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Erheblicher Zusatznutzen für Libmeldy®, keiner für Zolgensma®: G-BA entscheidet über Zusatznutzen bei Gentherapie

Der G-BA entschied über den Zusatznutzen zweier Gentherapien für sehr seltene Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. | Bild: catalin / AdobeStock

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat über den Zusatznutzen von zwei Gentherapien für schwere und sehr seltene Erkrankungen bei Kindern entschieden: Zolgensma® mit dem Wirkstoff Onasemnogen Abeparvovec zur Behandlung von spinaler Muskelatrophie und Libmeldy® mit dem Wirkstoff Atidarsagen Autotemcel zur Behandlung der Stoffwechselstörung metachromatische Leukodystrophie (MLD).

Libmeldy®: Orphan Drug

Allerdings bescheinigt der G-BA lediglich Libmeldy® für die Therapie von an MLD erkrankten, aber noch symptomfreien Kindern einen erheblichen Zusatznutzen, Libmeldy® ist ein sogenanntes Orphan Drug – ein Arzneimittel zur Behandlung seltener Leiden. Als selten gilt eine Erkrankung dann, wenn höchstens eine von 2.000 Personen in der EU davon betroffen ist. Orphan Drugs genießen einige Erleichterungen, wenn es um ihre Zulassung und Erstattung geht, das soll Pharmaunternehmen Anreize schaffen, auch in seltenen Therapiegebieten zu forschen – unter anderem dürfen Orphan Drugs eine vereinfachte Nutzenbewertung durchlaufen: Bis zu einer Umsatzschwelle von 50 Millionen Euro gilt der Zusatznutzen als gesetzt. Das heißt: Der G-BA verzichtet bei der Nutzenbewertung auf den Vergleich mit bereits eingesetzten und etablierten Arzneimitteln und Therapien.

Erheblicher Zusatznutzen für Libmeldy®

Die Bewertung des Ausmaßes und der Wahrscheinlichkeit des Zusatznutzens von Libmeldy® stützte der G-BA auf Zulassungsunterlagen und eine Geschwisterkind-Analyse: „Bei einem sehr frühen Behandlungsbeginn mit Libmeldy®, wenn die Kinder noch ohne Symptome sind, konnte der G-BA einen erheblichen Zusatznutzen in Bezug auf Bewegungsbeeinträchtigungen ableiten“, erklärt der G-BA. Professor Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des G-BA und Vorsitzender des Unterausschusses Arzneimittel, räumt jedoch ein, dass der G-BA-Beschluss zu Libmeldy® „befristet“ sei, da die endgültige Auswertung der Studie noch nicht vorliege. Dann wolle man das Arzneimittel erneut bewerten, um auch Erkenntnisse zur langfristigen Anwendung bei bereits symptomatischen Patienten zu bekommen. „Die Stoffwechselkrankheit metachromatische Leukodystrophie ist derzeit nicht heilbar, auch nicht mit dem neuen Wirkstoff. Aber wir haben jetzt zumindest eine Option, die den betroffenen Kindern ermöglicht, mit weniger körperlichen Beeinträchtigungen zu leben. Auch das ist ein Gewinn“, erklärt Hecken.

Libmeldy® ist seit Dezember 2020 in der EU zugelassen. Die Kosten der einmaligen Behandlung liegen bei 2,8 Millionen Euro.

Zur Erinnerung: Was ist die metachromatische Leukodystrophie (MLD)?

Menschen, die an MLD erkrankt sind, leiden an einem Gendefekt und zwar im Gen, das für das Enzym Arylsulfatase A (ARSA) codiert. ARSA ist für den Abbau bestimmter Fette, den Sulfatiden, im Nervengewebe verantwortlich. Fehlt ARSA, häufen sich diese Fette im Nervengewebe an und führen dazu, dass die Myelinscheide zerfällt. Mit dem Verlust der Markscheide können bei MLD Nervenimpulse nicht mehr weitergeleitet werden. Erkrankte verlieren somit im Verlauf der Krankheit mehr und mehr ihre motorischen und geistigen Fähigkeiten.

Pro Jahr erkranken in Deutschland etwa ein bis drei Patienten.

