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Warum Stress eine Gewichtszunahme fördert

Frauenfüße stehen auf Personenwaage
Stress kann krank machen und Übergewicht begünstigen. | Bild: mojo_cp / AdobeStock

Stress kann aktivieren und beflügeln, er kann aber auch krank machen und Übergewicht begünstigen. Insbesondere Menschen, die ansonsten sehr auf ihr Gewicht achten müssen, können durch Stress innerhalb kurzer Zeit einige Pfunde zulegen. Woran liegt das?

Zusammenhang von Stress und Gewichtszunahme unklar

„Stress schaltet den Bereich des Gehirns aus, der uns signalisiert, dass wir genug gegessen haben“, erklärt der Neurobiologe Herbert Herzog vom Garvan Institut für medizinische Forschung in Sydney. Herzog und Kollegen haben an Mäusen untersucht, wie sich chronischer Stress auf Essverhalten und Gewicht auswirkt.

„Wir haben gezeigt, dass chronischer Stress in Verbindung mit einer kalorienreichen Ernährung zu einer immer stärkeren Nahrungsaufnahme und zu einer Vorliebe für süße, schmackhafte Lebensmittel führen kann, was wiederum Gewichtszunahme und Fettleibigkeit fördert“, so Herzog. „Gestresste Mäuse mit einer fettreichen Ernährung nahmen doppelt so viel Gewicht zu wie Mäuse mit derselben Nahrung, die nicht gestresst waren“, erklärt sein Forscherkollege Kenny Chi Kin Ip.

Gut zu wissen: Warum ist Süßes bei Stress beliebt?

Der Konsum von Süßem bewirkt die Ausschüttung von Glückshormonen (u. a. Dopamin) und das intensive Glückserleben wird mit dem Zuckerkonsum assoziiert. Das Verlangen danach wird in Stress-Phasen besonders deutlich. 

Auch andere wissenschaftliche Daten zeigten, dass Stress dazu führen könne, dass vermehrt hochkalorische, ungesunde Nahrung zu sich genommen werde, sagt André Kleinridders von der Universität Potsdam. 

Es sei aber noch immer nicht hinreichend verstanden, warum manche Menschen stressempfänglich sind und andere nicht. Auch nicht ausreichend erforscht sei, warum manche Menschen bei Stress mehr essen – und andere weniger. 

Geringere Selbstkontrolle unter Stress  

Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass Stress die Selbstkontrolle beeinträchtigt, indem er die Wirkung unmittelbarer Belohnungen verstärkt. Auf diese Weise ist gegensätzliches Ess-Verhalten als Bewältigungsmaßnahme möglich: Während einige unter Stress und bei Überforderung mehr essen, verweigern andere im Extremfall das Essen. Psychischer Stress kann daher auch ursächlich für die Entwicklung von Essstörungen wie Binge-Eating, Magersucht und Bulimie sein.   

Essen als Mittel zur Stressbewältigung

Psychologisch lasse sich der Griff zum Essen mit der besänftigenden Wirkung erklären, sagt der Psychologische Psychotherapeut und Autor Michael Macht. Die besänftigende Wirkung sorge dafür, dass Menschen überhaupt äßen. Bei emotionalem Stress werde diese Wirkung zweckentfremdend genutzt, nämlich um mit dem Stress besser zurechtzukommen. „Das ist ein Muster, das auf Lernprozessen beruht“, so Macht.  

Vielen Menschen ist zwar bewusst, dass der Gang zum Kühlschrank oder der Griff in die Süßigkeitenschublade ungesund ist. Und trotzdem tun sie es immer wieder. Kleinridders erklärt das so: „Man weiß, dass unsere geistigen Fähigkeiten in Stresssituationen beeinträchtigt werden und eher Fehlentscheidungen getroffen werden. Die Impulsivität geht hoch“, so der Professor für molekulare und experimentelle Ernährungsmedizin.  

„Wohlschmeckende, energiereiche Nahrung hat an sich schon einen großen Anreiz und einen starken emotionalen Effekt. Außerdem ist die Verfügbarkeit sehr groß“, ergänzt Michael Macht. Für viele Menschen sei das Essen daher eine besonders einfache Möglichkeit, Stress zu bewältigen. 

Stress und Schlafmangel im Duett

Hinzu kommt, dass chronischer Stress häufig mit Schlafstörungen einhergeht. Betroffene können schlecht schlafen und haben so wenig Möglichkeit, sich zu regenerieren. Diese Dauerbelastung begünstigt nicht nur das Auftreten von psychischen Erkrankungen (z. B. Depressionen, Zwangs- oder Angststörungen), sondern auch eine Gewichtszunahme.

Stresshormone beeinflussen das Hungergefühl  

Adrenalin, Noradrenalin sowie Cortisol sind als „Stresshormone“ gut bekannt. Sie haben einen wesentlichen Einfluss auf das Hungergefühl und folglich auch auf die Regulation des Gewichts.  

