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Was man über Epilepsie wissen sollte

Am 08. Februar findet der europäische Epilepsietag statt. | Bild: sewcream/ Adobe Stock

Betroffene mit großem Namen

Julius Caesar, Napoleon Bonaparte und Vincent van Gogh haben eines gemeinsam: Sie litten an Epilepsie („Fallsucht“). Solche berühmten Patienten widerlegen wohl am besten ein altes Vorurteil: Epilepsie hat nichts mit Geistesschwäche zu tun. Vielmehr handelt es sich um eine neurologische Erkrankung, bei der es unkontrolliert zu synchronen Entladungen von größeren Nervenzellverbänden in bestimmten Hirnarealen kommt. Die Folge sind Anfälle. Die können individuell ganz unterschiedlich geartet sein – von klassischen Krämpfen bis hin zu fast unmerklichen kleinen Aussetzern.

Epilepsie – oder nur ein epileptischer Anfall

Epilepsien sind wesentlich häufiger, als in der Bevölkerung gemeinhin angenommen wird. Immerhin entwickelt jeder Hundertste diese Erkrankung. Außerdem erleiden bis zu fünf Prozent aller Menschen irgendwann im Leben einen epileptischen Anfall. Dies ist jedoch nicht mit der Erkrankung Epilepsie gleichzusetzen, sondern kann zum Beispiel durch ein Trauma oder eine Dehydrierung ausgelöst werden. Bei der Epilepsie dagegen treten gehäuft epileptische Anfälle auf. In vielen Fällen kennt man die Ursache für das Anfallsleiden nicht. Man spricht dann von idiopathischer Epilepsie. Genetische Veranlagung kann hierfür eine Rolle spielen. Bei anderen Betroffenen lässt sich die Erkrankung auf eine bestimmte Ursache zurückführen, etwa eine Hirnschädigung während der Geburt, Durchblutungsstörungen im Gehirn, eine frühere Kopfverletzung, Hirntumore oder Alkoholmissbrauch.

Grand Mal – dramatische Anfallsform

Die Epilepsie zeigt sich in unterschiedlichen Erscheinungsformen. Am dramatischsten äußert sich der sogenannte Grand Mal (generalisierter, tonisch-klonischer Anfall). Dabei verliert der Betroffene plötzlich das Bewusstsein und stürzt zu Boden, sein ganzer Körper versteift, der Atem setzt kurz aus und die Pupillen sind geweitet. Anschließend wird der ganze Körper von starken Zuckungen ergriffen. Im Allgemeinen ist dieser Spuk nach spätestens einer Minute vorbei und der Betroffene erlangt das Bewusstsein wieder. Allerdings ist er dann stark erschöpft. Leicht kann es bei einem solchen Anfall zu Verletzungen kommen.

Bei manchen Menschen mit Epilepsie tritt ein solcher Anfall spontan und ohne erkennbaren Auslöser auf. Andere wiederum reagieren auf individuell ganz unterschiedliche Auslöser mit einem Anfall. Das können etwa Schlafmangel, Alkohol, Hormonschwankungen, flackerndes Licht, Videospiele etc. sein. 

Gut zu wissen: COVID-19-Impfung für Epilepsie-Patienten?

