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Impfstoff-Pipeline gegen das respiratorische Synzytialvirus: Gibt es bald aktive RSV-Impfstoffe?

Forscher hält Impfstoff-Vial in Kamera
Welche Impfstoffe gegen RSV werden aktuell entwickelt? | Bild: Looker_Studio / AdobeStock

Egal ob Proteinimpfstoff, mRNA- oder Vektorvakzine: Alle in der Entwicklung befindlichen Impfstoffkandidaten gegen das respiratorische Synzytialvirus (RSV) zielen auf das Präfusionsprotein von RSV ab. Auch beim Verabreichungsalter lässt sich ein Muster erkennen: So stehen Schwangere und ältere Menschen ab 60 Jahren im Fokus der RSV-Impfstoffentwickler.

Bringt GSK den ersten RSV-Impfstoff auf den Markt?

GSK (GlaxoSmithKline) ist derzeit am weitesten fortgeschritten, was einen Aktivschutz gegen RSV angeht. Das Unternehmen hat die Zulassung für seinen RSV-Impfstoffkandidaten bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) bereits beantragt. Es geht um RSVPreF3, den GSK für ältere Menschen ab 60 Jahren zulassen möchte. 

In der zulassungsrelevanten Studie AReSVi-006 (Adult Respiratory Syncytial Virus) untersuchte GSK randomisiert, placebokontrolliert, beobachterverblindet und multizentrisch die Wirksamkeit einer Einzeldosis seines Impfstoffkandidaten an 25.000 ab 60-Jährigen und erreichte das primäre Studienziel: Der Impfstoff schützte zu 82,6 Prozent vor RSV-bedingten Erkrankungen der unteren Atemwege (definiert als positiver RSV-PCR-Nachweis und Atemwegssymptome für mindestens 24 Stunden). 7 von 12.466 erkrankten in der Impfstoffgruppe und 40 von 12.494 in der Placebogruppe. 

GSK zufolge zeigte der Impfstoff gleichbleibend hohe Wirksamkeit auch bei schweren RSV-Erkrankungen der unteren Atemwege (94,1 Prozent) sowie bei vorerkrankten Menschen (94,6 Prozent) und in einer älteren Population (70 bis 79 Jahre: Wirksamkeit 93,8 Prozent). 

Auch war die Impfwirkung mit 84,6 Prozent gegen RSV A und 80,9 Prozent gegen RSV B vergleichbar gut, was sich laut GSK an einer „robusten neutralisierenden Antikörperreaktion gegen beide Subtypen“ zeigte.

Die Daten erhob GSK in der ersten RSV-Saison, die der Impfung folgte. Es gibt dem Unternehmen zufolge jedoch einen weiterführenden Studienplan, bei dem jährliche Wiederholungsimpfungen und der langfristige Schutz über mehrere RSV-Saisons untersucht werden sollen.

GSK nutzt Fusionsprotein als Antigen

Als Antigen setzt GSK auf ein Oberflächenprotein der RS-Viren – das Fusionsprotein. Dieses ist neben dem Adhäsionsprotein wichtig für die krankmachenden Eigenschaften des Virus (siehe Infobox). Das Protein – genauer gesagt die Präfusionsform – wird dabei nicht direkt vom Virus gewonnen, sondern im Labor rekombinant hergestellt. 

Um die Wirksamkeit seiner Vakzine zu verstärken, nutzt GSK das Adjuvans AS01. Der Wirkverstärker ist bereits vom Gürtelrose-Impfstoff Shingrix® bekannt.

Die häufigsten Impfnebenwirkungen in der Studie waren laut GSK leichter bis mittelschwerer Natur und lediglich vorübergehend: Schmerzen an der Injektionsstelle, Müdigkeit sowie Muskel- und Kopfschmerzen.

