Aktuelles
4 min merken gemerkt Artikel drucken

Was ist eigentlich Misophonie?

Junge Frau hält sich die Ohren zu
Straßenverkehr oder Regengeplätscher machen Menschen mit Misophonie nichts aus. Doch etwa Essensgeräusche oder das Klackern von Schuhen können bei ihnen Wut und Aggression auslösen. | Bild: contrastwerkstatt / AdobeStock

Der griechische Begriff Misophonie ist schon recht vielsagend: In ihm stecken die Bedeutungen „Ton“ oder „Klang“ („phonie“) sowie „Hass“ oder „Feindschaft“ („miso“). Wer unter einem solchen „Hass auf Geräusche“ leidet, muss im Alltag oft gehörig leiden.

Gereizt auf Geräusche reagieren

Stört es Sie, wenn Ihr Tischnachbar geräuschvoll kaut? Können Sie es nicht leiden, wenn sich Ihr Partner die Fingernägel schneidet? Oder waren Sie schon häufiger vom Kugelschreiber-Geklicke Ihrer Kollegin genervt? Keine Sorge, diese Reaktionen sind durchaus normal. 

Doch für Menschen mit Misophonie können solche Geräusche absolut unerträglich sein. Betroffene reagieren hierauf stets übermäßig gereizt, entwickeln sogar Wut und Hass. Aggressionen können sie dann kaum mehr unterdrücken. Auch körperliche Reaktionen treten dabei auf, etwa ein erhöhter Puls oder starkes Schwitzen.

Babygeschrei und Baustellenlärm sind nicht störend

Typisch für die Misophonie ist, dass eine solche Geräuschüberempfindlichkeit höchst selektiv auftritt („selektive Geräuschintoleranz“). An den meisten Alltagsgeräuschen, etwa durch Regengeplätscher oder Stadtverkehr, stören sich die Betroffenen nämlich nicht. Auch unter unangenehmen Geräuschen wie Babygeschrei oder Baustellenlärm leiden Menschen mit Misophonie grundsätzlich nicht stärker als andere Personen. 

Es sind vielmehr nur einzelne, bestimmte Geräusche, die sie hassen. Die betreffenden Geräusche sind bei Menschen mit Misophonie individuell unterschiedlich. Neben Atem-, Ess- oder Schreibgeräuschen können das auch diverse andere, eigentlich harmlose Alltagsgeräusche sein. Dazu zählen z. B. das Ticken einer Uhr, ein tropfender Wasserhahn, das Knistern einer Papiertüte oder das Klacken von High Heels.

Lautstärke spielt keine Rolle

Die Geräuschüberempfindlichkeit liegt bei der Misophonie also nicht daran, dass ein bestimmtes Geräusch besonders laut ist oder als übermäßig laut empfunden wird (wie bei der sogenannten Hyperakusis). Entscheidend ist vielmehr die Art des Geräuschs.

Vermeidungsverhalten und sozialer Rückzug

Ist eine solche Überempfindlichkeit auf einzelne Alltagsgeräusche stark ausgeprägt, beeinflusst das auch das Verhalten der Betroffenen. Sie versuchen dann, den belastenden Geräuschen aus dem Weg zu gehen. Eventuell zieht sich eine Person mit Misophonie deshalb sogar aus dem Alltagsleben und dem sozialen Umfeld zurück.

Keine offiziell anerkannte Krankheit

Häufig macht sich die Misophonie erstmals in der späten Kindheit bemerkbar. Zunächst ist meist nur ein einzelnes Geräusch der Auslöser, später können jedoch weitere hinzukommen. Über die genauen Ursachen der Störung weiß man noch wenig. Diskutiert werden Fehlkonditionierungen. 

Wissenschaftliche Untersuchungen mittels funktioneller Magnetresonanztomographie legen nahe, dass bei Misophonie Veränderungen im Gehirn vorliegen, insbesondere in jenen Regionen, wo Sinneseindrücke mit Emotionen verknüpft werden. 

Eine spezifische Behandlungsmöglichkeit gegen Misophonie gibt es nicht. Empfohlen werden unter anderem kognitive Verhaltenstherapien oder Entspannungsverfahren. Übrigens gilt die Misophonie zwar als Störung, sie ist jedoch nicht als offizielle Krankheit anerkannt. Quellen: Kumar et al. 2017: Current Biology (27: 527-533); https://www.aerzteblatt.de; Psychotherapieambulanz der Universität Bielefeld; Deutsche Tinnitus-Liga e.V.; https://www.hear-it.org 

Misophonie in Kürze

  • Selektive Geräuschintoleranz: Auf bestimmte, individuell unterschiedliche Alltagsgeräusche reagieren die Betroffenen stets mit übermäßigen negativen Emotionen und eventuell körperlichen Symptomen.
  • „Misophonie“ setzt sich aus den beiden griechischen Wörtern „miso“ für „Hass“ und „phonie“ für „Klang“ zusammen.
  • Es besteht die Gefahr, dass sich die Betroffenen sozial zurückziehen.
  • Die Störung beginnt meist im Kindes-/Jugendalter. Sie hat möglicherweise neurologische Ursachen mit der Folge beeinträchtigter emotionaler Kontrollmechanismen.
  • Psychotherapeutische Maßnahmen können Linderung bewirken.