Titelbild: Schelbert / DAV
Neue Empfehlungen der AMK: Bedenkliche Ausgangsstoffe und Rezepturen

Jedes in der Apotheke hergestellte Arzneimittel muss vor seiner Herstellung auf Plausibilität geprüft werden, dies gilt sowohl für rezeptpflichtige als auch für nicht verschreibungspflichtige Rezepturen. Um die Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und pharmazeutische Qualität der hergestellten Zubereitungen sicherzustellen, müssen im Rahmen dieser Prüfung einige Punkte beurteilt werden.
Dazu gehört auch die Überprüfung, ob das Arzneimittel einen bedenklichen Inhaltsstoff enthält. Denn: Eine Reihe von Arzneistoffen, aber auch Hilfsstoffen, die lange Zeit von Ärzten verordnet wurden, gelten im Zuge neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse als bedenklich.
Bei bedenklichen Substanzen besteht ein begründeter Verdacht, dass auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen auftreten können.
Wie ist die gesetzliche Grundlage zu bedenklichen Stoffen?
In § 5 des Arzneimittelgesetzes (AMG) kann nachgelesen werden, dass Arzneimittel mit bedenklichen Stoffen nicht abgegeben oder angefertigt werden dürfen. Rezepturarzneimittel, die einen bedenklichen Ausgangsstoff enthalten, dürfen also nicht abgegeben oder hergestellt werden, unabhängig von einer ärztlichen Verordnung.
In solchen Fällen gilt die Verpflichtung nach § 17 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) zur unverzüglichen Belieferung von ärztlichen Verschreibungen nicht, auch die Therapiefreiheit des Arztes greift nicht. Das Arzneimittelgesetz hat hier also Vorrang vor der Apothekenbetriebsordnung.
Bedenkliche Rezeptursubstanzen: Wie sollte in der Apotheke vorgegangen werden?
Taucht in der Apotheke eine Verschreibung über eine Rezeptur mit einem bedenklichen Inhaltsstoff auf, sollte mit dem Arzt das Gespräch gesucht und mit ihm eine therapeutische Alternative gefunden werden.
Eine Herstellung des als bedenklich eingestuften Rezepturarzneimittels ist, auch wenn der Arzt dies ausdrücklich verlangt, ausgeschlossen. Denn: Für die Prüfung und Sicherung der Qualität aller Inhaltsstoffe einer Zubereitung ist allein die Apotheke verantwortlich.
Liste der AMK zu bedenklichen Arzneimitteln
Die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) stellt regelmäßig eine Liste mit bedenklichen Rezepturgrundstoffen zusammen. Diese Zusammenstellung bezieht sich auf Rezepturarzneimittel zur Anwendung am Menschen und wird regelmäßig aktualisiert – zuletzt im Juni 2025.
Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) hat diese aktuelle Änderung zustimmend zur Kenntnis genommen. Im Vergleich zur vorherigen Fassung von Mai 2018 gibt es einige Änderungen auf der neuen Liste.
Arzneimittel mit Kava-Kava gelten wieder als bedenklich
Zubereitungen aus Kava-Kava (Piper methysticum) sowie Kavain sind erneut in der Liste bedenklicher Substanzen zu finden. Bereits Anfang der 2000er-Jahre wurde die Zulassung Kava-Kava-haltiger Arzneimittel aufgrund schwerer Leberschäden erstmals widerrufen.
Im Jahr 2015 wurde die Zulassung unter Sicherheitsauflagen wieder gestattet, Ende 2019 kam es dann erneut zum Widerruf Kava-Kava-haltiger sowie Kavain-haltiger Arzneimittel, einschließlich homöopathischer Zubereitungen mit einer Endkonzentration bis D4. Der Grund hierfür war eine unzureichende Wirkung entsprechender Zubereitungen sowie das vorhandene hepatotoxische Risiko.
Natriumchlorit wurde neu in die Liste aufgenommen
Bei Natriumchlorit (NaClO2) – nicht zu verwechseln mit dem Kochsalz Natriumchlorid – handelt es sich um das Natriumsalz der Chlorigen Säure. Es kommt als Bleichmittel für Textilien und als industrielles Desinfektionsmittel zum Einsatz.
Unter dem Namen „Miracle Mineral Supplement“ (MMS) ist der Feststoff Natriumchlorit zusammen mit einem sogenannten Aktivator erhältlich. Wird Natriumchlorit nun in Wasser gelöst und der Aktivator – meist Citronen- oder Milchsäure – dazugegeben, bildet sich Chlordioxid (ClO2) und Natriumchlorat. Bei Chlordioxid handelt es sich um ein sehr giftiges und ätzendes Gas. Natriumchlorat gilt ebenfalls als starkes Oxidationsmittel.
MMS wird als Wundermittel gegen verschiedene Erkrankungen wie AIDS, Alzheimer, Malaria und Krebs beworben, auch gegen den Erreger SARS-CoV-2 soll es angebliche Behandlungserfolge gegeben haben. Die Wirksamkeit ist allerdings für keine einzige Erkrankung in einer klinischen Studie belegt. Nach der Einnahme von MMS kommt es vielmehr zu starker Übelkeit und Erbrechen, auch kann es zu lebensbedrohlicher Dehydratation und Nierenversagen kommen. Zudem können gefährliche Haut- und Schleimhautreizungen bis hin zu Verätzungen auftreten.
Welche weiteren Stoffe werden als bedenklich eingestuft?
