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Was ist eigentlich die Spinale Muskelatrophie?

Kleinkind sitzt auf dem Boden
Eigenständig zu sitzen ist für Kinder mit der schwersten Form der Spinalen Muskelatrophie (SMA) nicht möglich. | Bild: Syda Productions / AdobeStock

Jährlich kommen in Europa etwa 550 bis 600 Babys mit Spinaler Muskelatrophie (SMA) zur Welt. Dieser seltenen Erkrankung liegt ein Gendefekt, also ein Fehler in der Erbinformation, zugrunde. Patienten, die an Spinaler Muskelatrophie leiden, produzieren zu wenig eines körpereigenen Proteins: Survival Motoneuron (SMN). 

Wie der Name sagt (survival = Überleben), ist dieses Survival Motoneuron jedoch für das Überleben von Motoneuronen erforderlich. Motoneurone sitzen im Rückenmark und übertragen die „Idee“ einer Bewegung auf die Muskulatur, so dass der Wille zur wirklichen Tat wird und sich die Muskulatur in Gang setzt. Gehen diese hierfür zuständigen Motoneurone jedoch zugrunde – weil, wie bei spinaler Muskelatrophie, das Survival Motoneuron fehlt oder schlicht zu wenig vorhanden ist –, kann diese Übertragung nicht mehr stattfinden. 

Die Folge: Der Stimulus für die Muskulatur fehlt und diese verkümmert (atrophiert) nach und nach.

Wie äußert sich die Spinale Muskelatrophie?

Die SMA betrifft alle Muskeln des Körpers, jedoch sind häufig die Schulter-, Hüft- und Rückenmuskulatur beeinträchtigt, sprich die rumpfnahen Muskeln. Durch Beeinträchtigung der Kau- und Schluckmuskulatur fällt den Betroffenen eine normale Nahrungsaufnahme schwer beziehungsweise wird zunehmend unmöglich, teils müssen erfolgt die Ernährung über eine Nahrungssonde. 

Verkümmert die Atemmuskulatur, schränkt dies die Sauerstoffaufnahme der Betroffenen ein. Teilweise ist die Atmung so schwach, dass die Patienten für eine ausreichende Sauerstoffsättigung auf Beatmung angewiesen sind. 

Die Menge an vorhandenem Survival Motoneuron steht in direktem Zusammenhang mit der Schwere der Erkrankung: Je weniger SMN, desto früher erkranken die Kinder und desto schwerwiegender verläuft die Spinale Muskelatrophie. Man unterscheidet vier verschiedene Ausprägungen der Erkrankung: Typ I, II, III, IV. 

Akut infantile SMA: Symptomatik bereits im Mutterleib

Bei der schwersten Form, der akut infantilen SMA, beginnt die klinische Symptomatik bereits im Mutterleib oder wird innerhalb der ersten drei Lebensmonate des Kindes diagnostiziert. Die Kinder lernen nie, eigenständig zu sitzen und sterben sehr früh an Ateminsuffizienz oder an sekundären Atemwegsinfektionen, meist während ihrer ersten zwei Lebensjahre.

Typ-II-SMA: flache Atmung und Schwierigkeiten beim Sitzen

Typ-II-SMA diagnostizieren Ärzte meist vor Erreichen des zweiten Lebensjahres. Die Kinder können selbstständig sitzen, haben meist jedoch Schwierigkeiten, die Sitzposition einzunehmen. Stehen ist teilweise mit Unterstützung von Orthesen möglich. 

Häufig atmen die Kinder flach, hauptsächlich mit dem Zwerchfell, da die Zwischenrippenmuskulatur schwach ausgeprägt ist. Das kann Schwierigkeiten beim Abhusten oder mit der ausreichenden nächtlichen Sauerstoffversorgung mit sich bringen.

Juvenile Form: Nicht immer klappt Rennen

Die juvenile Form der SMA oder TYP-III-SMA variiert im Beginn. Der Diagnosezeitraum liegt zwischen Kindes- und Jugendalter der Patienten. Selten haben die Kinder mit juveniler SMA Schwierigkeiten beim Essen oder Schlucken, Laufen ist möglich. Allerdings kann mit Fortschreiten der Erkrankung diese Fähigkeit eingeschränkt werden. Nicht immer klappt Rennen.

Typ-IV-SMA: Langsamer Verlauf im Erwachsenenalter

Bei der Erwachsenenform der SMA (Typ IV) zeigen sich Symptome nach dem 35. Lebensjahr. Diese Form hat die günstigste Prognose, ist jedoch am seltensten verbreitet. Der Verlauf ist sehr langsam, Einschränkungen beim Atmen oder Schlucken haben diese Patienten in aller Regel nicht.

Therapieoptionen für die Spinale Muskelatrophie

Zur Therapie der SMA stehen mittlerweile drei Medikamente zur Verfügung, wobei nicht alle bei allen SMA-Typen zugelassen sind. Eine Heilung ist durch keines der derzeit zugelassenen Arzneimittel möglich.

Nusinersen in Spinraza® erhöht – einfach formuliert – die Bildung des „Überlebenseiweißes“ SMN, sodass die Motoneurone vor dem Untergang geschützt werden. Je früher die Therapie mit Nusinersen startet, desto besser lassen sich motorische Funktionen der Kinder erhalten. Spinraza® müssen Ärzte direkt ins Rückenmark, intrathekal, applizieren.

2020 erhielt erstmals eine Gentherapie – Zolgensma® – die EU-Zulassung und damit Eingang in die Behandlung der Spinalen Muskelatrophie. Anders als Spinraza® adressiert Zolgensma® die Ursache der SMA: Es ersetzt das defekte Gen SMN1. Zolgensma® liefert eine voll funktionsfähige Kopie des menschlichen SMN-Gens, sodass die Patienten ausreichend Survival Motoneuron bilden können und das Fortschreiten der Erkrankung und ein weiterer Verlust der Motoneurone aufgehalten werden. Zolgensma® wird als einmalige intravenöse Infusion verabreicht. 

Anfang 2021 erhielt die erste orale Behandlungsmöglichkeit bei SMA die europäische Zulassung: Risdiplam in Evrysdi® . Risdiplam versetzt das SMN2-Gen in die Lage, ein Survival-Motoneuron-Protein in voller Länge zu produzieren, das normal arbeiten kann und so das Fortschreiten der Erkrankung verzögert.