Mehr zur MLD lesen Sie hier

Kein Zusatznutzen für Zolgensma® 

Der G-BA hat noch über den Zusatznutzen einer weiteren Gentherapie entschieden: Es geht um Zolgensma® bei spinaler Muskelatrophie. Zwar handelt es sich auch hierbei um eine seltene Erkrankung, weswegen Zolgensma® bei Zulassung den Orphan-Drug-Status genoss. Allerdings hat Novartis, Hersteller von Zolgensma®, bereits 2020 die kritische Umsatzschwelle von 50 Millionen Euro mit dem Gentherapeutikum erreicht. Daraufhin setzte der G-BA das ursprünglich vereinfachte Nutzenbewertungsverfahren aus, das Orphan-Privileg entfiel, und Zolgensma® musste sich sodann direkt gegen bereits etablierte Vergleichstherapien (Nusinersen) beweisen: „Anhand der verfügbaren Daten hat der G-BA für keine Patientengruppe einen Zusatznutzen gegenüber der Vergleichstherapie festgestellt“, erklärt der G-BA.

Zur Erinnerung: Was ist die Spinale Muskelatrophie (SMA)?

SMA ist eine seltene, genetisch bedingte und fortschreitende neuromuskuläre Erkrankung, die durch das Fehlen eines funktionalen SMN1-Gens verursacht wird (Mutation des Chromosoms 5q im SMN1-Gen) und so zum raschen und irreversiblen Verlust von Motoneuronen führt, was die Muskelfunktionen, einschließlich Atmung, Schlucken und Grundbewegung, beeinträchtigt.

In Europa kommen jährlich 550 bis 600 Babys mit Spinaler Muskelatrophie zur Welt.

Mehr zur SMA lesen Sie hier

Doch auch hier ist der Beschluss „mit großer Wahrscheinlichkeit nur vorläufig“. Laut Hecken will der G-BA spätestens ab Sommer 2027 erneut über Zolgensma® beraten, wenn „hoffentlich Informationen aus dem Behandlungsalltag“ – aus der  anwendungsbegleitenden Datenerhebung – vorlägen. Der G-BA hatte am 4. Februar 2021 Novartis verpflichtet, „Daten zu seinem Arzneimittel in der klinischen Routine zu erheben und für eine Zusatznutzenbewertung auszuwerten“.

Gut zu wissen: Anwendungsbezogene Datenerhebung

Nicht immer ermöglichen die bei Zulassung eines Arzneimittels vorliegenden Daten dem G-BA, über den Zusatznutzen des Arzneimittels zu entscheiden. Vor allem bei Arzneimitteln mit bedingter Zulassung, mit Zulassung unter außergewöhnlichen Umständen oder für Orphan Drugs gibt es zum Zeitpunkt der Zulassung häufig Wissenslücken bei klinischen Daten. Dieses Problem hat der G-BA bereits vor Jahren erkannt und 2019 im Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) deswegen verankert, dass der G-BA vom pharmazeutischen Unternehmer einfordern kann, dass dieser anwendungsbegleitend Daten erhebt und auswertet. Das schafft früh eine bessere klinische Datenbasis für die Bewertung des Zusatznutzens, ohne die Versorgung der Patienten einzuschränken, da die Patienten in der Gesetzlichen Krankenversicherung die betreffenden Arzneimittel bereits erhalten können. Details zum Verfahren der anwendungsbezogenen Datenerhebung legte der G-BA sodann 2020 fest. 

Zolgensma war das erste Arzneimittel, für das der G-BA eine anwendungsbegleitend Datenerhebung einforderte.

Keine Auswirkung auf die Anwendung

Der G-BA betont, dass mit dem Beschluss zu Zolgensma® „ausdrücklich keine Einschränkung der Versorgung verbunden“ ist. Das Arzneimittel könne im Rahmen seiner Zulassung und unter Einhaltung der qualitätssichernden Standards weiterhin verordnet und eingesetzt werden. In Deutschland erkranken etwa 80 bis 120 Kinder pro Jahr, die Therapiekosten von Zolgensma® liegen für die einmalige Anwendung bei 2,3 Millionen Euro, daneben gibt es mit Nusinersen in Spinraza® (intrathekale Anwendung) und Risdiplam in Evrysdi® (orale Gabe) weitere Behandlungsmöglichkeiten für SMA – weder Zolgensma® noch Spinraza® oder Evrysdi® können SMA jedoch heilen.