COVID-19-Therapieoptionen
Corona-Pandemie
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Keine verringerte Sterblichkeit: Colchicin enttäuscht bei Corona

weiße Tablettenblister
Neue Studien widerlegen den erhofften Nutzen von Colchicin bei COVID-19. | Bild: IMAGO / YAY Images

Bei schwerem COVID-19 spielen Entzündungen eine wesentliche Rolle. So lassen sich bei schwer erkrankten Coronapatienten stark erhöhte Entzündungsmarker, wie Interleukin-6 (IL-6) und C-reaktives Protein (CRP), ausmachen. Dass es sinnvoll ist, diese Entzündungen sodann zu behandeln, zeigen entzündungshemmende Arzneimittel, zum Beispiel Corticosteroide oder der IL6-Antikörper Tocilizumab, die mittlerweile zur Behandlung von COVID-19 zugelassen sind und nachweislich die Sterblichkeit senken können. 

„Colchicin, ein leicht verfügbares, sicheres und preiswertes Medikament, hat eine breite Palette von entzündungshemmenden Wirkungen“, schreiben Wissenschaftler im Fachjournal „The Lancet Respiratory Medicine(Colchicine in patients admitted to hospital with COVID-19 (RECOVERY): a randomised, controlled, open-label, platform trial) . Ob diese entzündungshemmenden Wirkungen auch bei COVID-19 helfen, haben sie in einer randomisierten, kontrollierten Open-Label-Studie (nicht verblindet, das heißt: Sowohl Arzt wie auch Patient wissen, welchen Wirkstoff sie verabreichen beziehungsweise erhalten) untersucht.

So lief die RECOVERY-Studie ab

An der RECOVERY-Studie beteiligen sich insgesamt 177 Krankenhäuser im Vereinigten Königreich (UK), zwei in Indonesien und zwei in Nepal. RECOVERY untersucht nicht nur den Nutzen von Colchicin bei COVID-19, sondern prüft auch bereits andere potenzielle Wirkstoffe, wie Dexamethason, Lopinavir-Ritonavir, Tocilizumab, Azithromycin, Hydroxychloroquin und Genesenenplasma. 

Teilnehmen konnten ins Krankenhaus eingelieferte COVID-19-Patienten, die entweder (nur) einen klinischen Verdacht auf COVID-19 oder eine laborbestätigte SARS-CoV-2-Infektion hatten, wobei eine bestätigte SARS-CoV-2-Infektion bei 97 Prozent der Teilnehmer vorlag.

Die Studienteilnehmer – mittleres Alter 63,4 Jahre, mediane Zeit seit Symptombeginn neun Tage – wurden sodann einer von zwei möglichen Gruppen zugeteilt. Entweder sie erhielten die COVID-19-Standardbehandlung oder zusätzlich das zur Behandlung akuter Gicht zugelassene Colchicin (initial 1 mg Colchicin, gefolgt von 500 µg zwölf Stunden später und dann 500 µg zweimal täglich oral oder über eine nasogastrale Sonde für insgesamt zehn Tage oder bis zur Entlassung, im Median sechs Tage). 

In beiden Gruppen waren die anderen Arzneimittel, die die Patienten zur Behandlung ihrer COVID-19-Erkrankung erhielten, vergleichbar: 87 Prozent erhielten ein Corticosteroid, 23 Prozent Remdesivir, 13 Prozent Tocilizumab oder Sarilumab. Bestimmten Patienten (Körpergewicht unter 70 kg oder mit Nierenfunktionsstörungen oder mit Arzneimitteln, die CYP3A4 hemmen – worüber Colchicin abgebaut wird) erhielten nur einmal täglich Colchicin. 

Das Ziel der Studie, der primäre Endpunkt, war die Sterblichkeit der Patienten nach 28 Tagen. Als zusätzliche Endpunkte interessierte die Wissenschaftler, ob Colchicin einen Einfluss auf die Zeit bis zur Entlassung hat oder bei Patienten, die zum Zeitpunkt der Randomisierung nicht invasiv mechanisch beatmet wurden, die Häufigkeit einer invasiven mechanischen Beatmung und Tod (zusammengesetzter Endpunkt) beeinflusst.

Kein Unterschied bei der Sterblichkeit

Insgesamt eigneten sich 11.340 Studienteilnehmer für eine Randomisierung zur Colchicin- oder Standardbehandlungsgruppe: 5.610 (49 Prozent) Patienten erhielten Colchicin, 5.730 (51 Prozent) der Patienten die Standardbehandlung. 

