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Dritte Corona-Impfung für MS-Patienten?

 MS-Patienten, die Ocrelizumab oder Fingolimod erhalten, weisen geringe Antikörperspiegel nach einer COVID-19-Impfung auf. | Bild: Valerii / AdobeStock

Menschen mit Multipler Sklerose (MS) sollen sich gegen COVID-19 impfen lassen. Das haben das Krankheitsbezogene Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) und die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft DMSG bereits im Januar empfohlen. Doch wie gut wirkt eine COVID-19-Impfung unter immunsuppressiver Therapie? Hat das Immunsystem der MS-Patienten überhaupt genug Restaktivität, um Antikörper gegen das Impfantigen zu bilden und sodann vor COVID-19 zu schützen? Ist vielleicht eine dritte Impfdosis angezeigt?

Mittlerweile gibt es mehr Daten zum Coronaschutz unter immunsuppressiver Behandlung – auch bei MS – als noch zu Beginn des Jahres. Es kristallisiert sich zunehmend heraus, dass eine COVID-19-Imfpung unter Immunsuppression tatsächlich zu einer geringeren Antikörperantwort führen kann. Dabei scheint es auch eine Rolle zu spielen, welche MS-Arzneimittel die Menschen mit Multipler Sklerose anwenden.

Ocrelizumab und Fingolimod „bremsen“ Antikörperbildung nach Impfung

So zeigt eine vor kurzem veröffentlichte Studie aus Israel, dass sich Antikörper vor allem unter Ocrelizumab (Ocrevus®) – einem B-Zell-Antikörper – und unter der oralen Therapie mit Fingolimod (Gilenya®) etwas schwer tun. Die Studienautoren sprechen von einer „niedrigen beziehungsweise fehlenden Antikörperantwort“ nach Impfung mit Biontech/Pfizer. So entwickelten nur 22,2 Prozent – also nur etwa jeder Fünfte – der Ocrelizumabpatienten nach einer Impfung mit Biontech/Pfizer Antikörper gegen das SARS-CoV-2-Spikeprotein (Antigen). Unter Gilenya® waren es noch weniger: Gerade einmal 3,8 Prozent der Geimpften – also noch nicht einmal jeder 20. – bildeten Antikörper. Den Wissenschaftlern zufolge war es dabei egal, welcher Impfabstand zur MS-Behandlung eingehalten wurde (ohnehin nehmen Menschen mit MS bei Fingolimodtherapie ihr Arzneimittel täglich ein, bei Ocrelizumab liegt das Dosierungsintervall bei sechs Monaten).

Höhere Antikörperspiegel nach Moderna-Impfung

In einer anderen Untersuchung aus Italien konnten zudem Unterschiede bei den Antikörperspiegeln ausgemacht werden, je nachdem, welchen mRNA-Impfstoff die Menschen mit MS erhalten hatten. So hatten mit Moderna Geimpfte 3,5-fach höhere Antikörperspiegel als mit Biontech/Pfizer Geimpfte – und zwar selbst, wenn sie Ocrelizumab oder Fingolimod als MS-Behandlung anwendeten.

Zwei Impfungen verhindern schwere Verläufe – auch unter Immunsuppression

Wenn doch nun die Antikörperspiegel niedriger sind als erhofft, könnte dann nicht ein zusätzlicher „Booster“ – eine Auffrischimpfung – für diese Menschen sinnvoll sein? Auch darüber haben sich das KKNMS und die DMSG nun Gedanken gemacht. Sie gehen zunächst davon aus, dass eine abgeschlossene Impfserie, bestehend aus zwei Impfdosen, auch bei Menschen mit Multipler Sklerose unter Immuntherapie ausreicht, „schwere COVID-19-Verläufe“ zu verhindern, erklären sie in ihrer aktuellen Stellungnahme. Sie erneuern ihre Empfehlung vom Januar – vor allem im Hinblick auf ein zu erwartendes hohes Infektionsgeschehen im Herbst dieses Jahres –, dass sich Menschen mit MS „dringend und mit generell hoher Priorität“ gegen COVID-19 impfen lassen sollten und zwar unabhängig davon, ob sie eine immunmodulierende Behandlung erhalten oder nicht.

Dritte Impfdosis vor allem für Ocrelizumab- und Fingolimodpatienten wichtig

Eine dritte Impfdosis sehen das Krankheitsbezogene Kompetenznetz Multiple Sklerose und die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft gerade vor allem für Menschen mit MS, die Ocrelizumab oder Fingolimod als MS-Behandlung anwenden. Sie raten dabei zu einem mRNA-Impfstoff, der sechs Monate nach der zweiten Impfdosis verabreicht werden soll. Sie begründen ihre aktuelle Empfehlung so: „Für Menschen mit MS, die mit Immuntherapeutika behandelt werden, die die Impfantwort beeinträchtigen – was zum jetzigen Zeitpunkt insbesondere für Ocrelizumab und S1P-Modulatoren mit Daten gezeigt werden konnte –, und solchen mit negativem Anti-S-Antikörpertest kann sechs Monate nach der zweiten Impfung eine dritte Impfung gegen COVID-19 mit einem mRNA-Impfstoff erwogen werden.“ Sie räumen jedoch ein, dass auch eine dritte Impfdosis nicht zwingend positive Antikörperspiegel garantieren könnte.

Keine Antikörperspiegelbestimmung

Bei einer Antikörperspiegelbestimmung halten sich KKNMS und DMSG mit Empfehlungen zurück. Zwar sei das Fehlen von Antikörpern gegen das Spikeprotein nach vollständiger Impfserie „ein deutlicher Hinweis“ auf eine unzureichende Impfantwort, doch spiele auch die T-Zell-Antwort eine wichtige Rolle, wenn es darum gehe, schwere Krankheitsverläufe zu verhindern. Zudem ließen sich die Antikörper-Nachweisverfahren nicht ohne weiteres vergleichen und es fehlten Antikörperspiegel-Grenzwerte, ab welchen man von einem ausreichenden Schutz gegen COVID-19 ausgehe (Cut-off-Werte). Aus diesem Grund empfehlen KKNMS und DMSG eine generelle Antikörperbestimmung zum jetzigen Zeitpunkt nicht.

Was sagt die STIKO?

Derzeit rät die STIKO (noch) nicht zu Auffrischimpfungen für Risikogruppen. Die Gesundheitsministerkonferenz der Länder hatte hingegen bereits am 2. August Nägel mit Köpfen gemacht und – auch ohne STIKO-Empfehlung – beschlossen, dass Alte, Pflegebedürftige und Immunschwache eine zusätzliche Corona-Impfung erhalten sollen, wenn die erste Impfserie mindestens sechs Monate zuvor abgeschlossen wurde. Auch KKNMS und DMSG wissen, dass ihre aktuelle Stellungnahme über den Rat der STIKO hinausgeht. Doch rechtfertige die verfügbare Evidenz und die „ärztliche Fürsorgepflicht“ ihre Empfehlung, erklären KKNMS und DMSG. Wovon sie dringend abraten, ist, dass MS-Patienten zugunsten einer Impfung ihre MS-Arzneimittel pausieren oder absetzen.