Aktuelles
4 min merken gemerkt Artikel drucken

Was ist eigentlich ein Musiker­krampf?

Hände drücken auf Klaviertasten
Zu intensives Üben kann bei Berufsmusikern Musikerdystonie hervorrufen. In schweren Fällen führt dies zur Berufsunfähigkeit. | Bild: Ramona Heim / AdobeStock

Der Komponist Robert Schumann (1810 – 1856) gilt als erster Patient, bei dem eine Musikerdystonie – umgangssprachlich Musikerkrampf genannt – belegt ist. Im Alter von 20 Jahren übte er wie besessen auf dem Klavier. Da stellte sich ein Taubheitsgefühl im rechten Mittelfinger ein. 

Er versuchte das Handicap durch noch mehr Üben zu überwinden. Doch es trat im Gegenteil eine Verschlimmerung ein: Der Finger ließ sich nicht mehr willkürlich steuern. Es war ihm unmöglich, Tonleitern und schnelle Läufe zu spielen. 

Die Symptome griffen schließlich auf den Ringfinger und weiter auf die ganze Hand und den Arm über. Schumanns Pianistenlaufbahn war damit beendet. Er widmete sich fortan dem Komponieren.

Ursache eines Musikerkrampfes: Zu viel geübt 

Schumann litt offensichtlich an einer fokalen Dystonie – einer neurologischen Störung, die zu einer unkontrollierbaren lokalen Muskelverkrampfung führt. Typischerweise tritt sie nach stark übertrainierten Bewegungen auf. 

Dieses Überlastungssyndrom kommt gerade bei professionellen Pianisten, aber auch Geigenspielern und Gitarristen vor, die über lange Zeit immer wieder schnelle, anspruchsvolle Passagen üben. 

Ungefähr ein Prozent erleidet einen Musikerkrampf. Männer sind dabei deutlich in der Überzahl. Das erklären Psychologen damit, dass männliche Musiker oft noch leistungsorientierter und perfektionistischer seien als Frauen und beim Üben eher zwanghaft. 

Überlappung von Arealen der Hirnrinde

Die pathophysiologische Ursache für die Fingerdystonie ist noch nicht ganz klar. Bildgebungsuntersuchungen haben aber zu einer neurologischen Hypothese geführt: Bei Pianisten und Streichern vergrößern sich die Repräsentationsareale der verschiedenen Finger in der sensomotorischen Großhirnrinde stark. 

Mitunter können sie so groß werden, dass sich die einzelnen Areale überlappen. Dadurch kommt es zu „Fehlschaltungen“, sodass die falschen Muskeln aktiviert werden. Eine willkürliche Beeinflussung ist nicht mehr möglich. Die hochtrainierte Fingerfertigkeit geht damit verloren.

Man nimmt an, dass auch die psychische Struktur eines Musikers die Dystonie triggern oder verfestigen kann – etwa wenn jemand besonders stressanfällig oder angstbereit ist.   

Musikerkrampf behandeln: Botulinumtoxin und Retraining

Bei zahlreichen Berufsmusikern setzt die Fingerdystonie der Karriere ein Ende. Die Musikerdystonie gehört seit 2017 sogar zu den anerkannten Berufskrankheiten. Um Berufsunfähigkeit möglichst zu verhindern, sollten Betroffene bei den ersten Anzeichen Hilfe suchen. 

Medikamentös wird vor allem Botulinumtoxin eingesetzt, außerdem das gegen Parkinson eingesetzte Anticholinergikum Trihexyphenidyl. 

Daneben baut man auf Retraining – also ein Umlernen bei den Bewegungsabläufen. Hierbei kommen Methoden wie zum Beispiel Feldenkrais oder Alexander-Therapie zum Einsatz. Entspannungs- und Atemtechniken sollen für psychische Stabilität sorgen. 

Wo Betroffene eines Musikerkrampfes Hilfe finden

An einigen Hochschulen und Kliniken gibt es spezielle Abteilungen für Musikermedizin, die auch bei Musikerdystonie fachliche Beratung und Behandlung anbieten. Dazu gehören unter anderem das Institut für Musikphysiologie und Musikermedizin an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover, das Berliner Centrum für Musikermedizin an der Charité und das Freiburger Institut für MusikermedizinQuellen: Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN); nmz neue musikerzeitung, 12/2020; Charité, Berliner Centrum für Musikermedizin; Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, Institut für Musikphysiologie und Musikermedizin (IMMM)  

Musikerkrampf in Kürze

  • Medizinische Bezeichnung: Musikerdystonie (fokale Dystonie, Fingerdystonie); spezifische, lokale Bewegungsstörung (in der Regel der Finger) mit Verlust der Willkürmotorik. 
  • Ausgelöst durch starkes Übertrainieren bei Berufsmusikern, vor allem durch schnelle Passagen auf Klavier oder Geige.  
  • Neurologisch bedingt, vermutlich durch sich überlappende Finger-Repräsentationsareale in der Hirnrinde.  
  • Kann zur Berufsunfähigkeit führen. 
  • Behandlungsansätze mit Botulinumtoxin, Anticholinergika, Umlernen von Bewegungsabläufen (Retraining), Entspannungsverfahren.