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Gesetz gegen Lieferengpässe bei Kinderarzneimitteln 

Eltern von kranken Kindern zittern derzeit oft, ob das verordnete Arzneimittel überhaupt zu bekommen ist. | Bild: Alex Schelbert / PTAheute

In dem heute veröffentlichten Eckpunktepapier stellt das Bundesgesundheitsministerium (BMG) zunächst fest, dass die Zahl der Lieferengpässe bei Arzneimitteln in den letzten Jahren deutlich angestiegen sei. Zudem gebe es versorgungsrelevante Engpässe. Diese hat der Beirat zur Versorgungslage mit Arzneimitteln beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aktuell für Arzneimittel zur Therapie onkologischer Erkrankungen (Tamoxifen, Folinate) sowie Antibiotika und Arzneimittel zur Fiebersenkung bei Kindern festgestellt.

Globalisierung und Kostendruck Ursache von Lieferengpässen 

Die Ursachen der Engpässe sind vielfältig: Die Globalisierung und starker Kostendruck bei der Generika-Industrie hätten bei einer Vielzahl von Wirkstoffen und Arzneimitteln bereits zu einer Konzentration auf wenige Herstellungsstätten, überwiegend in Drittstaaten (insbesondere in China und Indien) geführt, so das BMG. Dies berge das Risiko von Lieferkettenunterbrechungen und strategischen Abhängigkeiten in sich – hakt es an einer Stelle, kann dies bekanntlich leicht massive Folgen haben. Weitere Gründe seien unerwartet steigende Nachfragen und Produktions- und Lieferverzögerungen für Vorprodukte.

Auch wenn nicht jeder Lieferengpass zu einem Versorgungsengpass führe, gelte es, Lieferengpässe früh zu erkennen und gegenzusteuern, heißt es weiter. Das BMG verspricht: „Wir wollen Versorgungsengpässe entschieden bekämpfen und Maßnahmen ergreifen, um Lieferketten und Versorgungssicherheit zu stärken.“ Einen Fokus will es dabei auf Kinderarzneimittel setzen.

Keine Festbeträge und Rabattverträge für kritische Kinderarzneimittel 

Der BfArM-Beirat zu Liefer- und Versorgungsengpässen soll unter Berücksichtigung der Zulassung, des Anwendungsgebietes, der Darreichungsform und der Dosierung eine Liste von Arzneimitteln erstellen, die für die Sicherstellung der Versorgung von Kindern erforderlich sind. Für diese Arzneimittel dürfen zukünftig keine Rabattverträge abgeschlossen und keine Eingruppierungen in Festbetragsgruppen vorgenommen werden. Bestehende Festbeträge werden aufgehoben. Das Preismoratorium für diese Arzneimittel soll angepasst werden. Als neue Preisobergrenze wird das 1,5-Fache eines aktuell bestehenden Festbetrags oder, sofern kein Festbetrag besteht, das 1,5-Fache des Preismoratoriums-Preises festgelegt.

Die GKV soll für Kinder bis zum vollendeten 12. Lebensjahr und für Jugendliche mit Entwicklungsstörungen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr die Mehrkosten von ärztlich verordneten Arzneimitteln bis zum 1,5-fachen Festbetrag übernehmen müssen, wenn ein Arzneimittel über Festbetrag abgegeben wird.

Zur Erinnerung: Was ist ein Festbetrag? 

Der Festbetrag eines Arzneimittels ist der maximale Betrag, den die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) für dieses Arzneimittel bezahlen. Ist sein Verkaufspreis höher als dieser Festbetrag, tragen Patienten in der Regel die Differenz zum Festbetrag entweder selbst oder sie erhalten ein anderes – therapeutisch gleichwertiges – Arzneimittel ohne Aufzahlung.

Zunächst bestimmt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Wirkstoffgruppen, für die Festbeträge festgelegt werden können. Sogenannte Festbetragsgruppen enthalten nur Wirkstoffe und keine Namen von Fertigarzneimitteln. Bei den Festbetragsgruppen gibt es verschiedene Stufen:

  • Stufe 1: Arzneimittel mit denselben Wirkstoffen
  • Stufe 2: Arzneimittel mit pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen, insbesondere mit chemisch verwandten Stoffen
  • Stufe 3: Arzneimittel mit therapeutisch vergleichbarer Wirkung, insbesondere Arzneimittelkombinationen

Der G-BA ermittelt daraufhin die notwendigen rechnerischen mittleren Tages- oder Einzeldosen oder andere geeignete Vergleichsgrößen, die in die spätere konkrete Errechnung der Festbeträge mit einfließen.

