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Leberschäden: ausgelöst durch Arzneimittel und NEM

Tabletten und Verpackungen von Medikamenten liegen auf dem Tisch
Neben Antibiotika und entzündungshemmenden Arzneimitteln können auch (pflanzliche) Nahrungsergänzungsmittel die Leber schädigen. | Bild: Lothar Drechsel / AdobeStock

Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) macht in der aktuellen Ausgabe der „Arzneiverordnung in der Praxis“ vom 14. Dezember 2023 auf die Komplexität der Diagnose von Leberschäden aufmerksam, die durch Arzneimittel oder Nahrungsergänzungsmittel (NEM) ausgelöst werden können. 

Für eine praktische Orientierung verweist die AkdÄ dabei auf einen im März 2023 erschienenen US-amerikanischen Praxisleitfaden zu Medikamenten-, Pflanzen- und NEM-induzierten Leberschäden der „American Association for the Study of Liver Diseases“ (AASLD).

Drei Formen von Arzneimittel-induzierten Leberschäden

In dem Leitfaden findet sich eine Übersichtstabelle zu den zehn Substanzen, die am häufigsten Arzneimittel-induzierte Leberschäden (drug induced liver injury, kurz: DILI) auslösen – sortiert nach verschiedenen Ländern. Allerdings sollte man bedenken, dass es verschiedene Arten von Arzneimittel-induzierten Leberschäden gibt:

Häufige DILI, bei denen Wirkstoffe vorhersagbar direkt und dosisabhängig hepatotoxisch wirken:

Seltene indirekt hepatotoxische nicht dosisabhängige und nur teilweise vorhersagbare DILI, ausgelöst durch Wirkstoffe wie

  • Checkpoint-Inhibitoren,
  • monoklonale Anti-CD20-Antikörper und
  • Proteinkinase-Inhibitoren

Idiosynkratisch (nicht vorhersehbar) hepatotoxische DILI, welche nur sehr selten auftreten, unabhängig von der eingesetzten Dosis und nicht vorhersagbar sind, exemplarische Wirkstoffe sind

  • Amoxicillin/Clavulansäure,
  • Cephalosporine,
  • Isoniazid und
  • Nitrofurantoin.

Während die direkte Hepatotoxizität relativ zeitnah erkennbar wird, können bei letzteren beiden Formen Tage bis Jahre vergehen, bis diese auftreten.

Spanien: zehn häufigste Substanzen, die zu Leberschäden führen

Es ist wichtig, diese drei Formen zu unterscheiden, da es in der US-Studie von 2015 explizit um Arzneimittel-induzierte Leberschäden ging, die nicht durch Paracetamol ausgelöst wurden. Die neuesten in dem US-Leitfaden gelisteten Daten stammen aus einer spanischen Studie von 2021. Auch dort wurden DILI durch Paracetamol ausgeschlossen. 

Eingangs heißt es, dass es bei DILI-Registern vor allem darum geht, Informationen über idiosynkratische DILI zu gewinnen. Vor diesem Hintergrund zählen zu den zehn häufigsten Substanzen, die eine DILI auslösen in Spanien:  

  • Amoxicillin/Clavulansäure
  • Tuberkulostatika
  • (pflanzliche) Nahrungsergänzungsmittel (HDS = herbal and dietary supplements)
  • Ibuprofen
  • anabole Steroide
  • Flutamid
  • Isoniazid
  • Atorvastatin
  • Diclofenac
  • Ticlopidin

Arzneimittel, die weltweit am häufigsten zu Leberschäden beitragen

International beschreibt die AkdÄ, dass 

  • Antibiotika,
  • Arzneimittel mit Wirkung auf das zentrale Nervensystem und
  • entzündungshemmende Arzneimittel

weltweit am häufigsten Arzneimittel-induzierte Leberschäden verursachen. Die AkdÄ betont dabei aber, dass (pflanzliche) Nahrungsergänzungsmittel in einigen asiatischen Ländern häufiger DILI verursachen, wobei solche NEM zunehmend auch in westlichen Ländern eingesetzt würden. 

