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Mit Ernährung Krebs vorbeugen – Teil 2: Wie Fleisch und Alkohol das Krebsrisiko erhöhen

Der aktuelle Fleischkonsum erhöht das Darmkrebsrisiko um 40 Prozent verglichen mit einer fleischlosen Ernährung. Auch Alkohol, ganz gleich in welcher Form, erhöht das Krebsrisiko deutlich. | Bild: kucherav / Adobe Stock

Wie sieht eine wirksame Vorbeugung durch Ernährung aus? Was muss man essen, was weglassen? An erster Stelle sollte – nach Ansicht von Professor Martin Smollich, Institut für Ernährungsmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, und nach derzeitigem Stand der Wissenschaft – ein gesundes Körpergewicht gehalten werden. Damit hat man immerhin schon 80 Prozent der Risikofaktoren ausgeschaltet. Dies erklärte Smollich vor kurzem in seiner Online-Vorlesung „Ernährungstherapeutische Strategien und Potenziale in der Onkologie & Ernährung und Pharmakologie – Erkenntnisse aus der Pharmakonutrition“ im Rahmen der Vorlesungsreihe „Iss Das! – Ernährung in der Medizin“ der PAN (Physicians Association for Nutrition). Daneben sollten weitere Risikofaktoren minimiert und dafür protektive Faktoren erhöht werden. Doch was sind denn nun weitere Risikofaktoren für Krebs, und welche Maßnahmen können vor Tumoren schützen?

Was kann man zur Krebsvorbeugung aktiv tun? 

Einen üppigen Datenpool hierzu liefert der Expertenbericht „Diet, nutrition, physical activity and cancer: a global perspective“ des World Cancer Research Fund (WCRF). Erst jüngst wurden die Daten aktualisiert. Der Bericht ordnet den Einfluss einzelner Faktoren (präventiv oder risikoerhöhend) wie Alkohol, Ballaststoffe, Bewegung, Calcium, Kaffee, Milchprodukte, Übergewicht und verarbeitete Fleischprodukte einzelnen Krebsarten zu. Grün markiert werden protektive Faktoren und rot die schädigenden.

Übergewicht und Alkohol erhöhen Krebsrisiko

Auffällig ist: Zwei Risikofaktoren scheinen das Risiko für Krebs mehr oder weniger unabhängig von der einzelnen Krebsart zu erhöhen – Alkohol und Übergewicht. Smollich erklärt: „Bei den Risikofaktoren zeigt sich ganz eindrücklich, ein hoher Köperfettanteil ist für viele Tumorarten ein ganz wichtiger Risikofaktor. Auch Alkohol differenziert wenig bei den einzelnen Krebsarten.“ 

Bei manchen Krebsentitäten kommen spezielle Risikofaktoren hinzu: So schadet Rauchen bekanntermaßen der Lunge und zeichnet für die allermeisten Lungenkarzinome verantwortlich. Dem deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) zufolge haben etwa 90 Prozent der Männer mit Lungenkrebs diesen vermutlich durch Rauchen bekommen, bei Frauen sind es 60 Prozent. Zusätzlich können Nahrungssupplemente mit hochdosiertem Betacarotin bei Rauchern das Risiko für Lungenkrebs erhöhen. 
Hingegen sind Aflatoxine, Gifte aus Schimmelpilzen, mitverantwortlich für Leberkrebs. In Afrika ist beispielsweise laut Smollich das hepatozelluläre Karzinom die häufigste Krebsart. Das liege an den Aflatoxinen, die dort aufgrund der klimatischen und hygienischen Bedingungen sehr viel häufiger vorkommen als in unseren Breiten.

