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Glucosefälle in Köln: Mordanklage gegen Apothekerin

Nach zwei Todesfällen in Köln ist nun eine 50-jährige Apothekerin wegen Mordes und fahrlässiger Tötung angeklagt. | Bild: Heilig Geist Apotheke Köln

Ein Jahr nach dem tragischen Tod einer jungen Frau und ihres per Notkaiserschnitts zur Welt gebrachten Babys ist Anklage gegen eine Apothekerin aus Köln erhoben worden. Die Staatsanwaltschaft wirft der 50-Jährigen versuchten Mord durch Unterlassen vor, wie das Landgericht Köln am Dienstag mitteilte. Sie soll pflichtwidrig eine Mitteilung an das behandelnde Krankenhaus unterlassen haben, dass eine Lidocainvergiftung als Ursache für den schlechten Gesundheitszustand in Betracht komme.
Außerdem habe die Staatsanwaltschaft Anklage wegen fahrlässiger Tötung gegen die 50-Jährige erhoben. Dabei gehe es um eine Verunreinigung der Glucose. Ob diese Anklageschrift zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet wird, entscheidet das Gericht. Die Prüfung dürfte einige Wochen in Anspruch nehmen.

Was war passiert?

Eine Frau und ihr durch einen Notkaiserschnitt geborenes Baby waren am 19. September 2019 an Organversagen gestorben. Zuvor hatte die 28-Jährige eine Glucose-Abfüllung aus der Kölner Apotheke zu sich genommen. Später wurde bekannt, dass das Glucose-Präparat mit dem Lokalanästhetikum Lidocainhydrochlorid verunreinigt bzw. vermischt war. Das Präparat war Teil eines Routinetests auf Diabetes in der Schwangerschaft. Erst einige Tage später wurde die Öffentlichkeit informiert und der betroffenen Apotheke untersagt, Medikamente abzufüllen oder selbst zu mischen. Die Apotheke sowie zwei weitere des gleichen Verbundes wurden zudem aus Sicherheitsgründen von der Bezirksregierung vorläufig geschlossen. Das in zu hoher Konzentration toxisch wirkende Lidocainhydrochlorid, das man in der Glucose nachgewiesen hatte, wurde nach früheren Angaben der Ermittler in einem sehr ähnlichen Gefäß gelagert wie die Glucose. Deshalb gehen sie nach früheren Angaben von einem Versehen aus.

Die Mutter starb nach Angaben des Gerichts zu der Anklage an einer Lidocainvergiftung. Ihr Kind sei an seiner Frühgeburtlichkeit oder an einer Lidocainvergiftung gestorben. Eine andere Schwangere, die nur einen Schluck der Lösung getrunken habe, habe sich im Krankenhaus rasch von der Lidocainvergiftung erholt.

Zur Erinnerung: Wie wirkt Lidocain?

Lidocainhydrochlorid wird als Lokalanästhetikum zur Vorbeugung und Behandlung von Schmerzen sowie als Antiarrhythmikum eingesetzt. Aufgrund der betäubenden Wirkung wird Lidocainhydrochlorid auch in Lutschtabletten, Mund- und Halssprays bei Halsschmerzen und Zahnungsbeschwerden eingesetzt. In  Salben und Suppositorien kommt das Lokalanästhetikum bei Hämorrhoiden sowie vorzeitigem Samenerguss zum Einsatz. Hierbei werden immer nur geringe Mengen Lidocain aufgenommen. Die maximale Dosis für Erwachsene beträgt circa 200 mg Lidocain. Bei Kindern unter zwölf Jahren sollte eine Maximaldosis von 3 mg/kg Körpergewicht nicht überschritten werden.

Lidocain wirkt über die Blockade der spannungsabhängigen Natrium-Kanäle. Dort verhindert das Lokalanästhetikum die Weiterleitung von Nervenimpulsen in die sensiblen Nervenfasern und hemmt so die Schmerzauslösung. In zu hohen Dosen kann Lidocain aber auch andere Ionenkanäle, etwa Kaliumkanäle, blockieren. Durch diese Hemmung der Reizweiterleitung kann es bei einer Überdosierung auch zu kardialen und zentralnervösen Störungen kommen. Mögliche Folgen können eine Bradykardie bis hin zum Herzstillstand sowie Delir, Krämpfe und Atemlähmung sein.

Anklage wegen Mord durch Unterlassen

Der Apothekerin wirft die Staatsanwaltschaft allerdings Mord durch Unterlassen vor. „Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die Angeschuldigte durch Hinweise von Mitarbeitern der gynäkologischen Praxis und einer Ärztin aus dem behandelnden Krankenhaus auf die Vorfälle vom 17. und 19.09.2020 nach Kontrolle der eigenen Bestände und nach einer Besprechung mit ihren Mitarbeitern spätestens um die Mittagszeit wissen musste, dass bei den später Verstorbenen eine Lidocainvergiftung als Ursache für den schlechten Gesundheitszustand in Betracht kommt“, erklärte das Gericht.
Gleichwohl soll die Apothekerin nach Ansicht der Staatsanwaltschaft nicht das behandelnde Krankenhaus informiert haben. Die Angeschuldigte soll deswegen billigend in Kauf genommen haben, dass die junge Frau und ihr Kind „auch aufgrund ihrer unterlassenen Mitteilung (früher) versterben könnten“.

Die Verteidigung kritisierte die Argumentation der Staatsanwaltschaft als „befremdlich“. Ihre Mandantin sei weder verantwortlich für die bis heute ungeklärte Verunreinigung der Glucose noch habe sie irgendetwas vertuschen wollen. Das Gegenteil sei richtig: Sie habe das Glucosegefäß sofort nachdem sie vom Zusammenbruch der Frau erfahren habe der Klinik ausgehändigt. Hätte sie etwas verheimlichen wollen, hätte sie das Gefäß beseitigen können. Die Verteidigung zeigte sich zuversichtlich, dass sich im weiteren Verfahren die Unschuld der Apothekerin herausstellen werde. Quelle: dpa / cn