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Pubertät beginnt immer früher: Warum?

Mädchen sitzt mit angezogenen Beinen und Kopf auf Knien auf Stein
Beginnt die Pubertät früher als bei den eigenen Freunden, kann dies sehr belastend für Heranwachsende sein. | Bild: DoraZett / AdobeStock

Über eine im Mittel immer früher einsetzende Pubertät berichten Mediziner schon seit einigen Jahrzehnten. Die Corona-Pandemie hat diesen Effekt deutlich verstärkt. 20 bis 30 Prozent mehr Fälle von verfrühter Pubertät wurden für diesen Zeitraum erfasst. 

Das Phänomen ist jedoch nicht nur in Deutschland beobachtet worden. Entsprechende Daten gibt es auch aus anderen Teilen Europas sowie aus den USA und China. Doch woran liegt das, dass Kinder immer früher in die Pubertät kommen?

Gut zu wissen: Was versteht man unter verfrühter Pubertät?

In der Pubertät wird vor allem die Fortpflanzungsfähigkeit des Menschen hergestellt. Hormone regen die Geschlechtsdrüsen (Hoden und Eierstöcke) dazu an, Sexualhormone zu bilden. 

Das führt bei Jungen vor allem zu einer Vergrößerung der Hoden und des Penis sowie zur Reifung der Samenzellen. Außerdem bildet sich der Adamsapfel aus und der Kehlkopf vergrößert sich, was zum Stimmbruch führt.

Bei Mädchen führen die Geschlechtshormone zum Brustwachstum und zum Einsetzen der Menstruation. Hüfte und Becken werden zumeist breiter. 

In der Regel beginnt die Pubertät in europäischen Ländern zwischen dem 11. und 13. Lebensjahr. Eine verfrühte Pubertät – Pubertas praecox genannt – liegt vor, wenn die Entwicklung der äußeren Sexualmerkmale bei Jungen vor dem vollendeten 9. und bei Mädchen vor dem vollendeten 8. Lebensjahr beginnt. 

Was hat Corona mit verfrühter Pubertät zu tun?

Dass in der Corona-Pandemie vermehrt Fälle von verfrühter Pubertät festgestellt worden sind, führen Experten unter anderem auf eine gesteigerte Aufmerksamkeit der Eltern zurück. Im Zuge von Schulschließungen und Homeoffice hatten sie mehr Zeit mit ihren Kindern verbracht und so fiel ihnen die frühere Entwicklung der Kinder eher auf.

Auch die höhere psychosoziale Belastung, die Kinder während der Pandemie erfahren haben, könnte sich auf die Entwicklung ausgewirkt haben, vermuten Experten. Frühere Studien hatten ergeben, dass Kinder in solchen Situationen körperlich früher reifen.

Diskutiert wird zudem ein Gewichtseffekt: Viele Kinder aßen in der Pandemie mehr beziehungsweise bewegten sich merklich weniger – und Übergewicht gilt als einer der wichtigsten Faktoren für eine früh einsetzende Pubertät.

„Aber auch, wenn das Gewicht herausgerechnet wurde, blieb ein Plus an Fällen von Pubertas praecox“, sagt Kinderendokrinologin Bettina Gohlke. „Vermutlich handelt es sich um einen multifaktoriellen Effekt.“ Unklar sei bisher, ob er sich mit dem Abklingen der Pandemie wieder verflüchtige.

Je dicker ein Kind, desto früher die Pubertät

Daten eines Forschungsteams um Gohlke zufolge ist das durchschnittliche Alter bei Pubertätsbeginn bei Mädchen seit den 1970er-Jahren um etwa drei Monate pro Jahrzehnt gesunken. Bei Jungen sei die Entwicklung ähnlich. 

Das Alter am Pubertätsende hingegen verschob sich in den vergangenen 50 Jahren nicht – die Pubertät dauert also im Mittel länger als früher. Kaum verändert hat sich auch das durchschnittliche Alter bei der ersten Regelblutung.  

