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Positionspapier veröffentlicht: Verbraucherzentralen fordern Zulassungsverfahren für NEM

Kapseln mit hellbraunem Pulver werden auf eine Hand gekippt
In einem Positionspapier fordern die Verbraucherzentralen und der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv) Nahrungsergänzungsmittel (NEM) strenger zu regulieren. Für sie birgt der wenig kontrollierte NEM-Markt erhebliches Gefahrenpotenzial. | Bild: PhotoHunter / AdobeStock

Als Lebensmittel müssen Nahrungsergänzungsmittel (NEM) in Deutschland – anders als Arzneimittel – nicht zugelassen werden. Auch werden sie vor dem Verkauf nicht auf Sicherheit und Wirksamkeit überprüft. Doch genau das sorgt bei Verbraucherschützern regelmäßig für Kritik. Denn immer wieder kommt es bei Vitamin- und Mineralstoff-Präparaten zur Überschreitung der empfohlenen Höchstmengen oder zur Verwendung fragwürdiger Inhaltsstoffe.

Zudem bewerben einige Hersteller ihre Produkte mit vollmundigen Heilversprechen. Als Lebensmittel sind NEM jedoch explizit nicht zur Heilung oder Linderung von Krankheiten bestimmt, weshalb entsprechende Werbeaussagen hierzulande eigentlich verboten sind.

Zur Erinnerung: Was zeichnet NEM aus?

Gemäß § 1 Abs. 1 Nahrungsergänzungsmittelverordnung (NemV) müssen NEM drei spezifische Voraussetzungen erfüllen:

  • Sie sind dazu bestimmt, „die allgemeine Ernährung zu ergänzen“.
  • Sie müssen „in dosierter Form“ (z. B. als Tabletten, Kapseln, Pulver, Tropfen) in den Verkehr gebracht werden.
  • Sie stellen „ein Konzentrat von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung“ dar.

Unter Nährstoffen werden hierbei Vitamine und Mineralstoffe inklusive Spurenelemente verstanden. Welche Nährstoffe in NEM eingesetzt werden dürfen, ist in der Anlage zur europäischen Verordnung geregelt. Die „sonstigen Stoffe“ sind nicht weiter erklärt.

NEM bei Brain Fog, Akne und Haarausfall

Die Verbraucherzentrale berichtet in diesem Zusammenhang über zwei aktuelle Fälle, in denen die Hersteller ihre Nahrungsergänzungsmittel mit „irreführenden Aussagen zur Heilung von Krankheiten“ bewarben.

Im ersten Fall suggerierte ein Unternehmen auf Facebook, dass seine Kapseln gegen spezifische Symptome bei Long-COVID helfen könnten. Darin hieß es: „Ist dir manchmal etwas neblig im Gehirn (…)? Dann könnte sogenannter ‚Brain Fog‘, welcher vor allem als typisches Long-COVID-Symptom gilt, dahinter stecken (…). Mit den Focus Kapseln ist jetzt Schluss damit!“

In einem anderen Fall bewarb ein Hersteller seine Kapseln als „Booster bei hormoneller Akne“ und „gegen Haarausfall“. Die Kapseln enthielten B-Vitamine und Mineralstoffe und wurden ebenfalls als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben. 

Verbraucherzentralen fordern Zulassungsverfahren für NEM

Zwar müssen beide Hersteller, nach einer Abmahnung durch die Verbraucherzentrale Berlin, Aussagen dieser Art künftig unterlassen, doch fallen derartige Verstöße – wenn überhaupt – oft erst Monate später auf.  Die Verbraucherzentralen fordern in einem Positionspapier daher „die Einführung eines Zulassungsverfahrens für NEM im europäischen Binnenmarkt“.

Übergangsweise solle auf nationaler Ebene ein zentrales Prüfverfahren für NEM eingeführt werden, welches die entsprechenden Produkte „hinsichtlich Sicherheit, korrekter Kennzeichnung und Richtigkeit der Werbeaussagen“ überprüft. Dies sei besonders wichtig, da Endverbrauchern die mangelnde Überwachung bei Nahrungsergänzungsmitteln (im Unterschied zu Arzneimitteln) oft nicht bewusst ist.