Verbesserung der Arzneimittelversorgung für Patientinnen und Patienten in Apotheken 

Auch für die Apotheken wird es Neues geben: Für Arzneimittel, bei denen der Beirat eine kritische Versorgungslage festgestellt hat, sollen die vereinfachten Austauschregelungen nach § 1 Absatz 3 der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung verstetigt werden.

Wortlaut des § 1 Absatz 3 der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung  

Abweichend von § 129 Absatz 1 Satz 1 bis 5 und 8 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch und dem Rahmenvertrag nach § 129 Absatz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch dürfen Apotheken, wenn das auf der Grundlage der Verordnung abzugebende Arzneimittel in der Apotheke nicht vorrätig ist, an den Versicherten ein in der Apotheke vorrätiges wirkstoffgleiches Arzneimittel abgeben; ist kein wirkstoffgleiches Arzneimittel in der Apotheke vorrätig und ist das abzugebende Arzneimittel auch nicht lieferbar, darf ein lieferbares wirkstoffgleiches Arzneimittel abgegeben werden. Sofern weder das auf der Grundlage der Verordnung abzugebende noch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel vorrätig oder lieferbar ist, dürfen Apotheken nach Rücksprache mit dem verordnenden Arzt ein pharmakologisch-therapeutisch vergleichbares Arzneimittel an den Versicherten abgeben; dies ist auf dem Arzneiverordnungsblatt zu dokumentieren. Satz 2 gilt entsprechend für den Fall, dass der verordnende Arzt den Austausch des Arzneimittels ausgeschlossen hat. Apotheken dürfen ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt von der ärztlichen Verordnung im Hinblick auf Folgendes abweichen, sofern dadurch die verordnete Gesamtmenge des Wirkstoffs nicht überschritten wird:

1. die Packungsgröße, auch mit einer Überschreitung der nach der Packungsgrößenverordnung definierten Messzahl,

2. die Packungsanzahl,

3. die Entnahme von Teilmengen aus Fertigarzneimittelpackungen, soweit die abzugebende Packungsgröße nicht lieferbar ist, und

4. die Wirkstärke, sofern keine pharmazeutischen Bedenken bestehen

50 Cent Aufwandspauschale für Apotheken bei Engpässen – eine Frechheit, sagt die ABDA 

Zudem soll es für Arzneimittel, für die der Beirat eine versorgungskritische Lage festgestellt hat und für die die Apotheke eine Rücksprache mit der Ärztin oder dem Arzt halten muss, eine Aufwandspauschale  in Höhe von 0,50 Euro für die Apotheke geben. Dieser soll in der Arzneimittelpreisverordnung als Zuschlag verankert werden.  

Weiterhin sollen Patientinnen und Patienten, die aufgrund von Liefer- oder Versorgungsengpässen mit Arzneimitteln im Wege der Auseinzelung versorgt werden, von der Zuzahlung entlastet werden. Und: Die Zuzahlung bei Abgabe von Einzelpackungen bei nicht lieferbaren verordneten größeren Packungen soll auf die Zuzahlung des verordneten Arzneimittels begrenzt werden.

Eine Frechheit, meint ABDA-Chefin Overwiening, und wirft dem Minister vor, die Apotheken mit „Spott und Hohn“ zu überziehen. Die ABDA-Präsidentin findet es zwar richtig, die Patientinnen und Patienten von anfallenden Mehrkosten zu entlasten und die Arzneimittelproduktion in Europa zu stärken. „Über die Apotheken, die seit Monaten mit großem Engagement und Aufwand die Lieferengpässe managen und somit die Menschen zuverlässig versorgen, gießt das Ministerium aber nun offenbar Hohn und Spott aus“, sagte sie in einer Pressemitteilung.