Wegen möglicher Vergiftungen und mangelhafter Wirksamkeit stehen Borsäure sowie die entsprechenden Ester und Salze bereits auf der Liste der bedenklichen Rezepturgrundstoffe. Eine Verwendung in Rezepturen war bisher noch zur Pufferung von Augentropfen möglich. Diese Ausnahme wird nun nicht mehr erwähnt, vielmehr muss noch mit Hilfe altersabhängiger Grenzwerte über eine Verwendung entschieden werden.
Bei der Substanz Chloroform ist zukünftig als Ausnahme ein Einsatz in der Zahnmedizin bei der Ablösung von Wurzelfüllungen als einmalige und punktuelle Anwendung möglich.
Bei den Pyrrolizidinalkaloid-haltigen Drogen wurden ebenfalls neue Grenzwerte zur Anwendung aufgenommen.
In der nachfolgenden Tabelle ist eine Auswahl an bedenklichen Substanzen aufgeführt, mit jeweiliger Bedeutung in der Rezeptur:
Stoffe | Begründung |
---|---|
Aliphatische Amine (Di- und Triethanolamin) | Nitrosaminbildung mit kanzerogener Wirkung |
Arnikablüten zum Einnehmen (ausgenommen Homöopathika ab D4) | Gefahr von Atemnot, Tachykardie und Gastroenteritis |
Benzol (ausgenommen Homöopathika ab D6) | kanzerogene Wirkung |
Borsäure sowie deren Ester und Salze (ausgenommen altersabhängige Grenzwerte:
ausgenommen Homöopathika ab D4) | mangelnde Wirksamkeit, Vergiftungen möglich |
Bufexamac | häufige Kontaktallergien |
Chloroform (ausgenommen in der Zahnmedizin bei der Ablösung der Wurzelfüllung als einmalige und punktuelle Anwendung) | hepatotoxische, nephrotoxische und kanzerogene Wirkung |
Formaldehyd/Paraformaldehyd in Gynäkologika und in Konzentrationen über 0,2 % in anderen Arzneimitteln, in zahnärztlichen Arzneimitteln in Konzentrationen über 0,05 % (ausgenommen in Warzenmitteln) | schwere allergische Reaktionen, Kontaktekzeme, mögliche kanzerogene Wirkung |
Kava-Kava und Kavain (ausgenommen Homöopathika ab D5) | hepatotoxische Wirkung |
Krappwurzel (ausgenommen Homöopathika) | kanzerogene Wirkung |
Naphthalin (ausgenommen Homöopathika ab D4) | hämolytische Anämie, Methämoglobinbildung, tödliche Vergiftung bei Kindern durch Inhalation und topische Anwendung |
2-Naphthol (auch äußerlich) | nephrotoxische Wirkung |
Natriumchlorit als „Miracle Mineral Supplement“ (MMS) | schwere Verätzungen, Nierenversagen, Atemstörungen durch Schäden an roten Blutkörperchen |
Phenol zur Anwendung auf Mund und Schleimhaut (ausgenommen Spezialanwendungen wie Sklerosierung, Peeling, Nagelextraktion, bei denen Phenol nur einmal bzw. in geringer Menge angewendet wird, ausgenommen Homöopathika) | Methämoglobinbildung, Krampfgift, Reizung von Haut und Schleimhaut |
Schlankheitsrezepturen mit mehreren stark wirksamen Bestandteilen wie Appetitzüglern, Diuretika, Schilddrüsenhormonen oder Antidiabetika | Todesfälle durch derartige Rezepturen |
Die vollständige Liste der AMK kann hier nachgelesen werden.
Steht eine Substanz nicht auf dieser Liste, heißt das übrigens nicht, dass diese unkritisch zur Herstellung von Arzneimitteln verwendet werden darf. Die Bedenklichkeit eines Rezepturarzneimittels muss immer durch eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung beurteilt werden.
Was sind obsolete Wirkstoffe?
Zahlreiche, früher häufig verordnete Rezepturvorschriften, gelten mittlerweile als veraltet. Teilweise werden sie aus Gewohnheit weiter verschrieben, obwohl mittlerweile bessere Alternativen zur Verfügung stehen.
Im Gegensatz zu den bedenklichen Rezepturgrundstoffen gibt es für obsolete Wirkstoffe aber kein Verbot zur Abgabe oder Verarbeitung. Trotzdem sollte in der Apotheke in einem solchen Fall das Gespräch mit dem Arzt gesucht und therapeutische Alternativen vorgeschlagen werden.
In der nachfolgenden Tabelle sind Beispiele für obsolete Wirkstoffe für die topische Applikation aufgeführt, jeweils mit einer Alternative:
Stoffe | Begründung | Alternativen |
---|---|---|
Bismutsalze | Bismut belastet als Schwermetall die Umwelt, auf Wunden kommt es zur Narbenbildung. | Adstringentien wie Zinkoxid oder Zinksulfat |
Chloramphenicol | Auslösung von Kontaktallergien | Antiseptika wie Octenidin und Chlorhexidin |
Perubalsam | Verursacht häufig Überempfindlichkeitsreaktionen | Topische Glucocorticoide |
Resorcin | Bei großflächiger Anwendung toxische Wirkung möglich. | Aknetherapeutika wie Benzoylperoxid oder Tretinoin |
Schwefel | Hautirritationen möglich | Aknetherapeutika wie Benzoylperoxid oder Tretinoin Rosazea-Behandlung durch Metronidazol |
Quellen:
- AMK: Bedenkliche Rezepturarzneimittel Stand Juni 2025
- Ziegler A: Rezeptur-Retter, Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart 2018.
- Bergner A.: Praxishilfe Rezeptur, Deutscher Apotheker Verlag, 2. Auflage, Stuttgart 2021.
- https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/lebensmittel/nahrungsergaenzungsmittel/miracle-mineral-supplement-mms-erhebliche-gesundheitsgefahr-11044