Aktuelles
4 min merken gemerkt Artikel drucken

Neues Online-Journal „Evidence for Self-Medication“: Was ist eigentlich evidenz­basierte Selbstmedikation?

Bei der Beratung in der Selbstmedikation ist das Hinterfragen des Patientenwunsches von großer Bedeutung. Wie evident ist der Selbstmedikationswunsch? Wie findet man so etwas heraus? | Bild: Westend61 / AdobeStock

Allein in Deutschland wurden 2020 mehr als 547 Millionen Packungen OTC-Arzneimittel abgegeben. Häufig werden Entscheidungen zur Selbstmedikation durch die Patienten selbst getroffen. Die Informationen für diese Entscheidungen werden oft aus dem Internet bezogen. Angesichts der exponenziell angestiegenen Menge an Arzneimittelinformationen scheint es dabei unmöglich, den Überblick zu behalten. Deshalb ist es bei der Beratung in der Apotheke umso wichtiger, die Eigendiagnose der Patienten und deren Selbstmedikationswunsch zu hinterfragen.

Warum wird ein OTC-Medikament empfohlen?

Wie kann man bei der Beratung zu einem Arzneimittel also sichergehen, dass es dem Patienten tatsächlich hilft? Weil dieser es schon einmal eingenommen hat und es ihm nach der Einnahme besser ging? Weil Experten von dem Mittel überzeugt sind? Weil es im Lehrbuch steht oder ein Pharmareferent es plausibel erklären konnte? Weil der Wirkungsmechanismus einleuchtend ist? Oder weil das Arzneimittel schließlich für die Indikation zugelassen ist?

Evidenz für die Selbstmedikation – neues Portal 

Die Begründer der sogenannten evidenzbasierten Pharmazie haben Methoden entwickelt, mit denen man relevante Informationen finden, bewerten und einordnen kann. Seit Anfang September 2021 ist hierfür auch das neue Open Access Review Journal „Evidence for Self-Medication“ (EfSM) online und unter https://efsm.online erreichbar. Zum Start sind dort bereits mehr als 20 Studienzusammenfassungen verfügbar. 

Gut zu wissen: Was ist eigentlich Evidenz?

Das deutsche Wort leitet sich von dem englischen Begriff „evidence“ ab, das häufig mit „Beleg“ oder „Hinweis“ übersetzt wird. Was genau damit gemeint ist, verrät auch ein Blick auf englischsprachige Krimiserien: Hier wird „evidence“ für das gesammelte Beweismaterial benutzt, das dazu dienen soll, den Verdächtigen zu überführen. Dazu gehören also in diesem Beispiel etwa Fuß- und Fingerabdrücke, DNA-Spuren, Zeugenaussagen, das Alibi des Verdächtigen und ein plausibles Motiv, das die Ermittler durch Hintergrundrecherche herausgefunden haben. Ist genügend aussagekräftige Evidenz zusammengetragen, kann der Mörder mit ausreichender Sicherheit überführt werden. 

Übertragen auf die Pharmazie heißt das: Sofern es ausreichend Evidenz aus klinischen Studien gibt, kann die Wirksamkeit eines Medikaments als gesichert angesehen werden. Allerdings ist nicht alle Evidenz immer im gleichen Ausmaß tatsächlich aussagekräftig und eindeutig. Während sich beispielsweise DNA-Spuren relativ eindeutig zuordnen lassen (außer bei eineiigen Zwillingen), muss ein übereinstimmender Fußabdruck nicht zwangsläufig vom Verdächtigen stammen. Vielleicht hat jemand zufällig die gleichen Schuhe getragen oder hat sich die Schuhe des Verdächtigen ausgeliehen. Gleiches gilt auch bei klinischen Studien: Je nach Machart der Studie ist nicht jedes Ergebnis gleich zuverlässig. Deshalb muss man klinische Studien immer im Detail beurteilen und kritisch hinterfragen.

Wissenschaftliche Studien aufbereitet und erklärt 

Wissenschaftliche Studien sind in der Regel komplex, sodass für ihre Aufarbeitung Zeit und weitreichende Kenntnisse erforderlich sind. Ziel von Evidence for Self-Medication (EfSM) ist es, aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zu OTC-Arzneimitteln und -Wirkstoffen zusammenzufassen und Originalstudien, die bereits in anerkannten wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht wurden, in kompakter Form wiederzugeben. So können Ärzte, Apotheker und Angehörige anderer Gesundheitsberufe ihre Patienten bestmöglich – nämlich evidenzbasiert und mit Bezug zum Beratungsgespräch – unterstützen. Alle EfSM-Artikel sind auf Deutsch und Englisch verfügbar, viele auch in weiteren Sprachen.

Ibuprofen und Ibuprofen-Lysinat zur akuten Schmerztherapie 

Als neue Studie stellt EfSM zum Start unter anderem das Ergebnis eines Wirksamkeitsvergleichs von Ibuprofen-Lysinat und Ibuprofen in der akuten Schmerztherapie zur Verfügung. Die Nutzer erhalten in kurzer, kompakter Form die wissenschaftlich relevanten Fakten und können das entsprechende PDF kostenfrei herunterladen. Einige Beiträge enthalten Videomaterial zur weitergehenden Wissensvermittlung.  

„Selbstmedikation ist eine wichtige Säule der Gesundheitsversorgung. Sie sollte ebenso wie eine ärztlich verordnete Therapie auf Basis der verfügbaren Evidenz durchgeführt werden.“ 

Prof. Dr. med. Thomas Herdegen, Vorsitzender des EfSM-Herausgeberbeirats (Universität Kiel)

Wer steckt hinter dem Portal?

Der EfSM-Herausgeberbeirat besteht aus einer Gruppe angesehener Apotheker, Ärzte, Pharmakologen und Life-Science-Wissenschaftler, die von der Redaktion ausgewählt und von der Chefredaktion ernannt werden. Die Mitglieder des Herausgeberbeirats beraten die Redaktion während des gesamten Peer-Review-Verfahrens. Vorsitzender des Herausgeberbeirats ist Prof. Dr. med. Thomas Herdegen vom Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie der Universität Kiel.