Prinzipiell sei vor allem genetisch festgelegt, wann die Hormonausschüttung und damit die Pubertätsmaschinerie anspringe, erklärt der Hamburger Endokrinologe Stephan Petersenn. Einfluss haben aber auch Faktoren wie anhaltende psychische Belastung und Ernährung.

Übergewicht gilt als maßgeblich für die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte: Im Fettgewebe entstehe dann vermehrt der Botenstoff Leptin, der die Pubertät vorantreibe, so Petersenn. Je dicker ein Kind, desto früher entwickelt es sich also zum Erwachsenen.

Weitere Einflüsse auf die Pubertät aus der Umwelt

Das Einsetzen der Pubertät hänge also immer auch mit dem Lebensstandard in der Gesellschaft zusammen, so Petersenn. Es sei gut vorstellbar, dass es auch in der Vergangenheit immer wieder deutliche Schwankungen beim Startalter gegeben habe.

Aktuell treffe eine verfrühte Pubertät Kinder aus sozial schwächeren Familien anteilig häufiger, weil sie öfter übergewichtig seien, sagt der Münchner Endokrinologe Günter Stalla. „Gesundheit hängt von sozialem Status und Bildung ab, das zeigt sich auch hier.“

Einfluss hat nach Annahme vieler Experten neben Übergewicht auch, dass Kinder heutzutage einem ganzen Cocktail hormonell wirkender Substanzen ausgesetzt sind. Allerdings mangelt es noch an Studien dazu. Aus Tierversuchen lassen sich nur bedingt Rückschlüsse ziehen, klinische Studien am Menschen sind in dem Bereich jedoch nicht möglich. 

Ist eine verfrühte Pubertät problematisch?

Was bedeutet eine nach den aktuellen medizinischen Leitlinien zu früh einsetzende Pubertät für ein Kind? „Die einsetzende Pubertät ist ein Wachstumsbeschleuniger“, erklärt Stalla. Vorzeitig pubertierende Kinder schießen also zunächst rascher in die Höhe.

Doch es gibt bei ihnen einen gegenläufigen Prozess, der zur Folge hat, dass sie im Mittel letztlich kleiner bleiben als später in die Pubertät startende. Die Sexualhormone, die das Wachstum zunächst beschleunigen, sorgen auch dafür, dass es verfrüht endet, indem die Wachstumsfugen geschlossen werden.  

Neben solchen körperlichen Folgen kann es psychische geben, wie Petersenn sagt. Und das nicht nur deshalb, weil Kinder sich zum Beispiel für Brustwachstum oder Behaarung schämten: Mit einsetzender Pubertät veränderten sich auch die Art zu denken und die Gefühlswelt, was zu Problemen im Freundeskreis führen könne, erklärt Petersenn. „Man reift früher zu erwachsenem Denken heran.“

Diskutiert werden unter Experten auch mögliche Langzeitfolgen wie ein höheres Risiko für bestimmte Krankheiten – gesicherte Erkenntnisse fehlen aber. 

Kann man eine verfrühte Pubertät bremsen?

Der verfrühte Pubertätsstart lässt sich aufhalten: durch das Spritzen synthetischer Botenstoffe, die die Produktion von Sexualhormonen stoppen, alle drei Monate. Bei Mädchen, die mit sieben bis siebeneinhalb Jahren in die Pubertät starten, entschieden sich das Kind beziehungsweise seine Eltern in etwa der Hälfte der Fälle gegen eine solche Therapie, ist Gohlkes Erfahrung. Manche Eltern oder auch das Kind selbst stresse die Diagnose hingegen sehr.  

Für das Größenwachstum spiele die Therapie keine Rolle mehr, erklärt die Medizinerin. Dafür müsse sie früher, vor dem sechsten Lebensjahr beginnen. Solche Fälle seien aber selten. Quelle: dpa / mia