Ballaststoffe, Bewegung und Vollkornprodukte schützen vor Darmkrebs

Am Beispiel „Darmkrebs“ zeigt der World Cancer Research Fund (WCRF), dass sich Ballaststoffe und Vollkornprodukte präventiv auf die Entwicklung eines Kolorektalkarzinoms auswirken. Auch Milchprodukte üben einen positiven Einfluss aus, wobei hier laut Smollich fermentierte, die Darmmikrobiota modulierende Milchprodukte gemeint sind. Gut scheint es auch zu sein, auf eine ausreichende Calciumversorgung und körperliche Aktivität zu achten. Hingegen sind rotes Fleisch – wahrscheinlich – und verarbeitete Fleischprodukte – erwiesenermaßen – mit einem höheren Risiko für Darmkrebs assoziiert. 

Auch die „International Agency For Research Of Cancer“ (IARC) der WHO hat einzelne Substanzen hinsichtlich ihres Krebsrisikos eingestuft. Sie kommt zu den gleichen Ergebnissen wie der WCRF: Für verarbeitetes Fleisch wie Salami, Schinken und Wurstprodukte gibt es ausreichend Evidenz für einen kausalen Zusammenhang, dass sie beim Menschen krebserregend sind (Gruppe 1). Wahrscheinlich krebserregend beim Menschen – ohne dass dies bislang kausal nachgewiesen wurde – ist der Konsum von rotem Fleisch (Lamm, Rind, Schwein, also ohne Geflügel und Fisch). Doch ist dieses erhöhte Risiko überhaupt relevant?

Risikofaktor Fleisch – und die Deutschen essen zu viel davon

Aktuell liegt der durchschnittliche Fleischkonsum pro Person und Tag bei 150 g, was etwas mehr als ein Kilo Fleisch pro Woche bedeutet. Allerdings rät die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) zu deutlich weniger Fleisch: 300 bis maximal 600 g pro Woche. „Wir leben hinsichtlich des Fleischverzehrs in einem historischen Ausnahmezustand“, so Smollich. Das war nicht immer so: In den 1950er-Jahren lag der Fleischkonsum mit 55 g/Tag nur etwa bei einem Drittel des heutigen Fleischkonsums. Würde man jedoch allein der DGE-Empfehlung folgen, würde dies den bundesweiten Fleischkonsum halbieren – „mit einem einzigen ,Veggie-Day‘ pro Woche ist es also nicht getan“, erklärte Smollich dazu.

Wie stark erhöht Fleisch das Risiko für Kolorektalkarzinom?

Einer Metaanalyse des WCRF zufolge erhöht der aktuelle Fleischkonsum von 150 g pro Tag das Darmkrebsrisiko um 40 Prozent verglichen mit einer fleischlosen Ernährung. Reduziert man den Fleischkonsum auf 100 g täglich, verringert sich auch das Risiko für Darmkrebs, liegt aber immer noch 30 Prozent über dem von Menschen mit fleischloser Kost. „Das ist ein relativ hohes präventives Potenzial, das ungenutzt rumliegt“, ordnet Smollich „unseren“ aktuellen Fleischkonsum ein.

Warum erhöhen Fleisch und Wurst das Krebsrisiko?

Dies liegt Smollich zufolge an der Bildung von Protein- und DNA-Addukten, die an der Tumorentstehung beteiligt sind. Zentrale Rollen spielen dabei im Fleisch enthaltene Stoffe – Hämeisen und Arachidonsäure – und auch die Zubereitungsart des Fleischs. So kann das im Myoglobin von rotem Fleisch enthaltene Hämeisen (Fe²+) mit Wasserstoffperoxid reagieren, toxische Sauerstoffradikale bilden und DNA-Mutationen auslösen. Die im Fleisch enthaltene Arachidonsäure ist hingegen Vorläufer für proinflammatorische Mediatoren – und die „lokale Inflammation“ spielt laut Smollich beim Kolorektalkarzinom eine „wichtige Rolle“. Durch Grillen können sich zudem polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe bilden. Verarbeitetes Fleisch sei zudem meist gepökelt, und es entstünden krebserregende Nitrosamine und reaktive Sauerstoffspezies. Diese Effekte ließen sich durch Enzyminduktion – z. B. durch gleichzeitiges Rauchen – noch verstärken. 