In beiden Gruppen starben je 21 Prozent und zahlenmäßig nahezu gleich viele Patienten – in der Colchicingruppe waren es 1.173 Patienten, in der Standardbehandlungsgruppe 1.190 Patienten, die innerhalb von 28 Tagen verstarben. 

Auch brachte Colchicin keinen Vorteil, wenn es um den Entlassungszeitpunkt ging: Im Median verließen die Patienten nach zehn Tagen das Krankenhaus. Keinen Unterschied machte Colchicin zudem beim Beatmungsrisiko bei Patienten, die bei Randomisierung nicht beatmet wurden: Unter Colchicin wie unter Standardbehandlung musste je ein Viertel der Patienten (25 Prozent) im Laufe der Erkrankung invasiv beatmet werden oder verstarb (1.344 Patienten in der Colchicingruppe vs. 1.343 in der Standardbehandlungsgruppe).

Kein Nutzen bei Krankenhausaufenthalt und Sterblichkeit

Das Fazit der Studienautoren: „Bei Erwachsenen, die mit COVID-19 ins Krankenhaus kamen, war Colchicin nicht mit einer Verringerung der 28-Tage-Sterblichkeit verbunden, der Dauer des Krankenhausaufenthalts oder des Risikos einer invasiven mechanischen Beatmung oder des Todes.“ 

Von der Nebenwirkungsrate waren die beiden Behandlungsregime vergleichbar, wobei zwei schwerwiegende unerwünschte Arzneimittelwirkungen beobachtet wurden, die „vermutlich“ mit Colchicin in Zusammenhang stehen: Ein Patient erlitt eine schwere akute Nierenschädigung und ein Patient eine Rhabdomyolyse.

Frühere Studien ließen Colchicinwirkung bei COVID-19 vermuten

Bereits im Februar 2021 gab es erste Daten zu Colchicin bei COVID-19. Diese stimmten jedoch noch hoffnungsvoller. In einer in „Rmd Open“, einem zum BMJ (British Medical Journal) gehörenden Journal und eine offizielle Fachzeitschrift der European Alliance of Associations for Rheumatology (EULAR), veröffentlichten kleinen Studie hatten Wissenschaftler durchaus Hinweise für einen Nutzen für Colchicin bei COVID-19 gefunden: 

Colchicin verkürzte bei mittelschwer bis schwer erkrankten COVID-19-Patienten eine zusätzliche Sauerstoffbehandlung sowie die Krankenhausaufenthalte. COVID-19-Patienten verließen im Mittel zwei Tage früher das Krankenhaus. Allerdings war die COVID-19-bedingte Sterblichkeit kein Endpunkt der Studie.

Gut zu wissen: Wo wird Colchicin therapeutisch genutzt?

Colchicin dient der Behandlung akuter Gicht bei Erwachsenen. Als Spindelgift hemmt der Wirkstoff aus der Pflanze Herbstzeitlose (Colchicum autumnale) die Zellteilung, gleichzeitig verhindert Colchicin aber auch die Wanderung von Leukozyten (weiße Blutkörperchen). 

Letzteres macht man sich bei Gicht zunutze. So soll Colchicin verhindern, dass Leukozyten die bei einem akuten Gichtanfall ausgefallenen Uratkristalle (Harnsäurekristalle) phagozytieren und daraufhin lysosomale Enzyme ausschütten und weitere Granulozyten in das entzündete Gewebe anlocken. Das verhindert das Ausfallen neuer Uratkristalle. Colchicin hat jedoch keinen Einfluss auf die Harnsäurekonzentration im Blut oder im Gewebe. 

Das Arzneimittel hat nur eine geringe therapeutische Breite, was bedeutet, dass der Grat zwischen erwünschter pharmakologischer Wirkung und einer Vergiftung mit Colchicin schmal ist. 

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hatte nach Meldungen über teils tödliche Überdosierungen und Medikationsfehler bereits im Februar 2017 ein Risikobewertungsverfahren zu Colchicinpräparaten gestartet, das es im November 2018 abschloss, und als Ergebnis zahlreiche risikominimierende Maßnahmen veröffentlicht, die die Hersteller Colchicin-haltiger Arzneimittel (Colchicum® Dispert, Colchysat® Bürger) bis 2019 sodann umsetzten. 

Unter anderem war die maximale Gesamtdosis, die zur Behandlung eines akuten Gichtanfalles eingesetzt werden darf, reduziert worden – und zwar um die Hälfte von ursprünglich 12 mg auf jetzt 6 mg. 

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