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Human-Challenge-Studie: Ist SARS-CoV-2 doch früher ansteckend als gedacht?

Mann mit FFP2-Maske hält abwehrend Hand in Kamera
Alle zwei Tage Schnelltest zu machen, hilft, frühzeitig eine Infektion zu erkennen. | Bild: Marco Martins / AdobeStock 

Was kam eigentlich bei der „Human-Challenge-Studie“ raus – einer Corona-Studie, bei der junge und gesunde Teilnehmer absichtlich mit SARS-CoV-2 infiziert wurden? Zwar verlaufen SARS-CoV-2-Infektionen bei jüngeren Menschen in der Regel mild oder asymptomatisch, dennoch tragen die Infizierten zur Verbreitung des Virus bei. Ab welchem Zeitpunkt und wie lange man nach einer Infektion ansteckend ist, ist bislang nicht vollständig geklärt. 

Diesen Fragen wollten sich Wissenschaftler vom Imperial College in London in der ersten Human-Challenge-Studie nähern – nun gibt es erste Ergebnisse, zumindest als Vorabveröffentlichung (Preprint). Sie liefern neue Informationen darüber, wie viele Tage nach einer Infektion man Symptome entwickelt, ab wann und für wie lange die Infizierten andere mit Corona anstecken können und wie sicher Schnelltests helfen, diesen Zeitraum zu erfassen.

Gesunde Studienteilnehmer werden aktiv mit SARS-CoV-2 infiziert

An der Studie nahmen 36 gesunde, freiwillige Teilnehmer – mit einem geringen Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf – im Alter zwischen 18 und 29 Jahren teil. Sie waren weder geimpft noch waren sie zuvor mit SARS-CoV-2 infiziert gewesen (genesen).

Allerdings zeigten zwei der 36 Probanden eine Serokonversion zwischen der Aufnahme in die Studie und dem Zeitpunkt der absichtlichen Infektion (das heißt, sie hatten zwischenzeitlich Kontakt mit dem Virus), sodass letztlich nur 34 Teilnehmer (per Protokoll) ausgewertet wurden. 

Infiziert wurden die Studienteilnehmer mit einer genau definierten Menge SARS-CoV-2, welche in ihre Nase eingebracht wurde. Dabei erhielten sie die „niedrigste mögliche“ Virusdosis, die eine Infektion noch auslösen kann – also die Menge, die etwa in einem Tropfen Nasensekret enthalten ist.

Virus bereits zwei Tage nach Infektion im Rachen nachweisbar

Insgesamt waren 18 von 34 Teilnehmern (53 Prozent) nach absichtlicher Infektion auch SARS-CoV-2-positiv (PCR-Nachweis). Das Virus konnte zunächst im Rachen nachgewiesen werden – bereits nach 1,67 Tagen (40 Stunden) –, erreichte etwas später in der Nase (nach 2,4 Tagen – 58 Stunden) dafür aber deutlich höhere Virustiter. 

Den Wissenschaftlern zufolge verlief der Anstieg der Viruslast ab dem Zeitpunkt des Nachweises „rasch“ und „steil“ – Spitzenwerte lagen im Rachen etwa an Tag fünf (112 Stunden; 4,7 Tage) und in der Nase einen Tag später (148 Stunden; 6,2 Tage) nach Infektion vor. 

Dabei waren die Spitzenwerte der Virusmenge in der Nase deutlich höher als im Rachen, sodass das Risiko, SARS-CoV-2 über die Nase auszuscheiden, möglicherweise größer ist als über den Mund, teilt das Imperial College London mit. Und: „Dies unterstreicht, wie wichtig es ist, eine Maske zu tragen, die sowohl den Mund als auch die Nase bedeckt.“

Inkubationszeit deutlich kürzer als bislang gedacht

Bis die Infizierten erste Symptome entwickelten, vergingen im Durchschnitt zwei Tage (Inkubationszeit), was damit deutlich kürzer als bisherige Schätzungen ist, die von fünf bis sechs Tagen ausgingen. Nach der Inkubationszeit (zwei Tage) blieben die hohen Virustiter über eine Woche erhalten.