Dass für die Mühen der Apotheken gerade einmal 50 Cent eingepreist sind und auch nur unter ganz bestimmten Umständen, ist Overwiening zufolge „wirklich eine Frechheit! Damit wird die Bürokratie noch erhöht, der teils stundenlange Arbeitsaufwand nicht einmal ansatzweise bezuschusst – und als Zeichen der Wertschätzung kann man dieses Almosen wohl auch kaum bezeichnen.“

Rabattverträge: Lieferketten erweitern und verbindliche Vorratshaltung 

Im Rahmen der Rabattvertragsausschreibungen soll eine Standortberücksichtigung eingeführt werden. „Sozialgesetzlich wird den Krankenkassen eine verbindliche Ausschreibung eines zusätzlichen Loses bei jeder Ausschreibung für patentfreie Arzneimittel vorgegeben, dieses Los wird ergänzend zum Preis nach dem Zuschlagskriterium ‚Anteil der Wirkstoffproduktion in der EU‘ vergeben“, erklärt das BMG. Diese Regelung soll sich zunächst auf Arzneimittel zur Behandlung onkologischer Erkrankungen und auf Antibiotika beziehen. Bei Bedarf kann der BfArM-Beirat weitere Wirkstoffe und Indikationen empfehlen – auf dieser Grundlage kann das BMG dann weitere Wirkstoffe bzw. Indikationen der neuen Regelung unterstellen.

Zudem ist zur Verbesserung der Versorgungssicherheit für rabattierte Arzneimittel vertraglich eine mehrmonatige, versorgungsnahe Lagerhaltung vorgesehen.

Festbetrags-Arzneimittel – Unterstützung von Marktsegmenten mit wenigen Anbietern 

Sind in einer Festbetragsgruppe nur noch wenige Anbieter, hat der BfArM-Beirat die Versorgungslage zu prüfen und kann bei einem sich abzeichnenden Versorgungsengpass die Empfehlung aussprechen, den Festbetrag auf das 1,5-Fache anzuheben oder die Festbetragsgruppe aufzulösen. In diesem Fall darf der Abgabepreis einmalig auf das 1,5-Fache des Festbetragspreises angehoben werden (neuer Basispreis). Die Regelungen des Preismoratoriums sollen dann auf der Grundlage des neuen Basispreises Anwendung finden.

Außerdem soll die Grenze der Zuzahlungsbefreiung bei Festbeträgen angehoben werden. Abgabepreise, die mindestens 20 Prozent niedriger sind als der Festbetrag, können von der Zuzahlung befreit werden – bislang liegt die Grenze bei 30 Prozent.  

Verfahren zur frühen Erkennung von Versorgungsengpässen 

Weiterhin soll der BfArM-Beirat Kriterien für einen sich abzeichnenden Versorgungsengpass und eine drohende Marktverengung auf der Grundlage einer kontinuierlichen Marktbeobachtung bei versorgungskritischen Arzneimitteln entwickeln. Das BfArM kann dann zukünftig Empfehlungen an das BMG für Maßnahmen im Bereich des SGB V übermitteln. Das BMG kann auf dieser Grundlage weitere Wirkstoffe bzw. Indikationen den neuen Ausnahmeregelungen bei Festbeträgen, Rabattverträgen und bei der Apothekenabgabe unterstellen.

Zur Unterstützung der Marktbeobachtung durch den Beirat und zur frühen Erkennung von drohenden Versorgungsengpässen und Marktverengungen erhält das BfArM überdies zusätzliche Informationsrechte gegenüber pharmazeutischen Unternehmen und Großhändlern, insbesondere bezogen auf die aktuellen Produktionsmengen nach Produktionsstandort und auf die Lagerhaltung von Wirkstoffen, Zwischenprodukten und Fertigarzneimitteln.

Wie geht es nun weiter?

Nun sind diese Eckpunkte in einen Gesetzentwurf zu gießen. Und es steht noch die Ressortabstimmung an. Lauterbach gab sich heute im ARD-„Morgenmagazin“ zuversichtlich, was die Finanzierung seiner Vorschläge betrifft: „Wir werden das in der Ressortabstimmung besprechen. Ich bin fest davon überzeugt, dass jeder hier einsieht, dass wir handeln müssen.“ Er ziehe dabei mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) an einem Strang.