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Untersuchung zu Schmerzmittel-Übergebrauch : Migräne-Antikörper: Starke Kopfschmerzen, schlechtere Wirksamkeit?

Wir gut sprechen Migränepatienten mit starken Kopfschmerzen auf CGRP-Antikörper an? Eine neue Studie liefert hierzu spannende Einblicke. | Bild:  fizkes  / AdobeStock

Lässt sich vorhersagen, welche Migränepatienten auf CGRP-Antikörper so ansprechen, dass sie die Schwelle zum Übergebrauch von akuten Schmerzmitteln unterschreiten können? Dieser Frage gingen Wissenschaftler in einer Spezialklinik für Kopfschmerzen in Spanien nach. 

Zur Erinnerung: CGRP und Migräne

CGRP steht für Calcitonin Gene-Related Peptide. Der Botenstoff spielt eine wichtige Rolle bei der Krankheitsentstehung von Migräne. Dies stützt sich vor allem auf zwei Beobachtungen: 

  • Migräne-Patienten weisen während einer Attacke erhöhte CGRP-Spiegel auf, diese sinken jedoch, wenn der Migräne-Anfall mit Sumatriptan behandelt wird.
  • Außerdem lassen sich durch CGRP-Injektionen bei Migränikern Anfälle auslösen.

CGRP wirkt stark gefäßerweiternd und überträgt, einfach gesagt, Schmerzsignale. Durch Blockade von CGRP (Eptinezumab, Fremanezumab, Galcanezumab) bzw. dessen Rezeptors (Erenumab) soll die Migräne-Attacke gestoppt und weiteren Anfällen vorgebeugt werden.

Das Studiendesign: Akutmedikation während Antikörper-Therapie absetzen

Für ihre Untersuchung nahmen die Wissenschaftler 316 Migränepatienten (59 mit episodischer und 257 mit chronischer Migräne) in ihre Studie„Anti-CGRP monoclonal antibodies in chronic migraine with medication overuse: real-life effectiveness and predictors of response at 6 months“, veröffentlicht in „The Journal of Headache and Pain“  auf, die zwischen Februar 2019 bis April 2021 auf prophylaktische Antikörper eingestellt wurden und an mindestens acht Tagen im Monat an Migräne litten. Drei prophylaktische Therapien, unter anderem Onabotulinumtoxin A, mussten in der Prophylaxe zuvor versagt haben.

Bei den Migränikern mit einer chronischen Migräne lag bei den meisten Patienten zudem ein Schmerzmittel-Übergebrauch – nach den Kriterien der International Classification of Headache Disorders – vor, das heißt: Die Patienten nahmen 

  • entweder über mindestens drei Monate Triptane, Ergotamine und Kombinationsschmerzmittel an mindestens zehn Tagen monatlich ein 
  • oder NSAR bzw. Paracetamol an mindestens 15 Tagen pro Monat.

Nach Start der Migräne-Antikörper-Therapie (Erenumab in Aimovig® mit 140 mg pro Monat beziehungsweise Galcanezumab in Emgality® 120 mg monatlich nach einer Loading-Dose von 240 mg) durften die Patienten ihre anderen Migräneprophylaktika beibehalten, sollten jedoch ihre Akutmedikation möglichst absetzen und ihre monatlichen Migräne- und Kopfschmerztage, die Schwere der Beschwerden sowie ihre Akutmedikation in einem E-Tagebuch dokumentieren. Nach 24 Wochen schauten die Wissenschaftler, wie es den Migränepatienten ging: Gingen Kopfschmerz- und Migränetage sowie der Schmerzmittelübergebrauch zurück?

Jeder zehnte brach Antikörper-Therapie ab

Knapp die Hälfte (44 Prozent) der Patienten mit chronischer Migräne schlossen die sechsmonatige Behandlung mit den Migräne-Antikörpern ab (139 von 316). Davon waren 69,1 Prozent auf Erenumab eingestellt, 30,9 Prozent auf Galcanezumab. Fast drei von vier Patienten (71,2 Prozent, 99 von 139 Patienten) hatten zu Studienbeginn zu häufig Schmerzmittel eingenommen, vor allem Triptane, gefolgt von NSAR. Die überwiegende Mehrheit der Migräniker war weiblich (81,3 Prozent), das Durchschnittsalter lag bei 47 Jahren. Etwa jeder zehnte (11,5 Prozent; 16 von 139) beendete jedoch nach sechs Monaten die CGRP-Blockade mittels Antikörper – aufgrund von mangelnder Wirksamkeit, Verträglichkeit oder Kinderwunsch.

