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Semaglutid und Co: effektiv bei Adipositas

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GLP-1-Rezeptor-Agonisten wie Seamglutid wirken effektiv bei Adipositas. | Bild: Hunterframe / AdobeStock

Inkretin-Mimetika beziehungsweise GLP-1-Rezeptor-Agonisten ahmen die Wirkung des natürlichen Enterohormons GLP-1 nach. Sie stimulieren die Insulin-Sekretion, vermindern die Glucagon-FreisetzungBruhn C. Mit Arzneimitteln abnehmen – Adipositas neu betrachtet: Fettleibigkeit ist eine Krankheit, kein Lebensstil-Problem. DAZ 2023;1:38 , verlang­samen zudem die Magenentleerung und reduzieren den Appetit. 

Ursprünglich wurden sie zur Behandlung von Menschen mit Typ-2-Diabetes entwickelt. Sie sind aber auch in der Lage, das Körpergewicht zu reduzieren. Eine Zulassung zur Adi­positas-Behandlung haben in Deutschland bisher Liraglutid (Saxenda®) und Semaglutid (Wegovy®). 

Wie werden GLP-1-Rezeptor-Agonisten angewendet?

Liraglutid kann bei Erwachsenen mit einem Body-Mass-Index (BMI) ≥ 30 kg/m2 eingesetzt werden sowie bei Erwachsenen mit starkem Übergewicht (BMI ≥ 27 kg/m2) und mindestens einer gewichtsbedingten Komorbidität, z. B. Prädiabetes oder Hyper­tonie. Bei Jugendlichen kann es ab einem Alter von zwölf Jahren angewendet werden. Liraglutid wird einmal täglich subkutan verabreicht. 

Zur Erinnerung: Was ist der BMI? 

Der Body-Mass-Index (BMI) ist der Quotient aus Körpergewicht und Körpergröße im Quadrat (kg/m2). Er wird zur Beurteilung von Übergewicht herangezogen. Als adipös gelten Menschen mit einem BMI von mehr als 30. Übergewicht beginnt bei einem BMI von über 25.  

Semaglutid wird dagegen einmal wöchentlich subkutan appliziert und ist nur für Erwachsene zugelassen. Das Präparat Wegovy® zur Gewichtsregulierung ist jedoch noch nicht in Deutschland erhältlich. Zugelassen ist es in den Dosierungen von 0,25 mg, 0,5 mg, 1 mg, 1,7 mg und 2,4 mg. Verfügbar ist allerdings das Antidiabetikum Ozempic®, das den Wirkstoff in den Dosierungen 0,25 mg, 0,5 mg und 1 mg enthält.

Tirzepatid: effektiver als einfache GLP-1-Rezeptor-Agonisten?

Zu nennen ist auch das sogenannte Twincretin Tirzepatid, das agonistisch am GLP-1- und GIP-Rezeptor (GIP = Glucose-abhängiges insulinotropes Peptid) wirkt. Durch seinen dualen Wirk­mechanismus soll es noch effektiver als die reinen GLP-1-Rezeptor-Agonisten sein. 

Bisher ist Tirzepatid als Antidiabetikum unter dem Namen Mounjaro® zugelassen, aber in Deutschland noch nicht verfügbar. In den USA hat Mounjaro® im Oktober 2022 den Fast-Track-Status der dortigen Arzneimittelbehörde (FDA) für die Behandlung von Adipositas und Übergewicht mit gewichtsbedingten Komorbiditäten erhaltenLilly receives U.S. FDA Fast Track designation for tirzepatide for the treatment of adults with obesity, or overweight with weight-related comorbidities. 6. Oktober 2022, https://investor.lilly.com . Durch diesen Status soll die Entwicklung und Prüfung des Arzneimittels beschleunigt werden.

Konservative Therapie als Voraussetzung für Semaglutid

In einem Press-Briefing des Science Media Centers informierten Experten über die Therapie mit Inkretin-Mimetika zur Gewichtsreduktion. Wie Professor Jens Aberle, Präsident der Deutschen Adipositas Gesellschaft und ärztlicher Leiter des Adipositas-Centrums am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, berichtete, spielten die neuen Therapeutika im Klinikalltag bereits eine große Rolle. 

Er betonte, dass konservative Therapien wie Diät, Bewegung und Verhaltenstherapie Voraussetzung für die Behandlung mit GLP-1-Rezeptor-Agonisten sind. Zudem sollten diese auch während einer medikamentösen Therapie fortgeführt werden, damit Patienten die Chance hätten, ihr Gewicht auch ohne Arzneimittel zu halten. Denn nach dem Absetzen der Medikamente komme es in der Regel wieder zu einer Gewichts­zunahme.

Welche Nebenwirkungen können unter Semaglutid auftreten?

Die Nebenwirkungen von Semaglutid sind laut Aberle überschaubar. Er wies auf die Übelkeit zu Therapiebeginn hin, weshalb die Dosis des Arzneimittels langsam gesteigert wird. Durch die schnelle Gewichtsreduktion gebe es zudem ein gewisses Risiko für die Bildung von Gallensteinen. 