Fleisch hat, verglichen mit Gemüse, eine relativ hohe Kaloriendichte und kann so zum Adipositasrisiko beitragen. Hinzu kommen Modifikationen der Darmmikrobiota, die die Produktion schützender Metaboliten reduzieren, was die Tumorpromotion fördert, und postbiotische Effekte des Fleischs, sogenannte BMMFs – Substanzen, die über Transfektion zur Inflammation führen und Tumorpromotion betreiben.

Was sind BMMFs?

BMMFs (Bovine Meat Milk Factors) sind relativ neu entdeckte Erreger bestehend aus kleinen DNA-Elementen, die Ähnlichkeit mit bakteriellen Plasmiden aufweisen. Gefunden wurden sie in Rindfleisch und Milchprodukten, BMMF-DNA im Colon und BMMF-Proteine in Colon, Brust, Prostata und Gehirn. „Es ist davon auszugehen, dass Menschen sich mit den BMMFs im frühen Säuglingsalter infizieren – wenn ihr Immunsystem noch nicht ausgereift und leistungsfähig ist“, erklärt das DKFZ anlässlich einer Pressekonferenz zu „Neuartige Infektionserreger als Krebsrisikofaktoren“ im Februar 2019. Die Erreger induzierten in bestimmten Geweben (Darm, Brust) eine chronisch-entzündliche Reaktion, die im umgebenden Gewebe die Krebsentstehung fördern könne. 

An den Forschungsarbeiten beteiligt war auch Professor Harald zur Hausen. Zur Hausen erhielt 2008 den Nobelpreis für Medizin für die Entdeckung eines Zusammenhangs zwischen einer Infektion mit HPV (Humane Papillomaviren) und der Entstehung von Gebärmutterhalskrebs. Prof. Smollich widmet sich diesem Thema in seinem Ernährungsmedizinblog „Krebs durch Infektionserreger aus Milch und Fleisch?

Es gibt keine unbedenkliche Alkoholmenge

Ein zweiter wichtiger Risikofaktor für Tumore ist Alkohol. Er gehört laut IARC-Einstufung in die gleiche Risikokategorie wie verarbeitetes Fleisch (Gruppe 1) und zeichnet für 10 Prozent aller ernährungsbedingter Krebstodesfälle verantwortlich. 
Für die onkogene Wirkung von Ethanol sind Smollich zufolge zahlreiche Pathomechanismen bekannt: Es komme durch chronischen Alkoholkonsum zum Mangel an bestimmten Mikronährstoffen – ein Vitamin A-Mangel könne sodann das Risiko für Leberzellkrebs erhöhen. Ein Mangel an Folsäure sei mit Rektumkarzinomen assoziiert. Zudem betonte Smollich die nicht zu unterschätzenden Estrogen-modulierenden Wirkungen von Alkohol und das dadurch erhöhte Risiko für bestimmte Brustkrebsarten. Nicht zu vergessen ist darüber hinaus die direkt mutagene Wirkung von Acetaldehyd. Doch gilt denn Rotwein nicht als „gesund“ – aufgrund der enthaltenen Resveratrole? Nein: „Toxikologisch gesehen ist Ethanol humankarzinogen, und es macht keinen Unterschied, ob dieser in Bier oder Wein enthalten ist, eine sichere Dosis gibt es nicht“, erklärte Smollich.

Arsen, Blei, Cadmium: 10 Prozent der ernährungsbedingten Krebserkrankungen

Daneben gibt es viele andere Risikofaktoren für ernährungsbedingten Krebs: Blei und Arsen, Letzteres findet sich laut Smollich häufig in Reiswaffeln oder in Vollkornreis, auch Cadmium und Quecksilber (Seefisch) und Acrylamid (Toastbrot) sind krebserregend. Auch diese Faktoren seien relevant – doch machten diese Faktoren zusammen gerade einmal 10 Prozent des ernährungsbedingten Krebsrisikos aus, erinnerte Smollich. 

Wie wirken eigentlich Ballaststoffe präventiv bei Darmkrebserkrankungen? Dabei geht es im dritten Teil von „Mit Ernährung Krebs vorbeugen“.