Gut zu wissen: So unterscheiden sich RSV A und RSV B

Das respiratorische Synzytialvirus tritt als zwei Subtypen auf: RSV A und RSV B. Beide Subtypen zirkulieren parallel, wobei laut Robert Koch-Institut (RKI) meist RSV A dominiert, allerdings: In der aktuellen RSV-Saison konnte bislang vor allem RSV B bei den Null- bis Vierjährigen nachgewiesen werden.  

RS-Viren besitzen eine Lipidhülle, in die Glykoproteine eingelagert sind. Wichtig für die krankmachenden Eigenschaften von RSV sind vor allem das Adhäsionsprotein (G-Protein) und das Fusionsprotein (F-Protein). RSV A unterscheidet sich von RSV B im Adhäsionsprotein. 

Während sich RSV mit dem Adhäsionsprotein an seine Wirtszelle (zilientragende Epithelzellen der Atemwege) heftet, sorgt das Fusionsprotein dafür, dass das Virus in die Zellen gelangt und die Atemwegszellen miteinander verschmelzen (Synzytienbildung). Die Schädigung der Epithelzellen und die dadurch ausgelöste Immunreaktion sorgen für Zelltrümmer und Schleim, die die Atemwege verengen. 

Die Antigene der in der Entwicklung befindlichen Impfstoffe zielen allesamt auf das Fusionsprotein ab, genauer gesagt die Präfusionsform des F-Proteins (preF). Diese Form nimmt das Protein ein, um sich an die Wirtszelle zu heften. Der Präfusionsansatz hat sich bislang als der vielversprechendste herauskristallisiert, um RSV-neutralisierende Impfstoff-Antikörper zu induzieren. („Nature“: „The race to make vaccines for a dangerous respiratory virus“) 

RSV-Impfstoff für Schwangere von GSK

Neben einem Impfstoff für Ältere entwickelt GSK auch einen nicht adjuvantierten RSV-Impfstoff für Schwangere (RSV MAT = GSK3888550A). Die Idee: Eine Impfung in der Schwangerschaft soll durch die Übertragung mütterlicher Antikörper auch das Baby nach der Geburt schützen. 

Daten aus der Phase-1/2-Studie mit 502 gesunden, nicht schwangeren Frauen stimmen durchaus optimistisch: Die Impfung mit RSVPreF3 hatte bis Tag acht nach der Impfung die neutralisierenden RSV-A- und RSV-B-Antikörper gegenüber dem Ausgangswert 14-fach erhöht. Drei Monate nach der Impfung betrugen die Antikörperkonzentrationen noch mehr als sechsmal so viel wie vor der Impfung.

Seit Februar 2022 pausiert das Unternehmen jedoch die Rekrutierung von Probandinnen für die Phase-3-Untersuchung (GRACE, doppelblind an etwa 10.000 schwangeren Frauen im Alter von 18 bis 49 Jahren). Als Antigen setzt GSK hier ebenfalls auf ein rekombinant hergestelltes Präfusionsprotein.

Novavax: Schwangerenimpfung zum Schutz der Babys

Bereits 2019 konnte Novavax positive Ergebnisse seiner RSV-Impfstoffstudie PREPARE (Phase 3) an 4.636 Schwangeren präsentieren. Seither scheint der Fokus des Unternehmens jedoch verstärkt auf der Entwicklung seines COVID-19-Impfstoffes Nuvaxovid gelegen zu haben, weshalb es keine neuen Daten zum RSV-Impfstoff gibt. 

2019 stellte Novavax die Ein-Jahres-Daten der Studie vor. ResVax konnte im ersten Lebensjahr der Säuglinge das Auftreten von RSV-bedingten Lungenentzündungen um 56,9 Prozent verringern. 180 Tage nach positivem RSV-Erregernachweis betrug die Wirksamkeit sogar 72,9 Prozent, teilte Novavax damals mit. 

