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Auswirkungen der Corona-Pandemie: Wie steht es um andere Infektionskrankheiten?

Während manche Infektionskrankheiten wie Mumps und Windpocken dank Corona rückläufig sind, scheinen die Pandemie-Schutzmaßnahmen keine positiven Auswirkungen auf die Verbreitung von Rhinoviren zu haben. | Bild: IMAGO / Emmanuele Contini

Es gibt nicht nur COVID-19 – auch wenn die durch SARS-CoV-2 verursachte Infektionserkrankung das letzte Jahr dominierte und das auch noch weiterhin tun wird. Doch was machen eigentlich andere Infektionskrankheiten? Kann COVID-19 zumindest mit einem positiven Effekt auf Influenza, Masern und Mumps aufwarten, sodass es wenigstens hier weniger Infektionen gibt? Gibt es Erreger, die COVID-19 kalt lässt und die weiterhin auf Vorjahresniveau zirkulieren? Und wo könnte Corona alles verschlimmern?

Rückgang von Influenza und Pneumokokken

Bislang ist eine Grippewelle nicht in Sicht. Die Influenzaviren gebaren sich zurückhaltend, und das Robert Koch-Institut (RKI) meldet für die dritte Kalenderwoche 30 labordiagnostisch bestätigte Influenzafälle. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum 2020 waren es laut dem dritten RKI-Wochenbericht 4.439 Grippefälle gewesen. Damals war die Grippewelle in vollem Gange. Das Nationale Referenzzentrum für Influenza (NRZ) fand in 31 Prozent der untersuchten Proben Grippeviren – in dieser Saison noch in keiner einzigen. Auch waren damals seit Beginn der Grippesaison 40 Menschen mit einem positiven Influenzanachweis verstorben, aktuell gibt es – nach Meldedaten des RKI – keinen Grippetoten zu beklagen. Dass die Grippewelle in diesem Jahr vielleicht ausbleiben könnte, wird vor allem auf coronabedingte Infektionsschutzmaßnahmen zurückgeführt. SARS-CoV-2 gelingt es dennoch, sich auszubreiten, weil in der Bevölkerung unter anderem eine Immunität fehlt. Außerdem sei die Übertragungsrate noch vor Symptombeginn hoch, erklärt RKI-Chef Professor Lothar Wieler. Auch invasive Pneumokokken-Erkrankungen wurden 2020 mit 547 Fällen seltener gemeldet als noch 2019 mit 783 Fällen.

Kaum Einfluss auf Rhinoviren

Rhinoviren sind die häufigsten Erreger für Schnupfen- und Erkältungskrankheiten (40 Prozent). Das Nationale Referenzzentrum für Influenza fand in den eingesandten Atemwegproben 2020 und 2021 jeweils auch Rhinoviren – allerdings ähneln sich die Positivenraten sehr: Das NRZ detektierte 8 Prozent in der dritten KW 2020 und 6 Prozent in der dritten KW 2021. Auch in der zweiten Kalenderwoche gab es kaum Unterschiede: 7 Prozent 2020 und 8 Prozent 2021, in der ersten KW waren es 2020 immerhin 17 Prozent und in diesem Jahr 10 Prozent. Doch warum ähneln sich die Werte trotz der Corona-Schutzmaßnahmen so?

Rhinoviren: Unbehüllt und robust

Während Kontaktbeschränkungen, Kita- und Schulschließungen die Influenzainfektionen verringern, beobachtet man bei Rhinoviren diesen Effekt nicht. Rhinoviren werden, wie auch Influenzaviren, über Aerosole weitergegeben – Sprechen, Husten, Niesen – oder durch direkten Kontakt wie Händeschütteln. Daneben lassen sich Rhinoviren auch über Gegenstände übertragen und bleiben dort mehrere Tage infektiös.

Wie stabil Grippeviren auf Oberflächen sind, ist laut RKI ein „kompliziertes Kapitel“, da es wenig „griffige Daten“ dazu gebe, erklärte die RKI-Sprecherin Susanne Glasmacher auf eine frühere Anfrage der Redaktion. Dadurch, dass unendlich viele Varianten des Influenzavirus existierten, sei eine einfache, pauschale Zeitangabe nicht möglich. Glasmacher zufolge spielen viele Faktoren eine Rolle: der Subtyp des Grippevirus, die Zahl der Viren auf der Oberfläche, die Luftfeuchtigkeit und die Temperatur. „Vermutlich sind Influenzaviren nicht sehr umweltstabil“, sagte Glasmacher damals.