Adrenalin und Noradrenalin ermöglichen dem Körper eine schnelle „Kampf-oder-Flucht-Reaktion“: So steigt z. B. der Blutdruck, die Herzfrequenz nimmt zu und die Pupillen weiten sich. Sobald der Körper sich in dieser Alarmbereitschaft befindet, stehen viele Körperfunktionen still – auch der Appetit nimmt zunächst ab. 

In der darauffolgenden Cortisolphase kommt es allerdings zu Heißhunger. Bleibt der Cortisolüberschuss konstant bestehen (z. B. aufgrund von anhaltendem Stress), führt das langfristig zu Fett- und Wassereinlagerungen.

Gut zu wissen: Diabetes Typ 2 durch Stress?

Für „Kampf-oder-Flucht-Reaktionen“ wird Energie in Form von Glukose bereitgestellt. Allerdings erhöhen Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol die Insulinresistenz, wodurch der insulinvermittelte Glukoseverbrauch gehemmt wird. Daher wird Stress auch mit der Entwicklung des Diabetes Typ 2 in Verbindung gebracht. https://www.diabetesde.org/pressemitteilung/stress-lass-dauerhafte-anspannung-druck-diabetes-typ-2-foerdern 

Nährstoffmangel bei Dauerstress?

Bei Stress laufen einige Körpervorgänge auf Hochtouren, während andere wiederum langsamer werden. Dadurch verändert sich der Nährstoff-Bedarf, was bei dauerhaft starker Anspannung zu einem Mangel an Vitaminen und Mineralstoffen führen kann. Zwar kann eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung im Normalfall einem Mangel vorbeugen, doch bleibt diese gerade in Stresssituationen oft auf der Strecke.

Fehlen Nährstoffe – wie insbesondere Vitamin D, Eisen, Zink, Magnesium und B-Vitamine – fühlen sich die Betroffenen müde und energielos und können sich schlecht konzentrieren. Dadurch wird Stress noch schlechter vertragen. Zudem können Hungergefühle stärker und die Fettverbrennung langsamer werden.  

Stressmanagement erlernen

Gewichtsveränderungen während der Stress-Phase sind auf mehrere Faktoren zurückzuführen, dennoch ist das emotionale Essen häufig der wesentlichste Grund für die Gewichtszunahme. 

Stress-Essen ist – wie auch Alkohol- oder Drogen-Konsum – eine Ablenkungsstrategie, um einen Puffer zwischen sich und den eigenen schwierigen Gefühlen zu schaffen. Allerdings ändert sich die stressige Situation durch den Konsum einer Tafel Schokolade oder einer Packung Chips nicht. Vielmehr ruft Stress-Essen langfristig eine zusätzliche Belastung bzw. mentale Unzufriedenheit hervor. 

Die wichtigste Maßnahme ist daher, die Stressoren rechtzeitig zu erkennen und – falls sich diese nicht ausschalten lassen – ihnen aus dem Weg zu gehen bzw. einen achtsamen Umgang mit ihnen zu erlernen. 

Zudem sollten alte Gewohnheiten (z. B. Stress-Essen) hinterfragt und schrittweise abgelegt werden. „Es gibt kein Wundermittel [gegen Stress]. Wichtig ist, mit Bedacht zu essen. In stressigen Situationen vielleicht eher zu Obst und Gemüse zu greifen als zu Keksen und Schokolade, oder den Kühlschrank leerzuräumen“, sagt auch Neurobiologe Herzog. 

Sind neue Verhaltensweisen einmal etabliert, fällt es leichter, auch unter starkem Stress einen gesunden Lebensstil zu pflegen.

Gut zu wissen: Stressmanagement auf Kassenkosten

Im Rahmen der Prävention zählen Stressmanagementkurse zu anerkannten Leistungen der Krankenkassen und werden als solche von vielen Kassen für deren Mitglieder übernommen.

Achtsamkeitstraining gegen Stress

Theoretisches Wissen reiche allerdings nicht, so die Erfahrung Kleinridders. Menschen bräuchten konkrete Hilfen. „Wir brauchen interdisziplinäre Forschung, auch mit Psychologen und Sozialforschern. Man muss Leuten etwas an die Hand geben“, fordert er.  

Eine solche Hilfe – ein achtsamkeitsbasiertes Trainingsprogramm – wurde an der Universität Würzburg entwickelt. In dem Programm lernen die Teilnehmer, ihre Verhaltensmuster in Stresssituationen zu erkennen. 

Außerdem werden individuelle Möglichkeiten erarbeitet, negative Gefühle anders zu bewältigen als mit Essen. „Und es geht um Impulskontrolle, also wie ich mit dem Verlangen nach Nahrung umgehe“, erklärt Macht, der an der Entwicklung beteiligt war. Es gehe auch darum, negative Gefühle aushalten zu lernen.