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Gesundheitsrisiko Sitzen: Deutsche kennen die Gefahren

Junge Frau sitzt auf Sofa mit Laptop
Langes Sitzen kann das Risiko für Herzerkrankungen, Krebs und Typ-2-Diabetes erhöhen. | Bild: insta_photos / AdobeStock

Wenn die Jahreszeit vom Sommer zum Herbst wechselt, verlagern viele Menschen ihre Aktivitäten von draußen nach drinnen. Wobei „aktiv“ vielleicht zu viel gesagt ist, stattdessen machen es sich viele bei den niedrigeren Temperaturen und frühen Sonnenuntergängen lieber auf dem Sofa gemütlich.

Doch der Bewegungsmangel nimmt nicht alleine aufgrund des Wetterwechsels zu. Forscher beobachten schon seit einiger Zeit einen Trend hin zum immer längeren Sitzen. Das zeigen Ergebnisse eines Reports der Deutschen Sporthochschule Köln und der Deutschen Krankenversicherung (DKV). 

Ohne umfassende Präventionsangebote drohe der Gesellschaft ab 2030 eine gesundheits- und sozialökonomische Krise, warnt einer der wissenschaftlichen Leiter, der Kölner Sportwissenschaftler Ingo Froböse. Er fordert, dass Bewegung zu alltäglicher Routine wird und Sport wieder einen Platz im Zentrum der Gesellschaft einnimmt. 

Der Report „Wie gesund lebt Deutschland?“

Seit 2010 wurde der Report „Wie gesund lebt Deutschland?“ nun zum siebten Mal durchgeführt. Rund 2.800 Erwachsene wurden telefonisch zu ihren Lebensumständen befragt. 

Die Ergebnisse der Befragung sind laut Angaben repräsentativ. Körperliche Untersuchungen gab es allerdings nicht. Die Verfasser selbst weisen auf das Risiko hin, dass Befragte am Telefon eher sozial erwünschte Antworten geben könnten. Sie könnten zum Beispiel behaupten, regelmäßiger Gemüse zu essen, als sie das in Wahrheit tun. 

Insofern ist nicht ausgeschlossen, dass der Report sogar noch ein zu positives Bild zeichnet.

Menschen zwischen 30 und 45 Jahren leben eher ungesund

17 Prozent der Befragten erreichen nach den Kriterien des Reports Werte, die einem rundum gesunden Leben in sämtlichen abgefragten Bereichen gleichkommen: Dazu zählen körperliche Aktivität, Ernährung, Alkohol- und Tabakkonsum sowie Stressempfinden. 

Das werten die Verfasser als niedriges Niveau. Der Anteil hat sich nach einem Knick im Corona-Jahr 2021 mit damals nur elf Prozent aber immerhin wieder auf dem Niveau der Zeit vor der Pandemie eingependelt.

Eher ungesund leben laut dem Report die 30- bis 45-Jährigen, die oft Beruf, Kinderbetreuung und Pflege Angehöriger unter einen Hut bekommen müssen. Nur jeder Zehnte in dem Alter erreicht Werte eines rundum gesunden Lebens. Die Maßstäbe, die die Forscher ansetzen, sind an Empfehlungen verschiedener Institutionen angelehnt, darunter etwa die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE).

Als positive Entwicklung hebt der Bericht unter anderem sinkende Raucherzahlen hervor (85 Prozent rauchen nicht). Auch beim Umgang mit Stress seien Fortschritte zu verzeichnen.

Langes Sitzen erhöht Krankheitsrisiko

Als besorgniserregend stufen die Autoren die immer längeren Zeiten pro Tag ein, die Bundesbürger im Sitzen verbringen: An Werktagen seien es nun durchschnittlich 9,2 Stunden, noch einmal eine halbe Stunde mehr als 2021. Nach Daten von 2015 hatten die Menschen damals noch 7,5 Stunden pro Tag gesessen. Am längsten sitzen laut der aktuellen Befragung die 18- bis 29-Jährigen, mit mehr als 10 Stunden täglich.

Langes Sitzen könne das Risiko für das Entstehen von Herzerkrankungen, Krebs und Typ-2-Diabetes erhöhen, warnt die WHO. „Eine Verminderung der täglichen Sitzzeiten durch Bewegung reduziert das Sterberisiko erheblich“, sagt Froböse. 