  • Derzeit gibt es keine Hinweise darauf, dass Menschen mit Epilepsie ein besonders hohes Nebenwirkungsrisiko bei einer Corona-Impfung haben. Nach Expertenmeinung sollten Epilepsie-Patienten daher den gleichen Impfschutz erhalten wie andere Menschen auch.
  • Es gibt allerdings Epilepsien, bei denen Anfälle durch Infekte oder Impfungen ausgelöst werden können. In diesen Fällen besprechen die Patienten am besten mit dem behandelnden Arzt, ob sie vor der Impfung prophylaktisch z. B. Paracetamol einnehmen oder die Epilepsie-Medikation kurzfristig erhöhen sollten.
  • Die Wirksamkeit der Impfung kann bei einer bestehenden Immunschwäche möglicherweise beeinträchtigt sein. Das gilt auch für eine immunsupprimierende Behandlung, z. B. mit Corticosteroiden, Azathioprin oder monoklonalen Antikörpern wie Rituximab, die bei frühkindlichen und immunologisch bedingten Epilepsien eingesetzt werden. Die betroffenen Patienten sollten daher mit ihrem Arzt vor der Impfung Nutzen und Risiko abwägen.
  • Epilepsie-Patienten sind durch eine COVID-19-Erkrankung nach aktuellem Kenntnisstand nicht stärker gefährdet als Gesunde. Sie werden daher beim Impfangebot nicht priorisiert. Relevante Begleiterkrankungen können jedoch zu einer Priorisierung führen.

Kleinere Anfallsformen – mit oder ohne Bewusstseinsverlust

Andere Menschen mit Epilepsie sind von kleineren Anfallsformen (Petit Mal) betroffen. Hierbei treten nur lokal begrenzte Muskelzuckungen (z. B. im Gesicht oder an den Beinen) auf. Bei manchen Anfallsarten bleibt das Bewusstsein erhalten. Bei wieder anderen Formen kommt es nur zu kurzen Bewusstseinsstörungen, bei denen der Betroffene zwar nicht stürzt, aber weder ansprechbar noch bewegungsfähig ist. Häufig fehlgedeutet werden die sogenannten Absencen. Das sind nur einige Sekunden andauernde Bewusstseins- und Bewegungspausen, in denen der Betroffene lediglich wie weggetreten wirkt. Vor allem wenn es sich um ein Kind handelt, kann dann leicht der Eindruck entstehen, es sei nur verträumt oder gerade bockig.

Gut zu wissen: Appetitzügler als Antiepileptikum

Es gibt viele verschiedene Arten von Epilepsie. Eine der sehr seltenen ist das Dravet-Syndrom (=schwere myoklonische Epilepsie des Kindesalters). Typischerweise macht es sich im Alter von 6 bis 12 Monaten erstmals bemerkbar. Die epileptischen Anfälle treten oft im Zusammenhang mit Fieber auf. Sie dauern meist ungewöhnlich lange (mehr als 20 Minuten) und können mehrmals monatlich wiederkehren. Das Dravet-Syndrom kann mit schweren Entwicklungsstörungen einhergehen.

Die Behandlung dieser Epilepsieform ist sehr schwierig. Seit einigen Tagen gibt es nun eine neue Therapie-Option: Fenfluramin (Fintepla®) steht bei Kindern ab 2 Jahren als Zusatzmedikation zu anderen Antiepileptika zur Verfügung. Fenfluramin unterliegt einer zusätzlichen Überwachung. Es wurde im Jahr 1997 in seiner damaligen Indikation als Appetitzügler wegen kardiovaskulärer Nebenwirkungen vom Markt genommen. Die Rezeptbelieferung in der Apotheke ist nur bei vorliegender Verordner-ID möglich.

Medikamentöse Therapie zur Anfallsvermeidung

Häufig manifestiert sich eine epileptische Erkrankung bereits in jungen Jahren. Damit ein Kind dadurch nicht zu stark in seinen Möglichkeiten (Spielen, Sport etc.) sowie seiner schulischen und sozialen Entwicklung beeinträchtigt wird, ist es wichtig, dass frühzeitig behandelt wird. Antiepileptika (Antikonvulsiva) wie zum Beispiel Carbamazepin, Gabapentin, Lamotrigin, Pregabalin und Valproinsäure erhöhen die Krampfschwelle im Gehirn, indem sie Ionenkanäle bzw. die Konzentration von Neurotransmittern beeinflussen. Antiepileptika wirken aber nur symptomatisch. Sie verhindern also Anfälle, können die Epilepsie aber nicht heilen.

