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Penicillin: Mit Tests Allergie­potenzial überprüfen

Auf Unterarm eingezeichneter Allergietest
Ein Verdacht auf eine Penicillin-Allergie sollte mit einem Test abgeklärt werden. | Bild: Alexander Raths / AdobeStock

Unter den Arzneimittelallergien ist die Penicillin-Allergie die von Patienten am häufigsten angegebeneZhou L, Dhopeshwarkar N, Blumenthal KG, Goss F, Topaz M, Slight SP, Bates DW. Drug allergies documented in electronic health records of a large healthcare system. Allergy. 2016 Sep;71(9):1305-13. doi: 10.1111/all.12881 . Je nach Land und Region geben bis zu 28 Prozent der Bevölkerung an, eine solche Unverträglichkeit zu haben. Tatsächlich allergisch sind hingegen nur 1 bis 3 Prozent der BevölkerungMorales I. Praktisches Vorgehen bei Penicillinallergien. Swiss Med Forum. 2023;23(24):1122-1126. DOI: https://doi.org/10.4414/smf.2023.09437  

Unbedeutend für die individuelle und öffentliche Gesundheit ist diese hohe Zahl an falschen (Eigen-)Diagnosen nicht: Diese Patienten erhalten häufiger Second-Line- oder Breitspektrumantibiotika, was mit gesteigerten Kosten, einem höheren Risiko für Nebenwirkungen und der vermehrten Bildung von Arzneimittelresistenzen einhergehtWurpts G et al. S2k Guideline: Diagnostics for suspected hypersensitivity to beta-lactam antibiotics. Guideline of the German Society for Allergology and Clinical Immunology (DGAKI) in collaboration with the Medical Association of German Allergologists (AeDA), German Society for Pediatric Allergology and Environmental Medicine (GPA), the Austrian Society for Allergology and Immunology (ÖGAI), and the Paul-Ehrlich Society for Chemotherapy (PEG). Allergo J Int 2019;28:121–51. https://doi.org/10.1007/s40629­ 019­ 0100­8 .

Test gibt Aufschluss über Allergiepotenzial

Ob in einem spezifischen Fall tatsächlich eine Allergie vorliegt oder ob in der Vergangenheit eine unerwünschte Arzneimittelwirkung oder aber ein Symptom der therapierten Erkrankung fehlgedeutet wurde, lässt sich diagnostisch überprüfen. 

Zur Verfügung stehen hierbei Hauttests (Epikutantest, Pricktest), Labortests (Lymphozytentransformationstest, ELISA) und der orale Provokationstest. Da dieser mit dem größten Risiko verbunden ist, steht er laut der S2k-Leitlinie Diagnostik bei Verdacht auf eine Betalaktamantibiotika-Überempfindlichkeit „am Ende der allergologischen Diagnostik nach erfolgter Anamnese sowie entsprechend der Indikation einer In-vitro-Diagnostik sowie Hauttestung“. 

Der Weg bis hin zum finalen Ausschluss der vermeintlichen Allergie kann also lang sein. Wie das Ärzteblatt im Jahr 2022 berichtete, kann es darüber hinaus vorkommen, dass Ärzte auf den Kosten für die Tests anteilig sitzen bleiben – ein weiteres Hemmnis für die Durchführung dieserKlimek L et al. Vermutete Penicillinallergie: De-Labeling als wichtige Aufgabe für das Antibiotika-Stewardship. Dtsch Arztebl 2022; 119(19): A-868 / B-717 .

„Die allergologische Abklärung mit Ausschluss der Verdachtsdiagnose BLA [Betalactam-Antibiotika]-Allergie durch Hauttestungen, Labordiagnostik und Provokationstests ist aufwendig und wird im deutschen Gesundheitssystem nicht kostendeckend vergütet.“

Klimek L et al. 2022

Oraler Provokationstest als sichere Alternative

Ein weniger aufwändiges Testverfahren könnte also helfen, mehr Fehldiagnosen aufzudecken. Einen Vorschlag für eine solche Vereinfachung hat ein internationales Forschungsteam im Juli dieses Jahres im JAMA Internal Medicine veröffentlichtCopaescu AM et al. Efficacy of a Clinical Decision Rule to Enable Direct Oral Challenge in Patients With Low-Risk Penicillin Allergy: The PALACE Randomized Clinical Trial. JAMA Intern Med. Published online July 17, 2023. doi:10.1001/jamainternmed.2023.2986 .

In ihrer Nichtunterlegenheitsstudie untersuchten die Forschenden 377 Penicillin-Allergiker in den USA, Kanada und Australien. Ein Einschlusskriterium stellte eine Gesamtpunktzahl von weniger als drei Punkten im PEN-FAST-FragenkatalogTrubiano JA et al. Development and Validation of a Penicillin Allergy Clinical Decision Rule. JAMA Intern Med. 2020;180(5):745–752. doi:10.1001/jamainternmed.2020.0403  (siehe Abbildung) und somit ein niedriges oder sehr niedriges Risiko für einen positiven Penicillin-Allergietest dar.

PEN-FAST-Fragenkatalog
a) Includes unknown. [Auch, wenn unbekannt] b) E.g. potential Stevens-Johnson syndrome, toxic epidermal necrolysis, drug reaction with eosinophilia and systemic symptoms, and acute generalized exanthematous pustulosis. [Z. B. mögliches Stevens-Johnson-Syndrom, toxische epidermale Nekrolyse, Arzneimittelreaktion mit Eosinophilie und systemischen Symptomen und akute generalisierte exanthematische Pustulose] | Quelle: Trubiano JA et al. 2022 [6]

Bei der Kontrollgruppe (n = 190) wurde zur Abklärung der Allergie ein dreistufiges Testschema, bestehend aus Prick-, Intradermal- und oralem Provokationstest, durchgeführt. Bei der Interventionsgruppe (n = 187) wurde ausschließlich ein oraler Provokationstest durchgeführt. In beiden Gruppen war der orale Provokationstest bei je einer Person (je 0,5 Prozent) positiv. 

Auch hinsichtlich der unerwünschten Arzneimittelwirkungen waren die Ergebnisse beider Gruppen ähnlich. Diese traten im fünftägigen Nachbeobachtungszeitraum bei 20 Probanden der Interventionsgruppe und 21 Teilnehmenden der Kontrollgruppe auf. Schwere unerwünschte Arzneimittelwirkungen wurden nicht beobachtet.

Der direkte orale Provokationstest zeigte sich in dieser Untersuchung bei Niedrigrisikopatienten dem mehrstufigen Diagnoseverfahren nicht unterlegen und scheint sowohl sicher als auch effektiv zu sein.