tatsächlich eher eine konzentrationssteigernde Wirkung, als jemand, der ausgeschlafen und ansonsten fit ist.

Antidementiva als weitere Arzneistoffe für Gehirndoping

Arzneimittel zur Behandlung einer Demenz werden als Antidementiva bezeichnet. Dazu zählen die Acetylcholinesterase-Hemmstoffe Donepezil, Rivastigmin und Galantamin. Diese inhibieren den Abbau von Acetylcholin und verbessern dadurch die Gedächtnisleistung.

Das Antidementivum Memantin greift am glutaminergenen System im ZNS an. Inwiefern diese Arzneistoffe die kognitive Leistungsfähigkeit bei Gesunden beeinflussen, ist jedoch völlig unklar. Klar ist allerdings, dass sie beim Kranken eine wochenlange und regelmäßige Einnahme voraussetzen, um zu wirken. Ob sich das für eine Abiturprüfung oder eine Klausur lohnt?

Genannt werden beim Thema Gehirndoping auch Antidepressiva und Betablocker.

Kokain, Cannabis und Ecstasy

Neben der missbräuchlichen Anwendung von verschreibungspflichtigen Medikamenten ist auch der Konsum von Kokain, Cannabis und Ecstasy zu nennen. Dass dadurch eine kognitive Leistungssteigerung hervorgerufen werden soll, ist schwer nachvollziehbar. Eher zielt der Konsum auf eine vermeintliche Verbesserung auf der emotionalen Ebene ab.

Wie erkläre ich es meinem Kunden?

  • „Zur Steigerung Ihrer Lernbereitschaft können Sie auf eine gesunde, vitaminreiche Ernährung, sogenanntes ‚Brain-Food‘, achten. Dafür können Sie zwischendurch auch Studentenfutter naschen.“
  • „Verzichten Sie in anstrengenden Phasen auf Alkohol, das fördert die Leistungsfähigkeit.“
  • „Achten Sie bei Ihrer Tochter auf ausreichend Schlaf. Denn nur wer ausgeruht ist, kann wirklich effektiv lernen und Leistung erbringen.“
  • „Ein gutes Zeitmanagement kann deutlich zum Lernerfolg beitragen. Achten Sie auf abwechselnde Lern- und Entspannungsphasen bei Ihrem Sohn.“

Gehirndoping mit Soft-Enhancer?

Zu den eher harmlosen Vertretern, die zum Gehirndoping verwendet werden, zählen Ginkgo, Coffein und Energydrinks sowie Ginseng und Vitamin-Cocktails. Frei verkäufliche Ginkgo-biloba-Extrakte werden bei älteren Patienten zur Behandlung von Leistungsstörungen beim demenziellen Syndrom eingesetzt. Jedoch zeigten Untersuchungen an nicht demenziellen Patienten keinerlei Verbesserung bezüglich der Gedächtnisleistung und der Aufmerksamkeit.

Coffein – in Form von Tabletten, Kaffee, Energydrinks oder Tee – erhöht die Wachheit und Aufmerksamkeit. Allerdings muss dabei die bestehende Grundsituation betrachtet werden: Es wirkt nur bei einem niedrigen Aktivierungs-Level. Arbeitet jemand bereits in einem optimalen kognitiven Leistungsbereich, kann kein weiterer zusätzlicher Nutzen erzeugt werden. Im Gegenteil: Durch weitere Coffein-Zufuhr kann das Leistungslevel negativ beeinflusst werden; Kaffeetrinker werden dann leicht „fahrig“ und unkonzentriert.

Zur „Verbesserung des Allgemeinbefindens“ wird Glutaminsäure als traditionelles Arzneimittel eingesetzt (z. B. Glutamin Verla®). Glutaminsäure ist eine nicht essenzielle Aminosäure, die im Körper zu Glutamin umgebaut wird. Glutamin erhöht die Konzentration von Neurotransmittern, die die Reizweiterleitung der Nervenzellen beeinflussen. Oral eingenommen, wird Glutamin eine Verbesserung der Konzentration und Gedächtnisleistung und mehr Ausgeglichenheit in Stresssituationen zugesprochen. Bei dem anthroposophischen Mittel Aurum / Apis regina comp. Globuli velati (Wala) wird unter anderem auch die Indikation „bei Konzentrations- und Gedächtnisschwäche“ genannt.

Gehirndoping wirklich sinnvoll?

Wenn auch der Nutzen von Neuro-Enhancement überschätzt wird, muss sich eine moderne Gesellschaft fragen, wie sie mit der zunehmenden Nachfrage – nicht nur bei Schülern und Studenten, sondern auch bei Berufstätigen – nach Doping fürs Gehirn umgeht. 

Analog zum Doping im Freizeit- und Leistungssport werden ungleiche Voraussetzungen zum Erbringen von Leistungen geschaffen. Dies bezieht sich auch auf die ungleichen finanziellen Möglichkeiten der Beschaffung. 

Aber ebenso steht fest: Auch Doping ersetzt nicht das regelmäßige und intensive Trainieren und erst recht nicht das kontinuierliche und strukturierte Lernen!