„Wer Nahrungsergänzungsmittel nimmt, erhofft sich mehr Energie, Schutz vor und Linderung von Krankheiten, denn das suggeriert die Werbung der entsprechenden Produkte – oft entgegen klarer Verbote“, erklärt Dr. Britta Schautz, Ernährungsexpertin der Verbraucherzentrale Berlin. Durch entsprechende gesetzliche Regelungen müssten Verbraucher vor derartig falschen Versprechungen geschützt werden.

Positivliste für „sonstige Stoffe“ notwendig

Zudem fordern die Verbraucherschützer altersdifferenzierte Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe, um insbesondere Kinder vor gesundheitlichen Risiken zu schützen.

Neben Vitaminen und Mineralstoffen kommen in Nahrungsergänzungsmitteln zunehmend auch andere Stoffe wie Aminosäuren, Ballaststoffe oder Pflanzenextrakte zum Einsatz. Die Verbraucherzentralen kritisieren in ihrem Positionspapier, dass für diese „sonstigen Stoffe“ „keinerlei Qualitätsstandards, Reinheitsanforderungen oder Bestimmungen über zulässige Mengen“ existieren. Auch sei die Sicherheit der zugesetzten Stoffe zum Teil fraglich. So stünden z. B. hoch dosierte Isoflavonpräparate im Verdacht, das Brustkrebsrisiko zu erhöhen. Daher müsse für „sonstige Stoffe“ dringend eine verbindliche Positivliste eingeführt werden.

Zudem wird der Gesetzgeber aufgefordert „zeitnah die Bewertung der gesundheitsbezogenen Angaben für pflanzliche Stoffe und Zubereitungen in Lebensmitteln wieder aufzunehmen“. Denn entgegen der in 2007 in Kraft getretenen Health-Claims-Verordnung sei die Bewertung von pflanzlichen Stoffen und deren Zubereitungen noch nicht erfolgt. Die entsprechenden gesundheitsbezogenen Aussagen wurden stattdessen auf die sogenannte „On hold“-Liste gesetzt. 

Zur Erinnerung: Was sind Health Claims?

Für nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben zu Lebensmitteln wird häufig der englische Begriff „Health Claims“ verwendet. Health Claims weisen entweder auf Beziehungen zwischen einem Lebensmittel bzw. einem seiner Bestandteile und der Gesundheit oder auf nährwertbezogene Angaben hin wie z. B. „reich an Vitamin C“ oder „mit reduziertem Fett-Anteil“. Die Angaben werden durch die Health-Claims-Verordnung geregelt und durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) geprüft. /cb

Auch bei NEM auf Neben- und Wechselwirkungen achten

Die Verbraucherzentralen geben darüber hinaus zu bedenken, dass auch Nahrungsergänzungsmittel Wechsel- und Nebenwirkungen aufweisen können. Als Beispiele werden die Interaktion zwischen Ginkgo und Blutverdünnern sowie die Einflüsse von Biotin auf bestimmte Laborwerte genannt.

Deshalb fordern die Verbraucherschützer die Eröffnung einer offiziellen Meldestelle: „Wechselwirkungen mit Medikamenten und Nebenwirkungen stellen ein Gesundheitsrisiko dar. Eine öffentliche Meldestelle sollte daher Neben- und Wechselwirkungen systematisch erfassen“, heißt es in der Kurzfassung des Positionspapiers. Als Vorbild wird unter anderem die für Arzneimittel zuständige Meldestelle des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) genannt.

Das gesamte Positionspapier der Verbraucherzentralen kann hier eingesehen werdenQuelle: Verbraucherzentrale Berlin;
Nahrungsergänzungsmittel sicher regulieren. Positionen der Verbraucherzentralen und des Verbraucherzentrale Bundes-verbands e.V. (vzbv) zu Nahrungsergänzungsmitteln (Stand 10. August 2023)
Nahrungsergänzungmittelverordnung (NemV)