Das Autorenteam betont zudem die Bedeutung von regelmäßigem Muskeltraining: Das sei auch ein wichtiger Schutzfaktor gegen Pflegebedürftigkeit im Alter. Bislang betreibe knapp die Hälfte der Bundesbürger aber kein solches Training.

Auch beim subjektiven psychischen Wohlbefinden deuten die Ergebnisse auf einen beunruhigenden Trend hin: Bei etwa einem Viertel der Bundesbürger seien die Ergebnisse kritisch – so sehr, dass man sie als ersten Hinweis für die Entwicklung einer Depression ansehen könne. Dabei könne gerade regelmäßige Bewegung mehr Wohlbefinden bringen: „Wer sich wohlfühlt, bewegt sich mehr bzw. wer sich mehr bewegt, fühlt sich wohler“, heißt es.

Gut zu wissen: Wie viel sollte man sitzen und sich bewegen?

Welche tägliche Sitzdauer noch gesundheitsverträglich ist, können Fachleute bisher nicht gesichert sagen. Generell lautet der Rat aber, diese Zeit zu verringern. 

Je länger man sitze, umso mehr Bewegung sei nötig, um das gesundheitliche Risiko auszugleichen, erklärt Birgit Sperlich von der Universität Würzburg, die die Untersuchung mit Froböse leitete. Sie beruft sich auf eine Studie, derzufolge Menschen, die mehr als acht Stunden am Tag sitzen, ihr gesundheitliches Risiko nur durch 60 bis 75 Minuten mindestens moderat-intensive Bewegung pro Tag ausgleichen konnten.

Dagegen ist jegliche körperliche Aktivität besser als keine – und mehr ist besser, wie die WHO betont. Für Gesundheit und Wohlbefinden empfiehlt sie allen Erwachsenen mindestens 150 bis 300 Minuten moderat-intensive Bewegung pro Woche. Sei es bei der Arbeit, im Haushalt, beim Sport oder in der Freizeit. 

„Moderat-intensive Bewegung entspricht dabei einer Bewegung, die einen ganz leicht ins Schwitzen und etwas schwerer zum Atmen bringt, wie zum Beispiel Spazierengehen“, erklärt Sperlich. Bei intensiverer Bewegung müsse man für den gleichen gesundheitlichen Nutzen weniger Zeit aufbringen.

Laut Expertenmeinung zeigen täglich 21 Minuten Bewegung positive Auswirkungen auf das physische und mentale Wohlbefinden. Quelle: dpa / mia 

Warum bewegen sich Menschen zu wenig?

Ein großer Teil der deutschen Bevölkerung ist sich offenbar bewusst, dass zu langes und zu viel Sitzen gesundheitsschädlich sein kann. Das zeigen die Ergebnisse einer aktuellen repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der AOK: So führen 42 Prozent der Befragten eigene gesundheitliche Beschwerden auf Bewegungsmangel und langes Sitzen zurück. Zudem äußerten 59 Prozent die Angst, im Laufe ihres Lebens aufgrund körperlicher Inaktivität zu erkranken. Aber warum bewegen sich die Menschen dann zu wenig?

Die Gründe für Inaktivität hat die Forsa-Umfrage auch erfragt. Knapp die Hälfte der Befragten gab an, dass sie im Alltag zu wenig Zeit (49 Prozent) oder keine Lust und Motivation (47 Prozent) für sportliche Betätigung hätten.

Gleichzeitig hat die Umfrage ergeben, dass ein Großteil der Erwerbstätigen (61 Prozent) an einem Arbeitstag mehr als vier Stunden im Sitzen arbeitet. Mehr als ein Viertel (27 Prozent) aller Erwerbstätigen sitzt sogar sechs bis acht Stunden. 

Im Homeoffice scheint der Bewegungsmangel sogar noch etwas ausgeprägter zu sein. Laut Umfrage bewegen sich 52 Prozent der Befragten im Homeoffice etwas (24 Prozent) oder deutlich weniger (28 Prozent) als an einem Arbeitstag in ihren Unternehmen.