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Zum Europäischen Epilepsie-Tag am 12. Februar: Kann man mit Epilepsie schwanger werden?

Frau mit Epilepsie liegt ohnmächtig am Boden
Bei bestehendem Kinderwunsch sollten Frauen mit Epilepsie frühzeitig ihre Medikamente checken lassen. | Bild: Tunatura / AdobeStock 

Als ihr früherer Neurologe sie auf mögliche Hürden bei einem Kinderwunsch ansprach, kam das für Jule Reuter (Name geändert) völlig unerwartet. „Ich war damals 20. Das Thema Nachwuchs war gedanklich noch in sehr weiter Ferne. Bis dahin war ich nicht auf die Idee gekommen, dass mir meine Epilepsie im Weg stehen könnte“, sagt die heute 39-Jährige aus der Nähe von Berlin. Tatsächlich gilt die Erkrankung an sich dabei nicht als das größte Problem.

Antiepileptika riskant für Ungeborenes

Vielmehr kann ein wichtiger Wirkstoff von Antiepileptika, der vielen Betroffenen Anfallsfreiheit ermöglicht, für ein Ungeborenes riskant sein. Weil aber natürlich auch die dramatischste Form von Anfällen mit Sturz und Bewusstlosigkeit bei Schwangeren vermieden werden soll, ist der Verzicht auf Medikamente auch keine Lösung.

Reuter zeigt sich heute froh über die frühe und sensible Vorwarnung ihres Arztes. Sie sei somit rechtzeitig darüber aufgeklärt worden, wie wichtig eine gut geplante und begleitete Schwangerschaft bei Frauen mit Epilepsie ist. Ohne Zeitdruck habe sie alternative Medikamente ausprobieren können. 

Bei Kinderwunsch: Arzneimittel frühzeitig checken lassen

Wie wichtig Arzneimittelchecks bereits vor der Schwangerschaft sind, betont auch ein Report der Barmer Krankenkasse aus dem Jahr 2021 – 60 Jahre nach dem Skandal um das Beruhigungsmittel Contergan, das bei Ungeborenen zum Teil schwerste Fehlbildungen hervorrief. 

In dem Bericht ging es allgemein um Medikamente, die in der Schwangerschaft schädliche Auswirkungen haben können. Demnach hatten Hunderte Versicherte mit Entbindung im Jahr 2018 im ersten Schwangerschaftsdrittel potenziell riskante Mittel verordnet bekommen. 

Die Kasse plädierte daher bei Frauen im gebärfähigen Alter für eine bessere Dokumentation dauerhaft eingenommener Medikamente. Bisher sei es etwa für Gynäkologen schwer bis unmöglich, solche Arzneien rechtzeitig abzusetzen.

Valproat bei Kinderwunsch: Risiko für Missbildungen

So hatte Jule Reuter zum Beispiel seit dem Auftreten der Epilepsie in ihrer Jugend ein Mittel mit Valproinsäure, Valproat, eingenommen und daraufhin jahrelang keine Anfälle mehr gehabt. Bei diesem Wirkstoff ist jedoch bekannt, dass bei Einnahme in der Schwangerschaft ein hohes Risiko angeborener Missbildungen und schwerer Entwicklungsstörungen besteht, wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte schreibt. Ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko besteht auch bei Wirkstoffkombinationen.

Die Warnungen zu dem Wirkstoff wurden 2018 noch einmal verschärft, die Anwendung ist mit zahlreichen Einschränkungen verbunden. So ist etwa der Einsatz in der Schwangerschaft bei Epilepsie mittlerweile nur noch dann möglich, wenn keine andere geeignete Behandlung verfügbar ist. Mit verschiedenen Maßnahmen soll auch sichergestellt werden, dass Frauen die Risiken verstanden haben. So prangt auf der Packung des Präparats ein rot umrandeter Warnhinweis – unter anderem mit dem Aufruf zur Verhütung.