Vor allem in den ersten Wochen nach der Geburt scheint der RSV-Schutz wichtig, wie weitere Daten der PREVENT-Studie zeigen. Über 90 Prozent der RSV-bedingten Erkrankungen der unteren Atemwege und der schweren Hypoxämien (Sauerstoffmangel) traten in der Placebogruppe in den ersten 90 Lebenstagen auf.

Auch Novavax zielt bei seinem RSV-Impfstoff auf das Fusionsprotein ab. Bei ResVax handelt es sich um einen rekombinanten Nanopartikel-Impfstoff. Das Antigen (F-Protein) ist rekombinant hergestellt und dem vfa zufolge zu „Virus-like Particles“ verarbeitet. Wirkverstärkt wird ResVax durch das Adjuvans Aluminiumphosphat.

Zur Erinnerung: Impfung für Schwangere zum Schutz der Säuglinge

Durch Impfung von Schwangeren kann auch das Neugeborene geschützt werden, da mütterliche Antikörper gegen Ende der Schwangerschaft über die Plazenta auf das noch Ungeborene übertragen werden. 

Nicht zuletzt aus diesem Grund sind Frühgeborene bei RSV besonders gefährdet, da sie den mütterlichen Antikörpertransfer „verpassen“.  

Den Schutz der Neugeborenen und Säuglinge durch Schwangerenimpfung praktiziert man bereits bei der Keuchhustenimpfung (Pertussis). 

RSV-Impfstoff von Pfizer für Schwangere und Ältere

Erst Anfang November veröffentlichte auch Pfizer positive Ergebnisse seiner RSV-Impfstoffstudie an Schwangeren (MATISSE = MATernal Immunization Study for Safety and Efficacy): RSVpreF schützte die Säuglinge nach Impfung der Schwangeren in den ersten 90 Tagen zu 81,8 Prozent vor schweren RSV-verursachten Erkrankungen der unteren Atemwege, in den ersten sechs Lebensmonaten lag die Schutzwirkung bei 69,4 Prozent. 

Die Studie läuft randomisiert, doppelblind und placebokontrolliert (Phase-3) an 7.400 Frauen, die höchstens 49 Jahre alt sind. Sie hatten im zweiten bis dritten Trimenon entweder eine Einzeldosis von 120 µg RSVpreF oder Placebo erhalten. 

Da die Studie über mehrere Jahre und in 18 Ländern der Nord- und Südhalbkugel stattfindet, lässt sich dadurch die Wirksamkeit über mehrere RSV-Saisons erfassen. Bislang gebe es „keine Sicherheitsbedenken“ und der Impfstoff wurde sowohl von den geimpften Schwangeren als auch von den Säuglingen „gut vertragen“, berichtet Pfizer.

Pfizer setzt auf bivalente Vakzine

RSVpreF ist eine rekombinante bivalente Vakzine, die Pfizer zufolge aus gleichen Teilen Präfusionsprotein der RSV-Subtypen A und B besteht. 

Der Impfstoff soll nicht nur bei Schwangeren zum Einsatz kommen – als einziger RSV-Impfstoffkandidat will Pfizer RSVpreF (PF-06928316) auch bei älteren Menschen zulassen. 

Bereits im August 2022 konnte das Unternehmen positive Zwischenergebnisse aus der Seniorenstudie RENOIR (RSV vaccine Efficacy study iNOlder adults Immunized against RSV disease) bekannt geben. Diese klinische Phase-3-Studie untersucht die Wirksamkeit, Immunogenität und Sicherheit einer Einzeldosis RSVpreF bei ab 60-Jährigen. Der Impfstoff schützte zu 66,7 Prozent vor RSV-bedingten Erkrankungen der unteren Atemwege. Noch 2022 will Pfizer bei der FDA die Zulassung beantragen.

