Darmgesundheit
In den vergangenen Jahren rückten der Darm und seine Bewohner (Mikrobiota) immer mehr in den Fokus der Wissenschaft. Ob für ein intaktes Immunsystem, zum Schutz vor psychischen Erkrankungen oder krankhaften Veränderungen der Haut – der Darm scheint an vielen Prozessen beteiligt zu sein. In diesem Modul von Wissen am HV erfahren Sie, wie eine gesunde Darmflora aufrechterhalten werden kann und für wen sich Prä- bzw. Probiotika eignen. 
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Antibiotikatherapie: Wann sind Probio­tika indiziert?

Frau hält Braunglasflasche in der Hand und leert daraus weiße Kapseln auf die andere Hand
Durch die Einnahme von Antibiotika kann die Bakterienzusammensetzung im Darm aus dem Gleichgewicht geraten. | Bild: KMPZZZ / AdobeStock

Antibiotika gehören zu den wichtigen Medikamenten zur Bekämpfung von bakteriellen Infektionen. Je nach Wirkstoffgruppe behindern sie entweder das Wachstum der Mikroorganismen oder sorgen für ein sofortiges Absterben. Dabei ist es abhängig vom jeweiligen Antibiotikum, welche und wie viele Bakterienarten angegriffen werden. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Wirkstoffe nicht ausschließlich den infektiösen Keim, sondern auch weitere Bakterienstämme attackieren. 

So kann es vorkommen, dass sich während einer Behandlung mit Antibiotika die Bakterienzusammensetzung im Darmmikrobiom verändert, was unterschiedliche Auswirkungen haben kann.

Welchen Einfluss haben Antibiotika auf das Darmmikrobiom?

Bekannt ist mittlerweile, dass Antibiotika einen Einfluss auf die Zusammensetzung des Darmmikrobioms haben, jedoch ist das Ausmaß dieser Wirkung noch unklar. Faktoren, die dabei eine Rolle spielen, sind beispielsweise

  • die Dauer, Dosis und Häufigkeit einer antibiotischen Behandlung,
  • der eingesetzte Wirkstoff,
  • ob mehrere Antibiotika parallel verabreicht werden,
  • die vorherige Bakterienzusammensetzung im Darm sowie
  • der immunologische Zustand des Patienten.

Durch die Einnahme von Antibiotika wird häufig die Bakterienvielfalt im Darm reduziert und es kann vorkommen, dass sich eher ungünstige Bakterienarten vermehren. In einigen Fällen kann eine damit zusammenhängende Dysbiose bis zu vier Jahre lang anhalten. Eine Regeneration geht in der Regel schneller vonstatten.

Man geht davon aus, dass sich auch nach dieser Erholungsphase eine dauerhaft veränderte Bakterienzusammensetzung einstellen kann, die der ursprünglichen allerdings stark ähnelt und deshalb keine funktionellen Einschränkungen mit sich bringt.

Zur Erinnerung: Was ist eine Dysbiose?

Im Darm lebt eine Vielzahl von Bakterien, die auf den Körper gesundheitsfördernd wirken und bei der Verdauung helfen. Außerdem schützen sie den Darm vor möglichen Infektionen, indem sie Krankheitserreger fernhalten und den pH-Wert aufrechterhalten. 

Wird das Verhältnis der Darmflora durch bestimmte Einflüsse gestört, verändert sich diese und man spricht von einer Dysbiose. 

Antibiotika, die einen starken Einfluss auf das Darmmikrobiom haben

Individuell betrachtet ist es nicht möglich, die genauen Auswirkungen einer antibiotischen Behandlung auf das Darmmikrobiom vorauszusagen. Bestimmte Gruppen von Antibiotika zeigen allerdings einen besonders starken Einfluss auf die Bakterienvielfalt.

Dazu gehören Breitbandantibiotika (z. B. Amoxicillin, Azithromycin, Doxycyclin), die ein weites Wirkspektrum vorweisen, bakterizide Vertreter (z. B. Penicilline, Cephalosporine) sowie solche, die nicht oder nur zu einem geringen Anteil vom Körper aufgenommen werden (z. B. Rifaximin, Vancomycin und einige Reserve-Antibiotika).

Werden mehrere Wirkstoffe gleichzeitig eingenommen, erhöht sich dadurch das Risiko für unerwünschte Auswirkungen auf das Darmmikrobiom. 

Eine niederländische Studie konnte 2020 feststellen, dass die Substanzklasse der Makrolide (z. B. Azithromycin, Clarithromycin, Erythromycin) einen besonders langanhaltenden und schädigenden Einfluss auf die Darmflora hat.

Durchfälle und Pilzinfektion als Folge einer Dysbiose

Ist eine Dysbiose stark ausgeprägt und schafft es der Körper nicht, diese Dysbalance wieder auszugleichen, können kurzfristig Komplikationen und langfristig auch weitere Erkrankungen gefördert werden.

Häufig tritt eine Antibiotika-assoziierte Diarrhö (AAD) auf, die die Verdauung durcheinander bringen kann. Normalerweise ist diese Nebenwirkung zeitlich begrenzt und normalisiert sich nach Beendigung der Antibiotikatherapie von selbst. Tritt allerdings starker wässriger Durchfall mit Bauchkrämpfen und Erbrechen auf, kann dies ein Hinweis auf eine teils lebensgefährliche Infektion mit dem Bakterium Clostridium difficile sein.