Das Dilemma: Bei Valproat handele es sich um ein sehr wirksames Mittel, das lange alternativlos gewesen sei, sagt Bettina Schmitz, Chefärztin der Klinik für Neurologie am Vivantes Humboldt-Klinikum in Berlin. „Inzwischen gibt es einige weitere sichere Substanzen. Und das Risiko bei Valproat ist wie so oft auch dosisabhängig.“

Valproat in Schwangerschaft: nur unter ärztlicher Aufsicht

Schmitz leitet das deutsche Register für Schwangerschaften unter Antiepileptika. Dorthin melden Kliniken, Ambulanzen und Praxen freiwillig Angaben zu Schwangeren mit Epilepsie und deren Medikation. Fast 4.300 Fälle aus Deutschland sind erfasst, europaweit mehr als 28.000. All das mit dem Ziel, Empfehlungen zu verbessern. 

Schmitz zufolge ist das bereits gelungen, die Fehlbildungsraten seien stark gesunken. „Bei Kindern von Frauen, die Valproat-Alternativen einnehmen, unterscheiden sich die Raten kaum mehr von denen gesunder Frauen“, sagt Schmitz.

Bleibt die Suche nach einem wirksamen und verträglichen Alternativmedikament erfolglos, muss der Kinderwunsch dennoch nicht abgeschrieben werden. Es gibt in solchen Fällen jedoch viel zu beachten, und zwar schon vor der Schwangerschaft. Geraten wird dann zur Einnahme einer erhöhten Folsäure-Dosis. Diese Prophylaxe werde aber noch bei zu wenigen Frauen eingesetzt, stellte ein Team um die Medizinerin Birgitt Müffelmann in einer Auswertung im Fachblatt „Der Nervenarzt“ fest.

Reduktion der Valproat-Dosis

Da Alternativen bei ihr nicht wirkten, wurde bei Jule Reuter die morgendliche und abendliche Valproat-Dosis verringert. Ziel sei gewesen, dass der Wirkstoffgehalt im Blut immer unter einer bestimmten, noch als sicher geltenden Schwelle bleibt, aber dennoch vor Anfällen schützt. 

Reuter nahm zudem Frühdiagnostik-Untersuchungen wahr, damit mögliche körperliche Fehlbildungen des Kindes hätten erkannt werden können. „Die Ärzte haben meinem Mann und mir von Beginn an gesagt, dass wir uns vorab überlegen müssen, wie wir mit der Nachricht einer Behinderung umgehen würden. Dadurch haben wir uns gut vorbereitet gefühlt.“ Schwere Entscheidungen blieben dem Paar erspart, das mittlerweile zwei Kinder hat, vier und acht Jahre alt. Und kerngesund, wie die Mutter sagt.

Epilepsie und Kinderwunsch: Spezialisten können helfen

Für die Berliner Neurologin Schmitz sind die Schwangerschaften Reuters keine Ausnahmen, der Großteil solcher Fälle verlaufe komplikationslos. Selbst kleinere Anfälle während der Schwangerschaft verliefen in der Regel folgenlos für das Kind und auch die Geburt sei meist auf natürlichem Weg möglich. 

Schmitz rät, bei einem Kinderwunsch Spezialisten hinzuzuziehen, etwa in Epilepsie-Sprechstunden. Andernorts würden Patientinnen manchmal schlecht beraten, auch vor dem Hintergrund von Vorurteilen und althergebrachten Vorstellungen in der Gesellschaft. 

Sie erinnert daran, dass Menschen mit Epilepsie in der NS-Zeit zwangssterilisiert wurden – in der Fehlannahme, es sei eine erbliche Erkrankung. Jahrzehnte danach seien es teils auch betroffene Frauen selbst, die sich aus Angst vor Fehlbildungen, sei es durch Anfälle oder durch Medikamente, gegen Nachwuchs entscheiden. Das müsse nicht sein. Quelle: dpa / mia