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Hilft Amitriptylin bei Reizdarmsyndrom?

Frau auf Sofa hält Hände vor schmerzenden Unterbauch
Niedrig dosiertes Amitriptylin wird bei Reizdarmsyndrom auch in der Leitlinie empfohlen. | Bild: Dragana Gordic / AdobeStock

Neben pflanzlichen Arzneimitteln und krampflösenden Wirkstoffen empfehlen die aktuellen Leitlinien bei Reizdarmsyndrom unter anderem Antidepressiva als Schmerzmodulatoren. Sie beeinflussen nicht nur die gastrointestinale Motilität (Magen-Darm-Bewegung), sondern wirken sich auch positiv auf komorbide psychische Störungen (psychische Störungen, die gleichzeitig mit einer körperlichen Erkrankung vorliegen) aus.  

Trotz guter Evidenz werden trizyklische Antidepressiva in der hausärztlichen Praxis immer noch verhalten eingesetzt. So gaben in einer Umfrage lediglich 10 % der Hausärzte in Großbritannien an, dass sie solche Therapeutika zur Behandlung des Reizdarmsyndroms verordnen, und nur etwa die Hälfte der befragten Hausärzte glaubte, dass sie in dieser Indikation wirksam sind.

Empfehlungen zu Amitriptylin in der aktuellen deutschen Leitlinie zum Reizdarmsyndrom (RDS)

„Das trizyklische Antidepressivum Amitriptylin sollte bei Erwachsenen zur Therapie von Schmerzen und globaler Symptomatik (mit Ausnahme von Obstipation) eingesetzt werden. [Empfehlungsgrad B, starker Konsens]“  

„Amitriptylin ist zwar nicht zur Therapie des RDS, aber zur Therapie chronischer Schmerzen im Rahmen eines Gesamttherapiekonzepts zugelassen. Daher ist die Verschreibung bei einem schmerzdominanten RDS ein Gebrauch innerhalb der Zulassung.“

Niedrig dosiertes Amitriptylin bei Reizdarm?

In einer aktuellen Phase-III-Doppelblindstudie wurde niedrig dosiertes Amitriptylin als Therapieoption gegen Placebo über sechs Monate untersucht. Alle 463 Teilnehmer aus Großbritannien waren über 18 Jahre alt (mittleres Alter: 48,5 Jahre), wiesen verschiedene Formen des Reizdarmsyndroms auf und litten trotz Ernährungsumstellung und Lebensstilberatung sowie der Gabe von lös­lichen Ballaststoffen, Laxanzien und krampflösenden oder durchfallhemmenden Arzneimitteln weiterhin an Symptomen (Irritable Bowel Syndrome Severity Scoring System[IBS-SSS]-Score ≥ 75 Punkte; Skala umfasst 0 bis 500 Punkte). 

1 : 1 randomisiert erhielten die Probanden über sechs Monate entweder einmal täglich 10 mg des trizyklischen Antidepressivums oder Placebo. Alle Teilnehmer konnten in Eigenregie unter telefonischer Beratung die Dosierung innerhalb der ersten drei Wochen auf maximal 30 mg Amitriptylin bzw. Placebo anpassen. Die Ergebnisse wurden vor Kurzem in der Fachzeitschrift „The Lancet“ publiziert.

Amitriptylin verbessert Symptome signifikant

Es zeigte sich in der Intention-to-treat-Analyse, dass sich die Symptome nach einem halben Jahr in der Verumgruppe signifikant verbessert hatten im Vergleich zu Placebo (Differenz IBS-SSS-Score = –27,0 Punkte, 95-%-Konfidenz­intervall = –46,9 bis –7,10 Punkte, p = 0,008).

Insgesamt hatten 46 Teilnehmer (20 %) in der Amitriptylin-Gruppe und 59 Teilnehmer (26 %) in der Placebogruppe die Studie vorzeitig abgebrochen, 30 bzw. 20 Teilnehmer davon wegen unerwünschter Ereignisse. Am häufigsten berichteten die Probanden in der Verumgruppe über anticholinerge Nebenwirkungen, einschließlich Schläfrigkeit und Mundtrockenheit. 

Die Autoren schlussfolgern, dass niedrig dosiertes Amitriptylin bei der Behandlung des Reizdarmsyndroms sicher und verträglich und Placebo überlegen ist. Sie empfehlen deshalb, das Antidepressivum häufiger bei Reizdarmsyndrom in der hausärztlichen Praxis einzusetzen, als das bisher der Fall ist.