Nicht einfach absetzen!

Patienten sollten ihre Antikonvulsiva keinesfalls eigenmächtig absetzen, auch wenn eine Anfallsfreiheit dazu verleiten könnte. Bei einem plötzlichen Absetzen besteht die Gefahr, dass schwere Entzugsanfälle auftreten bis hin zu einem sogenannten Status epilepticus, der lebensgefährlich ist. Das Medikament kann nur unter ärztlicher Kontrolle langsam ausgeschlichen werden.

Häufige Nebenwirkungen von Antiepileptika sind Schwindel, Müdigkeit und Ataxie (Störungen der Koordination von Muskelbewegungen). Arzneimittelwechselwirkungen, zum Beispiel mit hormonellen Kontrazeptiva und Immunsuppressiva, sind möglich. Regelmäßig sollten die Blutwerte kontrolliert werden. Bei einigen Wirkstoffen, insbesondere Valproinsäure, ist während einer Schwangerschaft dringend Vorsicht geboten.

Möglichkeit des chirurgischen Eingriffs

Ungefähr 30 Prozent aller Epilepsie-Patienten werden durch eine medikamentöse Behandlung nicht anfallsfrei oder erleiden schwere Nebenwirkungen. Für diese Patientengruppe kann die Epilepsiechirurgie eventuell eine Therapiealternative sein. Hierbei wird der Anfallsherd im Gehirn chirurgisch entfernt. Allerdings entschließen sich jährlich nur rund 500 Patienten zu einer solchen Option. Sie kann mit gravierenden Begleiterscheinungen wie zum Beispiel Lähmungen oder kognitiven Einbußen einhergehen.

Was die Zukunft bringen könnte

Große Hoffnungen setzt man auf zukünftige Möglichkeiten der Gentherapie. Hierbei könnten etwa mutierte Genabschnitte in den betroffenen Neuronen verändert oder ausgetauscht werden. Einen interessanten gentherapeutischen Ansatz verfolgen Forscher aus Berlin und Innsbruck: Ein spezielles Gen wird in die Nervenzellen der anfallsauslösenden Hirnregion eingeschleust. Dieses Gen veranlasst die Produktion von Dynorphin, einer körpereigenen Substanz, die vor übermäßiger neuronaler Erregung schützt. Diese Behandlungsform ist aber noch im Tierversuchsstadium. Quellen: Deutsche Gesellschaft für Epileptologie e.V.; Deutsche Epilepsievereinigung e.V.; Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN); Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung (DGKN); Charité – Universitätsmedizin Berlin; I. Milek: Das große PTAheute Handbuch, WVG ;Epilepsiezentrum Freiburg 

Zur Erinnerung: Wie man als Ersthelfer richtig reagiert

In manchen Fällen tritt vor dem Anfall eine kurze Aura auf, sodass der Patient ein „Warnzeichen“ bekommt und sich noch schnell hinlegen kann, um Verletzungen zu vermeiden. Wer als Passant zufällig bei einem epileptischen Anfall dabei ist – und das ist wahrscheinlicher, als einen Herzinfarkt mitzuerleben –, erschrickt sicher zunächst. Sich in so einem Fall richtig zu verhalten, ist aber nicht schwer:

  • Aufpassen, dass sich der Betroffene nicht verletzt (scharfkantige Gegenstände entfernen).
  • Den Kopf leicht polstern (etwas Weiches unterschieben).
  • Den Betroffenen nicht festhalten oder zu Boden drücken.
  • Keinen Keil in den Mund schieben.
  • Dabeibleiben, bis der Patient wieder zu sich gekommen ist.
  • Erst nach dem Anfall in eine stabile Seitenlage bringen.
  • Notruf muss nur dann abgesetzt werden, wenn es zu Verletzungen gekommen ist oder der Anfall länger als fünf Minuten dauert.
  • Notfallausweis suchen und ggf.  angegebene Telefonnummer wählen.