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Studie: Folgen von Gehirnerschütterungen langanhaltend

„No Sports“, sagte einst Winston Churchill, befragt danach, wie er sich gesund halte – mit Blick auf das Risiko, eine sportassoziierte Gehirnerschütterung (sport-related concussion (SRC)) zu erleiden, hatte der britische Staatsmann da wohl eindeutig recht.
Kanadische Forschende haben sich den Umstand dieses Risikos für ihre Forschung zu Nutze gemacht. Das Team um Nathan Churchill vom St. Michael’s Hospital in Toronto, Kanada, beobachtete insgesamt 187 Sportlerinnen und Sportler, die verschiedene Ball- und Mannschaftssportarten (Basketball, Hockey, Lacrosse, Rugby, Fußball oder Volleyball) betrieben, über mehr als ein Jahr lang.
Die Forschenden rekrutierten für ihre prospektive Beobachtungsstudie gesunde Sportlerinnen und Sportler ohne psychiatrische, neurologische oder sensomotorische Vorerkrankungen aus einer Universitätsklinik für Sportmedizin.
Dabei mussten alle Teilnehmer vor Beginn ihrer jeweiligen Spielsaison einen Test absolvieren, bei dem Gleichgewichtssinn, Denkvermögen und Gedächtnis überprüft wurden. Außerdem wurden die Gehirne per Magnetresonanztomografie (MRT) im somit gesunden Zustand gescannt.
Folgen der Gehirnerschütterung länger als ein Jahr zu erkennen
Im Laufe der Saison erlitten dann tatsächlich 25 der Beteiligten ein mildes Schädel-Hirn-Trauma (SHT) (14 Männer und elf Frauen). Bei diesen wurden die klinischen Tests und das MRT innerhalb von einem bis sieben Tagen nach dem SHT wiederholt. Außerdem nach der sogenannten „Return-to-play“-Freigabe (RTP), also der medizinischen Freigabe, wieder Sport treiben zu dürfen, sowie ein bis drei Monate nach der RTP und ein Jahr nach der RTP.
Die übrigen Sportler kamen regulär nach einem Jahr wieder zu den Checks, bei denen auch neue MRT-Bilder gemacht wurden.
Die Forschenden verglichen nun die Daten der SHT-Betroffenen vor und nach der Verletzung mit 27 Kontrollen der Nicht-Betroffenen im gleichen Geschlechterverhältnis und fanden so deutlich erkennbare Folgen der Gehirnerschütterung, die auch noch ein Jahr nach der medizinischen Sportfreigabe erkennbar waren.
Weiße Substanz nach Gehirnerschütterung lange beeinträchtigt
Konkret konnten die Forschenden zeigen, dass etwa der zerebrale Blutfluss in vorderen Bereichen der Großhirnrinde auch noch nach langer Zeit vermindert war.
Auch die sogenannte „mittlere Diffusivität der weißen Substanz“ (ein Maß dafür, wie sich Wassermoleküle in dieser Hirnregion bewegen und damit ein Biomarker für die Unversehrtheit der „weißen Substanz“, die hauptsächlich aus Axonen besteht) war nach dem SHT lange beeinträchtigt. Gleiches galt für die sogenannte „fraktionale Anisotropie“ (ein Maß in der MRT-Bildgebung für die Richtung, in der sich Moleküle bevorzugt bewegen – ebenfalls ein Biomarker für die Unversehrtheit der weißen Substanz).
Besorgnis über Folgen wiederholter Gehirnerschütterungen
„Diese Studie liefert direkte Beweise für anhaltende Veränderungen des zerebralen Blutflusses und der weißen Substanz nach einer Erschütterung zum Zeitpunkt der RTP und bis zu einem Jahr später“, schreiben die Autoren als Schlussfolgerung.
„Das Vorhandensein signifikanter, langanhaltender Veränderungen des Gehirns nach einer Verletzung verstärkt die Besorgnis über die Folgen wiederholter Gehirnerschütterungen und darüber, inwieweit sich diese Auswirkungen im Laufe der Zeit anhäufen.“
Auf die medizinische Sportfreigabe hin kritisieren in einem Kommentar die Neurologinnen des Universitätsklinikums Lüttich Aurore Thibaut und Géraldine Marens, dass die bisherigen Parameter der Untersuchung wohl nicht ausreichen und die Hirnphysiologie in den meisten Fällen beim RTP eben noch nicht wieder vollständig hergestellt ist – auch ohne klinische Symptome. Sie regen an, weitere Untersuchungen wie etwa den zerebralen Blutfluss per MRT einzubeziehen oder nach anderen Methoden zu suchen.
Allgemein regen sie auch an, weitere Studien mit größeren Kohorten anzustrengen, bei denen auch Nicht-Sportler sowie ältere Menschen einbezogen werden, um Langzeitfolgen von milden Gehirnerschütterungen zu untersuchen.
Gehirnerschütterung: Späte Folgen aus dem Sport bekannt
Späte Folgen wiederholter Beeinträchtigungen des Gehirns, besonders im Sport, werden bereits seit langem diskutiert und untersucht. So ist das Phänomen der Chronisch traumatischen Enzephalopathie (CTE) bekannt, bei der wiederholte SHT als Spätfolge diese neurodegenerative Erkrankung auslösen können, die mit Demenz, Gedächtnisverlust, Verhaltensauffälligkeiten und motorischen Problemen einhergeht. Die Latenz kann dabei zehn bis zwanzig Jahre nach dem Ende der aktiven Sportkarriere betragen.
Vor allem Sportarten mit hohem Risiko für Kopfverletzungen wie Boxen, American Football, Rugby oder Eishockey werden damit in Zusammenhang gebracht. Vermutet wird etwa, dass der Boxer Muhammad Ali an einer CTE erkrankt gewesen sein könnte.
Als Risiko gelten aber auch Kopfbälle im Fußball, die langfristig laut einer schwedischen Studie das Demenzrisiko sowie das Risiko für Alzheimer und andere neurodegenerative Erkrankungen erhöhen.
Weitere Studien beschäftigen sich mit dem ebenfalls bekannten Phänomen, dass Sportler nach einer sportbedingten Gehirnerschütterung eine Veränderung ihrer „sportlichen“, „sozialen“ oder „persönlichen Identität“ erleben.
Das bezieht sich etwa auf vermindertes Selbstvertrauen, Veränderungen der Rolle(n) in sozialen Gruppen oder ihrer Selbstwahrnehmung als Sportler. Viele dieser Identitätsveränderungen halten demnach auch über den Zeitraum der Genesung vom SHT an – was sich auch mit den beobachteten organischen Langzeitfolgen in Zusammenhang bringen lassen könnte.
Insgesamt unterstreicht das die Notwendigkeit, das Gehirn vor (vermeidbaren) Schädel-Hirn-Traumata zu schützen – sowie, dass weitere Forschung zum Thema Gehirnerschütterung nötig ist. Quellen:
https://doi.org/10.1212/WNL.0000000000213374
https://doi.org/10.1212/WNL.0000000000213513
https://www.aerzteblatt.de/archiv/chronisch-traumatische-enzephalopathie-wie-sportverletzungen-das-gehirn-schaedigen-koennen-03d2de79-de59-4000-bb39-beb4a15d1a7a
https://www.thelancet.com/journals/lanpub/article/PIIS2468-2667(23)00027-0/fulltext
https://doi.org/10.1037/spy0000379 https://psycnet.apa.org/record/2025-84840-001