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Präeklampsierisiko: Wie lange ASS einnehmen?

Schwangere misst Blutdruck
Kann die Gabe von ASS bei Präeklampsierisiko verkürzt werden? | Bild: Evgeniya Primavera / AdobeStock

Schwangeren Frauen mit einem hohen Risiko für eine Präeklampsie steht derzeit als „einzige effektive Prävention“ – so steht es in der aktuellen Leitlinie „Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen“ – die orale Einnahme von niedrig dosierter Acetylsalicylsäure (ASS, 150 mg/Tag) ab der Frühschwangerschaft zur Verfügung. 

Laut den Leitlinienautoren senkt ASS in der Folge das Risiko für eine Präeklampsie signifikant und reduziert die Häufigkeit vor der Schwangerschaftswoche (SSW) 37 + 0 um 63 Prozent. Die Schwangeren sollten möglichst vor der SSW 16 + 0(„American Journal of Obstetrics & Gynecology“: „Aspirin for the prevention of preterm and term preeclampsia: systematic review and metaanalysis“)  mit der Einnahme von ASS beginnen. In Deutschland sei eine „ASS-Gabe bis zur 34.–36. kompletten SSW etabliert“, erklären die Autoren der 2019 gemeinsam von der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) und den österreichischen und schweizerischen Fachgesellschaften veröffentlichten Leitlinie. 

ASS soll dabei den Beginn einer Präeklampsie nach hinten verschieben, sodass diese erst zu einem späteren Zeitpunkt der Schwangerschaft auftritt und eine termingerechte Entbindung möglich ist.

Zur Erinnerung: Was ist Präeklampsie?

Präeklampsie ist eine schwere Komplikation im Rahmen einer Schwangerschaft, aufgrund derer weltweit jährlich 70.000 Mütter und 500.000 Babys sterben(„NEJM“: Preeclampsia“) 

Dabei kommt es zu erhöhten Blutdruckwerten (≥ 140/90 mm Hg) mit laut Leitlinienautoren „mindestens einer neu auftretenden Organmanifestation“ ohne anderweitig erklärbare Ursache, wie Proteinurie oder pathologische Befunde der Niere, Leber, des Atemsystems, der Plazenta oder des zentralen Nervensystems. Je nach zeitlichem Auftreten der Präeklampsie unterscheidet man 

  • Early-Onset-Präeklampsie: früh einsetzende Präeklampsie mit Entbindung vor der vollendeten 34. Schwangerschaftswoche (33 + 6)
  • Frühpräeklampsie mit Entbindung ab vollendeter 34. bis 37. Schwangerschaftswoche (34 + 0 bis 36 + 6)
  • Termin-Präeklampsie mit Entbindung ab vollendeter 37. Schwangerschaftswoche

Kürzere ASS-Gabe auch ausreichend?

Dass eine kürzere ASS-Prophylaxe nur bis SSW 24–28 ausreicht, lässt eine Phase-3-Studie an 936 schwangeren Frauen in neun spanischen Entbindungskliniken vermuten – veröffentlicht wurde die Studie im US-amerikanischen Ärzteblatt „JAMA“(„Aspirin Discontinuation at 24 to 28 Weeks’ Gestation in Pregnancies at High Risk of Preterm Preeclampsia“) 

Die Schwangeren waren mindestens 18 Jahre alt und hatten im Ersttrimester-Screening ein hohes Risiko für eine Frühpräeklampsie gezeigt. Spätestens ab dem Zeitpunkt 16 Wochen 6 Tage der Schwangerschaft (d. h., die Schwangere ist bereits sechs Tage in der 17. Schwangerschaftswoche) haben sie mit der ASS-Prophylaxe (150 mg täglich, Therapietreue mindestens 50 Prozent) begonnen. 

Zwischen den Wochen 24 und 28 der Schwangerschaft (24 Wochen + 0 Tage bis 27 Wochen + 6 Tage) lag der sogenannte sFlt-1:PlGF-Quotient unter 38.