Ein Grund für die Hartnäckigkeit der Rhinoviren könnte sein, dass diese zu den unbehüllten Viren zählen, Influenzaviren hingegen zu den behüllten. Rhinoviren fehlt eine äußere Lipidschicht, was sie resistenter gegenüber Umwelteinflüssen und Desinfektionsmitteln macht. Zur Inaktivierung bedarf es daher „viruzider“ Desinfektionsmittel, für behüllte Viren hingegen genügt „begrenzt viruzid“.

Deutlich weniger Masernfälle

Zurückgegangen sind 2020 hingegen die gemeldeten Masernfälle im Vergleich zum Vorjahr: Laut SurvStat – einer webbasierten Abfragemöglichkeit des RKI zu Infektionserkrankungen nach Infektionsschutzgesetz (IfSG) – kam es 2019 noch zu 595 Masernfällen, 2020 wurden nach IfSG 160 Masernfällen in Deutschland gemeldet. Offen bleibt die Frage, ob das seit 1. März 2020 in Kraft getretene Masernschutzgesetz den Rückgang der Maserninfektionen bereits unterstützte.

Zur Erinnerung: Das Masernschutzgesetz

Seit Inkraftreten des Masernschutzgesetzes müssen Eltern, die ihre Kinder in einer Kita, einer Tagespflege oder Schule anmelden wollen, nachweisen, dass diese gegen Masern geimpft sind. Gleiches gilt für die Aufnahme in Gemeinschaftseinrichtungen wie Heime oder Asylbewerberunterkünfte. Und auch nach 1970 geborene Beschäftigte in medizinischen Einrichtungen (Arztpraxis, ambulante Pflegedienste, Krankenhäuser) müssen geimpft sein oder ihre Immunität nachweisen.

Wie sieht es also mit den Impfquoten aus – erhöhten die sich im letzten Jahr? Daten hierzu sind noch nicht verfügbar. Die jüngsten Daten zu Impfquoten bei Masernimpfungen stammen aus dem Jahr 2018 (veröffentlicht im Epidemiologischen Bulletin 32/33| 2020). Damals waren 93 Prozent der Kinder bei den Schuleingangsuntersuchungen zweimal gegen Masern geimpft.

Gut zu wissen: SurvStat@RKI – was ist das?

Survstat@rki bietet die Möglichkeit einer webbasierten Abfrage nach Infektionsschutzgesetz (IfSG). Die Plattform betreibt das Robert Koch-Institut (RKI). Abgefragt werden kann ein vereinfachter Datenbestand der gemäß Infektionsschutzgesetz meldepflichtigen Krankheitsfälle und Erregernachweise, die an das RKI übermittelt wurden. Mit zahlreichen Filtereinstellungen lassen sich Meldezeiträume, Erkrankungen und Erreger eingrenzen. Zudem besteht die Möglichkeit, nach Alter der Infizierten beziehungsweise nach regionalen Erkrankungsgipfeln zu sortieren (z. B. nach Bundesland). Im Falle der Meningokokken lassen sich Analysen beispielsweise nach „invasiver Erkrankung“ oder nach den jeweiligen Serogruppen erstellen.

Rückgang auch bei Mumps und Windpocken

Rückläufig waren auch Mumps- und Windpockenerkrankungen. 2019 wurden 779 Mumpsfälle und noch 22.682 Windpockenerkrankte gemeldet – im letzten Jahr waren es noch 534 Mumpsfälle und 11.308 Windpockeninfektionen, also über 10.000 weniger (SurvStat-Abfrage vom 31.01.2021). Beide Viruserkrankungen werden ebenfalls über Tröpfchen sowie durch direkten Kontakt (bei Windpocken über die Varizellenbläschen) übertragen. Mumps zusätzlich (selten) über mit Speichel kontaminierte Gegenstände, Windpocken übertragen sich auch über die Luft (daher der Name Windpocken).

Weniger Infektionen gleich weniger Arztbesuche?

Bereits im Januar hatte das RKI mitgeteilt, dass zwischen März und Anfang August 2020 etwa 35 Prozent weniger Fälle nach IfSG meldepflichtiger Erkrankungen gemeldet wurden, als aufgrund der Daten von Januar 2016 bis Februar 2020 zu erwarten gewesen wären. Gemeldet wurden insgesamt rund 140.000 Fälle. Das RKI erklärt dazu: „Die meldepflichtigen Infektionskrankheiten sind seit Beginn der Pandemie eindeutig zurückgegangen.“ Das sagte Sonia Boender vom Fachgebiet Surveillance am RKI in einem Beitrag bei Spektrum.de.