Migräne-Antikörper reduzieren Schmerzmittel-Übergebrauch

Bei 50,4 Prozent der chronischen Migränepatienten reduzierten sich die monatlichen Kopfschmerztage um mehr als die Hälfte, eine mindestens 50-prozentige Reduktion der monatlichen Migränetage berichteten sogar 61,9 Prozent. Ob die Patienten auf die CGRP-Antikörper ansprachen oder nicht, war unabhängig davon, ob bei ihnen ein Schmerzmittel-Übergebrauch vorlag oder nicht. 

Auch beim Schmerzmittel-Übergebrauch gab es Verbesserungen: Nach sechs Monaten lag bei 60,6 Prozent der Migränepatienten, die zuvor zu viele Schmerzmittel angewendet hatten (99 Patienten), kein Übergebrauch von Schmerzmitteln mehr vor. 39,4 Prozent der Migräniker benötigten diese Schmerzmittelmengen allerdings trotz CGRP-Therapie nach wie vor. Doch auch wenn die Migränepatienten die Schwelle zum Analgetika-Übergebrauch nicht unterschritten, konnten sie ihre Akutmedikation zumindest reduzieren. Das deute darauf hin, dass Antikörper gegen das CGRP-System in der Migräneprävention bei Patienten mit Schmerzmittel-Übergebrauch wirksam sein könnten, erklären die Wissenschaftler. Sie sprechen den Antikörpern zudem das Potenzial zu, das Absetzen der Akutmedikation zu erleichtern.

Starke Kopfschmerzen als Risikofaktor für Schmerzmittel-Übergebrauch

Wovon hing es ab, ob die Migränepatienten nach sechs Monaten noch immer zu viel Akutmedikation anwendeten? Die Wissenschaftler verglichen dafür Migränepatienten, die nach sechs Monaten keinen Schmerzmittel-Übergebrauch mehr aufwiesen, mit denen, die diesen immer noch hatten.

Auffällig war, dass die Migräniker mit fortbestehendem Übergebrauch bereits zu Studienbeginn 

  • an mehr Migränetagen litten (19,7 Tage/Monat vs. 16,5 Tage pro Monat),
  • stärkere Schmerzen auf einer Schmerzskala von 0 bis 3 angaben (1,85 vs. 1,6)
  • und häufiger über eine Schmerzmittel- (20,9 Tage/Monat vs. 18 Tage/Monat) oder Benzodiazepin-Anwendung (5,2 Tage/Monat vs. 1,2 Tage/Monat) berichteten.
  • Die Patienten litten zudem häufiger an Angststörungen
  • und hatten auf frühere Onabotulinumtoxin-A-Behandlungen seltener angesprochen.

Was also forciert einen Übergebrauch? 

Einen statistisch signifikanten Zusammenhang fanden die Wissenschaftler lediglich für die Kopfschmerzintensität, also die Stärke der Kopfschmerzen, nicht aber für beispielsweise einseitige Kopfschmerzen oder die Anwendung von Benzodiazepinen, das Vorhandensein von Angstzuständen oder die Häufigkeit der monatlichen Akutmedikation. Das bedeutet: Starke Kopfschmerzen könnten ein Risikofaktor für einen anhaltenden Schmerzmittel-Übergebrauch sein.

Starke Kopfschmerzen: schlechtere Prognose?

Nach Ansicht der Wissenschaftler können demnach zwei Gruppen von Migränepatienten mit zu viel Schmerzmitteln unterschieden werden:

  • Bei der einen Gruppe hängt der Übergebrauch direkt mit der Migränehäufigkeit zusammen: Die Patienten reduzieren ihre Akutmedikation, sobald sich ihre Migräne durch die Wirkung der Antikörper bessert.
  • Bei der anderen Gruppen verringern sich zwar die monatlichen Migränetage unter den CGRP-Antikörpern, jedoch bleibt der Übergebrauch an Schmerzmitteln bestehen. Möglicherweise verhindern bei dieser Gruppe andere Faktoren, wie eine erhöhte Schmerzintensität, die Reduktion des Schmerzmittelkonsums.

Starke Kopfschmerzen könnten demnach vielleicht ein Anzeichen für einen grundsätzlich „ungünstigeren“ und schwerer zu therapierenden Krankheitstypen darstellen, weshalb in diesem Fall nach wie vor auf übermäßig viele Schmerzmittel zurückgegriffen werden muss (Schmerzmittelübergebrauch).

Das passt auch zum Ergebnis der Wissenschaftler, dass vor allem Migräniker mit zu Beginn starken Kopfschmerzen trotz prophylaktischer Antikörper nach sechs Monaten nach wie vor zu viele Schmerzmittel benötigten. Neu an dem Gedanken ist, dass damit nicht der Schmerzmittel-Übergebrauch die Kopfschmerzen der Migräniker langfristig aufrechterhält (Medikamenten-induzierter Kopfschmerz), sondern dass die ursprünglich sehr starken Kopfschmerzen an sich ein Risikofaktor für Schmerzmittel-Übergebrauch sind.