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Besser kein Weizen bei MS?

Brot und einzelne Brotscheiben liegen auf einem Brett, daneben steht ein Glass Milch
Der Verzicht auf Weizen und Milchprodukte könnte sich positiv auf eine MS-Erkrankung auswirken. | Bild: larisikstefania / AdobeStock

Kurzkettige Fettsäuren wie Propionsäure können die Schubrate bei Menschen mit schubförmiger Multipler Sklerose (MS) verringern. Eine ketogene Ernährung mit viel Fett, wenig Kohlenhydraten und ausreichend Protein kann die Lebensqualität von MS-Patienten erhöhen und Depressionen und Müdigkeit reduzieren. 

Daten gibt es auch zu Milch: So könnten einer Studie„PNAS“: „Antibody cross-reactivity between casein and myelin-associated glycoprotein results in central nervous system demyelination“, veröffentlicht 2022  zufolge MS-Patienten mit Antikörpern gegen Rindercasein davon profitieren, auf Milchprodukte zu verzichten.  

Allerdings: Die eine Ernährungsform, die das Fortschreiten der Behinderung bei MS stoppt, gibt es derzeit nicht. Nichtsdestotrotz forschen Wissenschaftler, ob bestimmte Ernährungsformen den Verlauf der neurodegenerativen Erkrankung positiv beeinflussen – wie ein Weizenverzicht.

Zur Erinnerung: Was ist Multiple Sklerose?

Multiple Sklerose ist eine Erkrankung des zentralen Nervensystems, die das Gehirn, das Rückenmark und die Nervenfasern betrifft. Weltweit leben rund 2,8 Millionen Menschen mit der Autoimmunerkrankung, bei der das eigene Immunsystem die Ummantelung (Myelinscheiden) der Nervenbahnen (Axone) angreift und beschädigt.  

Botschaften, die über die Nerven transportiert werden, kommen in der Folge immer langsamer und ohne medizinische Behandlung gar nicht mehr an.  

Diese Schädigungen äußern sich dann häufig in Symptomen wie Sehstörungen, Taubheitsgefühlen und Lähmungserscheinungen. Doch gibt es nicht „das eine“ typische Krankheitsbild. Symptome und Anzeichen können komplett unterschiedlich und für Außenstehende nicht direkt zu erkennen sein. MS wird daher auch als die Krankheit der 1.000 Gesichter bezeichnet.  

Häufig sind Koordinationsprobleme, Sehstörungen oder Lähmungen. Aber auch Gefühlsstörungen der Haut, die sich als Kribbeln, Missempfindungen oder Taubheitsgefühl äußern, sind möglich. Viele berichten von „Fatigue“, einem Zustand massiver, oftmals unerklärlicher und vor allem wiederkehrender Erschöpfung.

Bei Weizen dürften viele direkt an Gluten (dem Auslöser von Zöliakie) als „Übeltäter“ denken. Allerdings enthält Weizen auch andere natürliche Proteine – Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATIs) –, die leichte Entzündungsreaktionen im Darm auslösen können. Diese durch ATI aus unserer Ernährung aktivierten Entzündungszellen können vom Darm auch in andere Organe wandern und dort eine bereits bestehende Entzündung stimulieren und dadurch eine Krankheitsaktivität erhöhen, wie vielleicht bei Multipler Sklerose.

ATI-Proteine machen 2 bis 4 Prozent der Proteine in glutenhaltigem Getreide aus und finden sich neben Weizen zum Beispiel auch in Gerste und Roggen.

ATI-reiche Ernährung verschlechtert MS bei Mäusen

An Mäusen konnten Wissenschaftler von der Klinik für Neurologie der Universitätsmedizin Mainz bereits 2016 zeigen, dass durch eine ATI-reiche Kost Mäuse schwerer an MS – beziehungsweise Experimenteller Autoimmunenzephalitis, dem Mausmodell für MS – erkranken. Auch bewirkte die ATI-angereicherte Ernährung, dass entzündungsfördernde Immunzellen stärker wurden. 