Außerdem kann es durch die Abtötung von Bakterien im Darm zu einer Überpopulation des Hefepilzes Candida albicans kommen. Dieser Pilz ist Hauptverursacher verschiedener Mykosen, insbesondere von Mundsoor, Windeldermatitis, Vaginalmykose und Hautinfektionen. Neben einer antimykotischen Therapie kann es durchaus sinnvoll sein, bereits im Voraus eine Behandlung mit Probiotika in Erwägung zu ziehen.

Gut zu wissen: Mangelnde Evidenz für Einsatz von Probiotika

Der Einsatz von Probiotika aufgrund einer Antibiotikatherapie wird seit einigen Jahren erforscht, jedoch sind die Studienergebnisse nicht eindeutig. Das liegt daran, dass die Bakterienstämme und Zusammensetzungen in den einzelnen Produkten unterschiedlich und nur schwer vergleichbar sind. Das wiederum erschwert allgemeingültige Aussagen zum Nutzen.

Hinzu kommt, dass viele Probiotika als Nahrungsergänzungsmittel und somit ohne Wirksamkeitsnachweis auf dem Markt erhältlich sind. Außerdem unterscheidet sich das Darmmikrobiom der Menschen erheblich, was eine klare Definition für eine „optimale Zusammensetzung“ erschwert. 

Nach aktuellem Wissensstand kann demnach keine allgemeingültige Empfehlung für den Einsatz von Probiotika im Zusammenhang mit einer Antibiotikatherapie ausgesprochen werden.

Probiotika: Einnahme ab dem ersten Tag der antibiotischen Behandlung sinnvoll

Man geht allerdings davon aus, dass eine frühzeitige Gabe von Probiotika zu Beginn der antibiotischen Therapie das Mikrobiom so stabilisieren kann, dass sich pathogene Keime nur schwer ausbreiten können. Außerdem wird die Regeneration des Darmmikrobioms gefördert. In Kanada wird zur Prävention einer C.-difficile-assoziierten Diarrhö eine Kombination bestimmter Bakterienstämme von Lactobacillus acidophilus, L. casei und L. rhamnosus eingesetzt.

Zur Vorbeugung einer Antibiotika-assoziierten Diarrhö empfiehlt die World Gastroenterology Organisation – die globale medizinische Leitlinien herausgibt – eine spezifische Kombination aus Lactobacillus acidophilus NCFM®, L. paracasei Lpc-37™, Bifidobacterium lactis Bi-07™ und B. lactis Bl-04™. Diese Bakterienzusammensetzung ist beispielsweise im Produkt Innovall AB+ von Weber & Weber enthalten. Auch Saccharomyces boulardii (z. B. Perenterol®) kann bei frühzeitiger Einnahme das Risiko für derartige Durchfälle deutlich reduzieren.

Multispezies-Probiotika (z. B. Omni-Biotic® 10, MyBiotik®Protect) dienen vor allem dem Erhalt einer vielseitigen Darmflora bzw. intakten Darmbarriere und können deshalb auch in Erwägung gezogen werden. Während der Antibiotikatherapie sollte ein Einnahmeabstand von circa zwei Stunden zum Probiotikum eingehalten werden.

Zur Prophylaxe von Pilzinfektionen werden neben Probiotika auch hin und wieder kurzkettige Fettsäuren diskutiert. Vor allem Propionsäure scheint günstige Auswirkungen auf die Population von Hefepilzen, wie Candida albicans, im Darm zu haben.

Zur Erinnerung: Was sind kurzkettige Fettsäuren?

Kurzkettige Fettsäuren (short-chain fatty acids; SCFAs) sind Stoffwechselprodukte vieler gesundheitsfördernder Darmbakterien, die aus unverdaulichen Kohlenhydraten wie Ballaststoffen hergestellt werden. Sie besitzen zahlreiche positive Effekte unter anderem auf das Immunsystem, die Leistungsfähigkeit und die Entstehung von Entzündungen.  

Typische kurzkettige Fettsäuren sind Butyrat (Salz der Buttersäure) sowie Acetat und Propionat.  

Um die Vielfalt der SCAFs-produzierenden Bakterien im Darm zu fördern, sollte auf eine ausreichende Menge Ballaststoffe in der täglichen Ernährung geachtet werden.

Quellen:
- https://www.springermedizin.de/darmmikrobiom/antibiotika/nach-antibiotikatherapie-nicht-routinemaessig-probiotika-/23721310
- https://www.cochrane.org/de/evidence/CD004827_probiotics-prevention-antibiotic-associated-diarrhea-children
- https://www.cme-kurs.de/kurse/update-antibiotika-und-das-mikrobiom-die-praxis-im-fokus/
- Kühnast C, Verkaufsschulung Mikrobiom, Deutscher Apotheker Verlag, 1. Auflage, 2022
- https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2020/11/13/antibiotika-stoeren-mikrobiom-nachhaltig
- https://www.cochrane.org/de/evidence/CD006095_use-probiotics-prevent-clostridium-difficile-diarrhea-associated-antibiotic-use
 

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