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Colchicin als sekun­däre Schlaganfall-Prävention?

Colchicin hilft bei koronaren Herzerkrankungen, aber auch zur Vorbeugung eines Schlaganfalls? | Bild: Peakstock / AdobeStock

„Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist“, wird der Arzt Paracelsus (Theophrastus Bombast von Hohenheim, 1493–1541) oft zitiert. Colchicin, das Alkaloid aus der Herbstzeitlosen (Colchicum autumnale), ist ein typischer Vertreter für die Wahrheit dieses Zitats.  

Wie wirkt Colchicin?

Die tödliche Dosis von Colchicin beim (erwachsenen) Menschen wird auf etwa 20 Milligramm geschätzt. Colchicin bindet an Mikrotubuli-Untereinheiten und ist damit ein wirksamer Mitose-Inhibitor. 

Im ersten Reflex brachte dies Forschende in der Vergangenheit dazu, das Toxin als Mittel gegen Krebs zu erforschen, was allerdings an der hohen Toxizität und den vielen Nebenwirkungen scheiterte.  

Mikrotubuli sind allerdings auch in hohem Maße an der Motilität von Immunzellen wie neutrophilen Granulozyten und Makrophagen innerhalb des Interstitiums des Gewebes beteiligt – diese werden von Colchicin daran gehindert, ins Gewebe einzuwandern und dort Entzündungsprozesse zu vermitteln. Daraus resultiert eine effektive entzündungshemmende Wirkung des Alkaloids.  

Pharmakologisch genutzt wird dies etwa:

Seit 2023 ist Colchicin unter dem Handelsnamen Lodoco® in den USA und der EU auch zugelassen zur Therapie der koronaren Herzkrankheit (KHK). Dabei geht es ebenfalls um die entzündungshemmende Wirkung – und zwar im Zusammenhang mit Arteriosklerose.

Schlaganfall als vaskuläres Ereignis: Hilft hier Colchicin?

Die für Arteriosklerose typischen Gefäßverengungen durch Plaques aus Fett, Cholesterin, Bindegewebe und Kalk gelten als Hauptverursacher kardiovaskulärer Erkrankungen und Ereignisse wie auch Herzinfarkten oder Schlaganfällen

Ging man in der Vergangenheit davon aus, dass vor allem hohe Werte an Cholesterin und anderen Fetten aus der Ernährung wesentlich dafür verantwortlich sind, sehen Forschende heute besonders auch Entzündungsprozesse in den Gefäßwänden als ursächlich an – dort setzt die Behandlung der KHK mit niedrigdosiertem Colchicin an.

Außer der KHK zählen auch ischämische Schlaganfälle zu den „vaskulären Ereignissen“, mit Arteriosklerose als eine der Hauptursachen. Im Grunde ist es also naheliegend, dass Colchicin auch im Zusammenhang mit Schlaganfällen untersucht wurde – insbesondere zur Prävention eines weiteren Schlaganfalls oder anderer vaskulärer Ereignisse nach einem bereits überstandenen.

Während allerdings Studien zur Wirkung des Colchicins im Zusammenhang mit KHK einen signifikanten Vorteil für das Alkaloid bei der Prävention vaskulärer Ereignisse zeigten, verliefen zwei größere Studien im Zusammenhang mit Schlaganfall wesentlich weniger eindeutig.

Colchicin zur Schlaganfall-Prävention: Studien uneindeutig

Die CHANCE-3-Studie(Colchicine in High-risk Patients with Acute Minor-to-moderate Ischemic Stroke or Transient Ischemic Attack) , eine Phase-III-Studie, die den Nutzen von niedrig dosiertem Colchicin bei Patienten mit akutem nicht kardioembolischen ischämischen Schlaganfall untersuchte, wurde 2023 im „International Journal of Stroke“ veröffentlicht.  

Insgesamt 8.238 Patienten mit akuten nicht kardioembolischen ischämischen Schlaganfällen erhielten entweder niedrig dosiertes Colchicin (1 Milligramm täglich an den Tagen 1 bis 3, gefolgt von 0,5 Milligramm täglich für insgesamt 90 Tage) oder Placebo. Dabei lieferte die Studie keine Hinweise darauf, dass Colchicin das Risiko eines erneuten Schlaganfalls bei diesen Patienten reduzieren kann.

2024 veröffentlichten u. a. Forschende der Universität Duisburg-Essen im Fachmagazin „The Lancet“ die CONVINCE-Studie(Colchicine for prevention of vascular inflammation in non-cardioembolic stroke) . 3.154 Patienten erhielten zwischen dem 19. Dezember 2016 und dem 21. November 2022 entweder 0,5 Milligramm Colchicin oral pro Tag zusätzlich zur Standardtherapie oder nur Standardtherapie gemäß der Leitlinien. 

3.144 konnten hinsichtlich des Auftretens von „tödlichem oder nicht-tödlichem rezidivierenden ischämischen Schlaganfall, Myokardinfarkt, Herzstillstand oder Krankenhausaufenthalt wegen instabiler Angina pectoris“ ausgewertet werden.  

Ein so definierter primärer Endpunkt trat bei 338 Patienten auf:  

– 153 (9,8 Prozent) von 1.569 Patienten, die Colchicin und die übliche Behandlung erhielten

– 185 (11,7 Prozent) von 1.575 Patienten, die nur die übliche Behandlung erhielten.

Damit gab es auch bei dieser Studie keinen signifikanten Beweis für den Nutzen von Colchicin zur Prävention nach einem Schlaganfall. 

Allerdings hatte man auch mit der COVID-19-Pandemie zu kämpfen und erhielt weniger Ergebnisse als ursprünglich angestrebt.

Forscher: Colchicin könnte erneutem Schlaganfall vorbeugen

Dennoch zeigen sich die Forschenden zuversichtlich, dass eine weitere Erforschung von Colchicin im Zusammenhang mit Schlaganfällen lohnt: „Wir konnten beobachten, dass bei Patient:innen, die Colchicin eingenommen haben, seltener vaskuläre Erkrankungen auftraten, also Durchblutungsstörungen, die beispielsweise Schlaganfälle und Herzinfarkte auslösen“, erklärt die an der Studie beteiligte Forscherin Bernadette Schröder vom Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (IMIBE) der Universität Duisburg-Essen.  

„Unsere Ergebnisse unterstützen die Annahme, dass Colchicin nach einem Schlaganfall entzündungshemmend wirkt“, sagt Professor Christian Weimar, Neurologe am IMIBE und ebenfalls Mitautor der Studie.

Begründet wird das u. a. damit, dass die mit Colchicin Behandelten „nach 28 Tagen sowie nach ein, zwei und drei Jahren“ einen signifikant niedrigeren Wert des Entzündungsmarkers C-reaktives Protein (CRP) aufwiesen.

Die Forschenden schließen daraus, dass Colchicin also durchaus ein vielversprechendes Arzneimittel zur Vorbeugung eines erneuten Schlaganfalls sein kann – weitere Forschung ist allerdings notwendig, um diesen Effekt zu untermauern. Quellen:
doi:10.1016/j.semarthrit.2015.06.013
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2023/07/19/wie-colchicin-die-khk-therapie-kuenftig-verbessern-koennte
doi: 10.1016/S0140-6736(23)00215-5
doi: 10.1056/NEJMoa2021372
doi: 10.1177/17474930231172312
https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(24)00968-1/abstract
https://www.uni-due.de/2024-07-24-colchicin-senkt-risiko-fuer-schlaganfall