Gut zu wissen: Was ist der sFlt-1:PlGF-Quotient?

Der sFlt-1:PlGF-Quotient (sFlt-1 steht für „soluble fms-like tyrosine kinase-1“, lösliche fms-ähnliche Tyrosinkinase-1, und PlGF für „placental growth factor“, plazentarer Wachstumsfaktor) ist ein Blutmarker, mit dem man bei Werten unter 38 eine Präeklampsie in den nächsten vier Schwangerschaftswochen mit hoher Sicherheit ausschließen kann.

Die Studienärzte teilten die 936 Schwangeren in zwei Gruppen auf: 473 Frauen beendeten die ASS-Einnahme zwischen den Schwangerschaftswochen 24 und 28, 463 führten diese fort. Ziel der Studie war herauszufinden, ob das frühe Absetzen von ASS häufiger zu Präeklampsie-bedingten Geburten vor der 37. SSW führt (Frühpräeklampsie). 

Dabei definierten die Studienautoren Präeklampsie als 

  • neu auftretenden Bluthochdruck (≥ 140 mm Hg systolisch und/oder Blutdruck ≥ 90 mm Hg diastolisch) oder
  • als einen sich verschlechternden, bereits bestehenden Bluthochdruck, zusätzlich zu einer neuen oder sich verschlimmernden Proteinurie oder mindestens einem weiteren Symptom, z. B. erhöhte Leberenzyme oder verringerte Zahl der Blutplättchen (Thrombozyten).

Kurze ASS-Gabe längerer Therapiedauer nicht unterlegen

Insgesamt kam es bei sieben der 473 Frauen (1,48 Prozent), die ASS in SSW 24–28 gestoppt hatten, zu einer Frühpräeklampsie und bei acht der 463 Schwangeren (1,73 Prozent), die ASS weiter eingenommen hatten.

Dabei brachten die Mütter mit Präeklampsie in beiden Gruppen ihre Babys im Median in SSW 35 zur Welt. Die beiden Behandlungsgruppen unterschieden sich auch hinsichtlich unerwünschter Geburtsereignisse nicht. Zwar starben in der ASS-Absetzgruppe vier und in der Kontrollgruppe zwei Babys, doch traten diese Totgeburten beziehungsweise neonatalen Todesfälle bei Schwangeren ohne Präeklampsie auf.

Geringeres Blutungsrisiko bei kürzerer ASS-Gabe

Doch wie sieht es mit dem Blutungsrisiko aus? Führt das frühere Absetzen des Thrombozytenaggregationshemmers ASS auch zu weniger Blutungen bei der Geburt? Die Studienautoren berichten über acht Prozent Blutungskomplikationen bei Frauen, die ASS in SSW 24–28 abgesetzt hatten, und 12,7 Prozent bei Schwangeren, die ASS länger einnahmen.

Für welche Schwangeren ist eine längere ASS-Gabe sinnvoll?

Insgesamt war bei Schwangeren mit ursprünglich hohem Risiko für eine Präeklampsie, aber einem normalen sFlt-1:PlGF-Quotienten in SSW 24–28, eine kürzere ASS-Anwendung einer längeren Einnahme (SSW 24–28 vs. bis zur 36. SSW) nicht unterlegen. Die schwangeren Frauen erlitten somit nicht häufiger eine Präeklampsie. 

Zudem könne das frühere Absetzen der ASS-Prophylaxe das Risiko für kleinere Blutungskomplikationen ab der 37. SSW verringern. Allerdings hatten die Wissenschaftler lediglich Schwangere untersucht, bei denen man aufgrund des sFlt-1:PlGF-Quotienten davon ausgehen konnte, dass ihr Präeklampsierisiko ab SSW 24–28 nur noch sehr gering war. 

„In Anbetracht dieser Ergebnisse sollte die Aspirinbehandlung auf Schwangere mit tatsächlich hohem Präeklampsierisiko beschränkt und so kurz wie möglich durchgeführt werden“, erklären die Studienautoren. Weitere Studien werden dennoch erforderlich sein.