Die Gründe sind vielschichtig. Masken, Kontaktbeschränkungen und andere Maßnahmen wirkten nicht nur gegen SARS-CoV-2, sondern auch gegen andere Erreger. Auch gehen die Menschen seltener zum Arzt, wahrscheinlich aus Angst, sich mit SARS-CoV-2 anzustecken – und was nicht diagnostiziert ist, kann auch nicht gemeldet werden. Allerdings könnte der Rückgang der gemeldeten Infektionen auch einen weiteren Grund haben: So könnte auch einfach das Meldesystem aufgrund der Pandemie seltener genutzt und dies dazu beitragen, dass weniger Infektionserkrankungen gemeldet werden. Diese Effekte sind nicht auf Deutschland begrenzt.

Rückgang der Infektionen auch in anderen Ländern

So beobachtete auch das norwegische „Folkehelseinstituttet“, das dem dortigen Gesundheitsministerium unterstellt ist und sich um Aufsicht, Forschung, Dienstleistung und Beratung im Gesundheitswesen kümmert, einen Rückgang bei übertragbaren Krankheiten. Sie hatten die meldepflichtigen Erkrankungen von Februar bis April 2020 mit den gleichen Zeiträumen der Vorjahre (2017 bis 2019) verglichen. Ihr Fazit lautet ähnlich wie das des RKI: „Der beobachtete Rückgang der Meldungen anderer Krankheiten als COVID-19 könnte auf ein durch umfassende Infektionsschutzmaßnahmen und soziale Distanzierung verringertes Risiko für die Übertragung dieser Krankheiten zurückzuführen sein.“ Und weiter: „Es ist jedoch auch möglich, dass das Überwachungssystem durch den erhöhten Ressourceneinsatz für das COVID-19-Management beeinträchtigt wurde.“

Weltweit: Masern, Malaria und HIV könnten sich ausbreiten

In anderen Teilen der Welt könnten sich Infektionserkrankungen wie Masern, Malaria oder HIV durch die COVID-19-Pandemie hingegen sogar stärker ausbreiten. So veröffentlichte die US-amerikanische Seuchenbehörde CDC (Centers for Disease Control and Prevention) bereits am 14. April 2020 gemeinsam mit Unicef, der United Nations Foundation, der WHO und dem amerikanischen Roten Kreuz ihre Sorge, wie sich COVID-19 auf die Durchimpfungsrate gegen Masern auswirken. Schon damals befürchteten die Organisationen, dass durch COVID-19 „weltweit 117 Millionen Kinder in 37 Ländern die lebensrettenden Masernimpfungen verpassen“. So waren im April 2020 schon in 24 Ländern Masern-Immunisierungskampagnen verschoben worden.

20.000 bis 100.000 mehr Malaria-Tote

Sorgen macht man sich auch um Malaria. Laut der WHO kann es durch COVID-19 zu Zehntausenden zusätzlichen Todesfällen kommen. In einer Mitteilung anlässlich der Veröffentlichung des „World Malaria Report 2020“ spricht die WHO von 20.000 bis 100.000 mehr Malaria-Toten – je nachdem, wie stark die Gesundheitsdienste bei Diagnose und Behandlung von Malaria eingeschränkt worden seien. Auch wenn die meisten Malaria-Präventionskampagnen 2020 ohne große Verzögerungen vorangingen, zeigt der Malariabericht der WHO auch, dass Unterbrechungen und Verzögerungen bei Diagnose und Behandlung von Malaria zu einem beträchtlichen Verlust an Menschenleben führen könnten. 2019 erkrankten 219 Millionen Menschen an Malaria, 400.000 starben – dabei ist Malaria eigentlich gut behandelbar.

123.000 bis 293.000 zusätzliche HIV-Neuinfektionen

Auch bei HIV gehen Experten davon aus, dass sich weltweit die Zahl der Neuinfektionen durch COVID-19 erhöht. Laut einem Bericht von Unaids, dem gemeinsamen Programm der Vereinten Nationen für HIV/Aids, war die weltweite AIDS-Bekämpfung schon vor der Pandemie aus dem Ruder gelaufen. Nun habe die schnelle Ausbreitung des Coronavirus zusätzliche Rückschläge verursacht. Modellierungen der langfristigen COVID-19-Auswirkungen auf die HIV-Bekämpfung zeigten, dass es zwischen 2020 und 2022 zu schätzungsweise 123.000 bis 293.000 zusätzlichen HIV-Neuinfektionen und 69.000 bis 148.000 zusätzlichen AIDS-bedingten Todesfällen kommen könnte, schreibt UNAIDS Ende November 2020. Die meisten HIV-Infektionen treten in Afrika auf. In den dortigen Ländern ist das Gesundheitssystem meist weniger gut ausgebaut. Nun schränken die Pandemie selbst wie auch Maßnahmen gegen COVID-19 den Zugang der Menschen zur medizinischen Versorgung dort zusätzlich ein.