In einem Fazit heißt es, dass „die Untersuchung eines Patienten mit Verdacht auf eine DILI eine detaillierte Anamnese der Medikation (inklusive HDS) innerhalb der letzten 180 Tage vor der Vorstellung umfassen“ sollte. Die Datenbank „LiverTox“ kann dabei unterstützen.

Diese Nahrungsergänzungsmittel können Leberschäden auslösen

Der Praxisleitfaden aus den USA rückt konkret acht (pflanzliche) Nahrungsergänzungsmittel (HDS) in den Mittelpunkt. Dazu zählen:

  • Ashwaganda (Withania somnifera)
  • Grüntee-Extrakt
  • Garcinia cambogia (wird für Gewichtsverlust eingesetzt)
  • Polygonum multiflorum (zur Verbesserung der Haarfarbe und Steigerung der Fruchtbarkeit)
  • Baikal-Helmkraut (Scutellaria baicalensis)
  • Kratom (Mitragyna speciosa)
  • anabole Steroide
  • Kurkuma/Curcumin

Zur Erinnerung: Was zeichnet NEM aus?

Gemäß § 1 Abs. 1 Nahrungsergänzungsmittelverordnung (NemV) müssen NEM drei spezifische Voraussetzungen erfüllen:

  • Sie sind dazu bestimmt, „die allgemeine Ernährung zu ergänzen“.
  • Sie müssen „in dosierter Form“ (z. B. als Tabletten, Kapseln, Pulver, Tropfen) in den Verkehr gebracht werden.
  • Sie stellen „ein Konzentrat von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung“ dar.

Unter Nährstoffen werden hierbei Vitamine und Mineralstoffe inklusive Spurenelemente verstanden. Welche Nährstoffe in NEM eingesetzt werden dürfen, ist in der Anlage zur europäischen Verordnung geregelt. Die „sonstigen Stoffe“ sind nicht weiter erklärt.

NEM: Leitfaden kritisiert weniger strenge Regeln

In dem US-Leitfaden heißt es, dass viele der bekanntesten Fälle von Hepatotoxizität durch HDS auf Kombinationsprodukte zurückzuführen sind (z. B. Herba Life). Man sollte daher auch bedenken, dass sich die lebergefährdenden Eigenschaften einzelner Substanzen addieren können.

Zudem kritisiert der Leitfaden, dass für NEM oft weniger strenge Regeln gelten. So stimme die Zusammensetzung häufig nicht mit den Angaben auf dem Etikett überein. Außerdem hätten Leberschäden durch pflanzliche Heilmittel oder Nahrungsergänzungsmittel häufiger Todesfälle und Transplantationen zur Folge als Leberschäden durch Arzneimittel – wahrscheinlich, weil das NEM erst spät als Ursache erkannt wird. 

Insofern lohnt es sich sicherlich auch für Apotheken die oben genannten Stoffe im Hinterkopf zu behalten. Quellen:
- Zieschang M. Akute Schädigungen der Leber durch Arzneimittel, pflanzliche Heil- und Nahrungsergänzungsmittel. Arzneiverordnung in der Praxis Ausgabe 3/2023, www.akdae.de/arzneimitteltherapie/avp

- Fontana RJ, Liou I, Reuben A, Suzuki A, Fiel MI, Lee W et al. AASLD practice guidance on drug, herbal, and dietary supplement-induced liver injury. Hepatology 2023; 77(3):1036– 65. doi: 10.1002/hep.32689.

- Rausch R. Diese Arzneimittel „gehen auf die Leber“. DAZ 2019;40:20, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2019/daz-40-2019/diese-arzneimittel-gehen-auf-die-leber

- Chalasani N, Bonkovsky HL, Fontana RJ, Lee W, Stolz A, Talwalkar J, et al..Features and outcomes of 899 patients with drug‐induced liver injury: the DILIN prospective study. Gastroenterology. 2015;148:1340–52.e7, www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S001650851500311X

- Stephens C, Robles‐Diaz M, Medina‐Caliz I, Garcia‐Cortes M, Ortega‐Alonso A, Sanabria‐Cabrera J, et al. Comprehensive analysis and insights gained from long‐term experience of the Spanish DILI registry. J Hepatol. 2021;75:86–97, www.sciencedirect.com/science/article/pii/S016882782100043X

- Datenbank LiverTox, www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK547852/