Vektorimpfstoff gegen RSV von Janssen

Janssen setzt, wie bereits bei seinem COVID-19- und Ebola-Impfstoff, beim Impfschutz gegen RSV auf die Vektorimpfstofftechnologie. Für seinen RSV-Impfstoffkandidaten Ad26.RSV.preF nutzt Janssen die Adenovektor-Plattform (AdVac®) – ein menschliches Adenovirus (Schnupfenvirus) vom Serotyp 26 (Ad26). Dieses Virus kann sich im Körper nicht mehr vermehren und dient lediglich als Fähre, um die genetische Information für das Antigen (Präfusionsprotein) bei der Impfung in den Körper einzuschleusen. Das Antigen produziert der Geimpfte sodann selbst und stimuliert so seine Immunantwort.

In der Phase-3-Studie EVERGREEN untersucht der Impfstoffhersteller nun seit Ende 2021 Wirksamkeit und Sicherheit von Ad26.RSV.preF. In der vorangegangenen Phase-2b-Studie CYPRESS hatte der Impfstoffkandidat ältere Menschen ab 65 Jahren bis zu 80 Prozent vor RSV-bedingten Erkrankungen der Atemwege geschützt.

Moderna prüft mRNA-Impfstoff gegen RSV

Nachdem sich die mRNA-Impfstofftechnologie durch COVID-19 etabliert hat, bleibt Moderna diesem Prinzip auch bei seiner RSV-Vakzine treu. Seit Februar 2022 läuft eine Phase-3-Studie, um Wirksamkeit und Sicherheit des RSV-Impfstoffkandidaten mRNA-1345 an ab 60-Jährigen zu prüfen. Die vorläufigen Phase-2-Ergebnisse waren vielversprechend gewesen. 

mRNA-1345 kodiert für das Präfusionsprotein von RSV und enthält die gleichen Lipid-Nanopartikel wie der bereits millionenfach verimpfte COVID-19-Impfstoff des Unternehmens.

Passive Impfung mit Palivizumab, Nirsevimab und bald Clesrovimab?

Mit dem Antikörper Palivizumab und dem erst vor kurzem zugelassenen Nirsevimab existiert bereits heute die Möglichkeit einer passiven Impfung gegen RSV. Doch auch bei passiven RSV-Impfstrategien wird weiter geforscht: Clesrovimab heißt der Kandidat von MSD, den das Unternehmen bereits in Phase 3 untersucht. Ergebnisse erwartet MSD bis August 2024. Der Antikörper soll Säuglinge im ersten Lebensjahr vor RSV-Infektionen schützen.

Zur Erinnerung: So unterscheiden sich aktive und passive Impfung

Bei einer aktiven Impfung verabreicht man in der Regel abgetötete oder abgeschwächte Erreger bzw. Erreger-Teile. Bei mRNA- und Vektorimpfstoffen wird lediglich die genetische Information geimpft, woraufhin der Körper das Antigen selbst bildet. 

Durch die aktive Impfung wird dem Körper eine Infektion vorgetäuscht, sodass Immunabwehr und Antikörperproduktion stimuliert werden. Bis der Körper einen ausreichenden aktiven Impfschutz aufbaut, dauert es jedoch mehrere Wochen bis Monate, da meist mehrere Teilimpfungen erforderlich sind. Dafür hält der Immunschutz über eine längere Zeit (meist mehrere Jahre) an. Der Körper bildet sogenannte Gedächtniszellen, die sich bei einer Infektion an den Erreger erinnern und das Immunsystem schnell reaktivieren.

Anders bei Passivimpfungen: Hier spritzt man die Antikörper direkt. Der Vorteil ist eine rasche Wirkung, da die Antikörper direkt mit der Bekämpfung der Erreger beginnen können. Allerdings fehlt die Immunstimulation und die Bildung von Gedächtniszellen bleibt aus. Damit hält ein passiver Impfschutz nur so lange, wie auch genügend Antikörper vorhanden sind. Um auch weiterhin geschützt zu sein, müsste man den Antikörper folglich wiederholt verabreichen.