Erhielten die Mäuse hingegen Gluten, verschlechterte dies das MS-Erkrankungsgeschehen bei den Mäusen nicht„Gut“: „Dietary wheat amylase trypsin inhibitors exacerbate CNS inflammation in experimental multiple sclerosis“ .

Was bewirkt eine weizenfreie Ernährung bei MS?

Diese Daten wollten die Wissenschaftler sodann an Menschen mit MS prüfen und bestenfalls bestätigen. Sie starteten eine kleine Pilotstudie mit 16 moderat an MS erkrankten Menschen mit einem gering aktiven Verlauf. Die Patienten waren zwischen 18 und 60 Jahre alt und bis auf einen Teilnehmer alle weiblich. 

In einem Cross-over-Design erhielten die Probanden zunächst für drei Monate eine weizenreduzierte/-freie Diät (< 90 %). Anschließend erfolgte für weitere drei Monate eine weizenhaltige Standarddiät oder umgekehrt. Damit ernährte sich jeder Studienteilnehmende drei Monate weizenfrei und drei Monate weizenhaltig.  

Was bewirkte die weizenarme Kost? Die Wissenschaftler interessierten sich vor allem dafür, ob durch den Weizenverzicht entzündungsfördernde T-Zellen abnahmen (primäres Studienziel) und ob sich die Lebensqualität und der Behinderungsgrad (EDSS) der Patienten veränderten (sekundäre Studienziele). Ihre Studienergebnisse veröffentlichten sie 2023 im Fachjournal „Therapeutic Advances in neurological Disorders“„Attenuation of immune activation in patients with multiple sclerosis on a wheat-reduced diet: a pilot crossover trial“ .

Zur Erinnerung: Was ist der EDSS?

Der EDSS (Expanded Disability Status Scale) bewertet den Schweregrad der Behinderung bei Patienten mit MS. Die Skala reicht von null bis zehn (in 0,5er-Schritten) und bewertet Störungen in unterschiedlichen Funktionellen Systemen (FS) des Körpers:

  • Pyramidenbahn, z. B. Lähmungen
  • Kleinhirn, z. B. Störungen des Bewegungsablaufs, Tremor
  • Hirnstamm, z. B. Sprach- und/oder Schluckstörungen
  • Sensorium, z. B. verminderter Berührungssinn
  • Blasen- und Mastdarmfunktion, z. B. Harn- und/oder Stuhlinkontinenz
  • Sehfunktion, z. B. eingeschränktes Gesichtsfeld
  • Zerebrale Funktionen, z. B. Wesensveränderung, Demenz

Je nach Anzahl der betroffenen Funktionsbereiche und dem Ausmaß der Einschränkung erfolgt die Abstufung von EDSS 0 (keine Symptome, kein Funktionsbereich betroffen) bis EDSS 10 (Tod durch MS).

Weizenfreie Ernährung: Weniger Schmerzen aber gleichbleibende Behinderung

Die Zahl der zirkulierenden T-Zellen veränderte sich durch die weizenfreie Ernährung der Patienten nicht, wodurch die Studie ihr primäres Studienziel nicht erreichte.

Dennoch konnten die Wissenschaftler Effekte auf Immunzellen beobachten: Die Zahl einer Gruppe von Monozyten mit dem Oberflächenmarker CD14++CD16++ nahm unter weizenfreier Kost ab.

Positiv wirkte sich der Weizenverzicht auch auf die Schmerzen der Patienten aus: Die an MS Erkrankten berichteten über signifikant weniger Schmerzen. Hingegen veränderte sich der Behinderungsgrad, gemessen anhand des EDSS-Scores, nicht, es war im sechsmonatigen Studienzeitraum folglich egal, ob die Patienten Weizen gegessen hatten oder nicht.

Weizenverzicht bei MS – einen Versuch wert

Was ist das Fazit? Die Wissenschaftler finden, dass eine weizenreduzierte (ATI-reduzierte) Ernährung für manche MS-Patienten ein ergänzender Ansatz zur Immuntherapie sein könne. Ihre Studien hätten gezeigt, wie wichtig die Ernährung und ihre Wechselwirkungen mit dem Darmmikrobiom und dem Darmimmunsystem für die Gesundheit seien.