In Studien seien auch Entzündungen der Bauchspeicheldrüse (Pankreatitiden) aufgetreten, größtenteils durch Gallensteine bedingt, was er allerdings aufgrund der Seltenheit als klinisch nicht relevant einstuft. Das Risiko-Nutzen-Verhältnis bewertet er insgesamt positiv. 

Im Vergleich zu Semaglutid schätzte der Diabetologe und Endokrinologe die Wirkung von Liraglutid zur Gewichtsreduktion etwa halb so stark ein.

Worin unterscheiden sich Liraglutid und Semaglutid?

Dr. Timo Müller, kommissarischer Direktor und Leiter der Abteilung für Molekulare Pharmakologie des Instituts für Diabetes und Adipositas am Helmholtz Zentrum München, ergänzt: Liraglutid und Semaglutid unterscheiden sich durch eine Aminosäure voneinander, was sich auf den Abbau auswirke. 

Zudem sei die Albumin-Bindung durch unterschiedliche angehängte Fettsäuren verschieden, sodass die Halbwertszeit von Liraglutid bei zwölf Stunden und die von Semaglutid bei 160 Stunden liegt. Damit lassen sich die unterschiedlichen Applikationshäufigkeiten von einmal täglich beziehungsweise einmal wöchentlich erklären.

Gut zu wissen: Krankenkasse zahlt nicht

Durch § 34 Sozialgesetzbuch V sind bisher Arznei­mittel zur Regulierung des Körper­gewichts von der Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenver­sicherung ausgeschlossen. 

Aberle sprach in diesem Zusammenhang von einem Widerspruch, da Adipositas als Erkrankung inzwischen nicht nur von Fachgesellschaften, sondern auch vom Deutschen Bundestag anerkannt wird. Der Mediziner hofft, dass sich die Erstattungssituation in Deutschland in einem bis eineinhalb Jahren ändern wird. 

Wie effektiv sind GLP-1-Rezeptor-Agonisten?

Mit den GLP-1-Rezeptor-Agonisten lässt sich das Gewicht um etwa 20 bis 22 Prozent senken. Im Vergleich dazu ist eine Operation mit 30 bis 35 Prozent Gewichtsreduktion etwas effektiver. Mit dem neueren Agonisten Tirzepatid können die Patienten laut Müller nach etwa 70-wöchiger Behandlung durchschnittlich 22 bis 23 Prozent ihres Gewichts verlieren. Sehr viele erreichten eine Gewichtsreduktion um mehr als 25 Prozent.

In Studien mit Mäusen beobachteten Forscher, dass die Effektivität der Inkretin-Mimetika stark vom Ausgangsgewicht abhängt. Müller erklärte, dass der Gewichtsverlust rapide nachlasse, je weniger Körperfett ein Tier hat. Wenn eine mit Kohlenhydraten gefütterte Maus ein normales Körpergewicht habe, führten GLP-1-Rezeptor-Agonisten kaum zu einem Gewichtsverlust. 

Auch der Effekt auf den Blutzucker zeige sich nur, wenn dieser erhöht sei. Bei einem normalen Blutzuckerspiegel sei GLP-1 nicht in der Lage, die Insulinsekretion zu stimulieren. Damit höre das Arzneimittel auf zu wirken, „wenn man es nicht mehr braucht“.

Inkretin-Mimetika wirkten sich positiv auf kardiovaskuläre Studienendpunkte aus, wie Aberle aufzeigte. Unter Liraglutid sei sogar die Mortalität vermindert. Zudem würde, wie bei jeder Form der Gewichtsreduktion, das Risiko der Manifestation eines Diabetes bei Prädiabetikern gesenkt.

Semaglutid und Co: Gamechanger bei Adipositas?

Beide Experten halten GLP-1-Rezeptor-Agonisten für Gamechanger. Der Präsident der Deutschen Adipositas Gesellschaft brachte es folgendermaßen auf den Punkt: „Wir hatten noch nie Medikamente, die auch nur in der Nähe einer Effektivität waren, wie wir es jetzt erleben. Dazu sind sie auch noch sicher, mit guten Endpunktstudien, die uns vorliegen. Insofern wird das eine zunehmende Rolle spielen, auch zu Recht.“ Dennoch wies er darauf hin, dass die Behandlung aus einer medizinischen und nicht kosmetischen Indikation erfolgen müsse.

Müller sieht in den GLP-1-Rezeptor-Agonisten ebenfalls Gamechanger. Zudem gab er einen Ausblick auf die Pipeline neuer Arzneimittel. Es werde intensiv an Co- und Tri-Agonisten geforscht sowie an Wirkstoffen gegen Begleiterkrankungen wie Fettleber oder Arteriosklerose. Quelle: Semaglutid & Co. – Diabetesspritzen zum Abnehmen? Press-Briefing des Science Media Centers, 8. Februar 2023