Virus kann über Wochen nachgewiesen werden

SARS-CoV-2 hielt sich in der Studie hartnäckig in den Atemwegen: Alle infizierten Teilnehmer waren 14 Tage nach der Infektion immer noch positiv im PCR-Test, sodass ihre Quarantäne um fünf Tage verlängert wurde. 

Entlassen wurden sie nämlich erst, wenn ihre Ct-Werte in zwei aufeinander folgenden Nasen- und Rachenabstrichen bei mindestens 33,5 lagen. 

Dennoch blieben selbst zum Entlassungszeitpunkt noch 15 von 18 infizierten Personen positiv im PCR-Nachweis (83 Prozent), an Tag 28 nach Infektion war es weiterhin jeder Dritte im Nasenabstrich (33 Prozent; 6 von 18) und jeder zehnte im Rachenabstrich (11 Prozent; 2 von 18). Bei Testung an Tag 90 nach Infektion waren schließlich alle Teilnehmer negativ.

Zur Erinnerung: Was ist der Ct-Wert?

Der Ct-Wert (engl. cycle threshold) ist ein Maß für die Viruslast. Der Wert gibt an, wie häufig der Vermehrungszyklus bei einem PCR-Nachweis erfolgen muss, um das Virus nachzuweisen. Dabei gilt: Ist wenig Virus in der Probe, müssen mehr Vermehrungszyklen erfolgen, als wenn viel Virus in der Probe ist. Je höher der Wert ist, desto geringer ist die vorhandene Virusmenge.

RKI: Ab Ct-Werten größer 30 geringe Ansteckungsgefahr

Nun ist es eine Sache, wie lange das Virus per PCR nachweisbar ist, eine andere jedoch, ob man damit noch ansteckend ist. So geht das Robert Koch-Institut (RKI) ab Ct-Werten von größer als 30 davon aus, dass SARS-CoV-2 nicht mehr anzüchtbar (also vermehrungsfähig) ist. Wobei dies auch von der Abstrichqualität abhänge, schränkt das RKI ein. 

Die meisten Arbeitsgruppen hätten Ct-Cut-off-Werte zwischen 31 und 34 abgeleitet, jedoch sind dem RKI auch Fälle bekannt, bei denen bei Ct-Werten über 35 sich noch replikationsfähige Viren nachweisen hätten lassen.

Vermehrungsfähige Viren durchschnittlich bis Tag 10 nach Infektion

Wie also sah es mit vermehrungsfähigen Viren – und damit Viren, die noch ansteckend sind – in der Human-Challenge-Studie aus? Den Wissenschaftlern zufolge ließen sich vermehrungsfähige Viren nur etwas mehr als sechs Tage nachweisen – im Median 6,5 Tage in der Nase und 6,25 Tage im Rachen, jeweils bestimmt nach Infektion. Durchschnittlich seien vermehrungsfähige Viren nach 10,2 Tagen in der Nase und nach 8,7 Tagen im Rachen verschwunden gewesen. 

Die Wissenschaftler betonen: „Trotz relativ hoher Werte für späte PCR-Nachweise konnten vermehrungsfähige Viren in der Nase nach Tag 12 und im Rachen nach Tag 11 der Infektion nicht mehr nachgewiesen werden.“

Zur Erinnerung: Median und Durchschnitt – das ist der Unterschied

Der Median liegt genau in der Mitte einer Datensammlung, das bedeutet: Die eine Hälfte der ermittelten Daten ist kleiner als der Medianwert, die andere Hälfte ist größer. Im konkreten Fall des Nachweises vermehrungsfähiger Viren in der Nase bedeutet das: Bei der Hälfte der Infizierten waren die Viren in der Nase bereits nach weniger als 6,5 Tagen verschwunden, bei der anderen Hälfte erst später als 6,5 Tage. 

Nicht zu verwechseln ist der Median mit dem Durchschnitt. Für den Durchschnitt summiert man in diesem Beispiel für alle Infizierten die Tage, ab denen kein replikationsfähiges Virus mehr nachweisbar war, und teilt diesen Wert durch die Anzahl der Infizierten. Der Vorteil des Medians im Vergleich zum Durchschnitt ist, dass einzelne Zahlenausreißer weniger ins Gewicht fallen, zum Beispiel für die Datensammlung 2, 2, 2, 2, 14 liegt der Median bei 2, der Durchschnitt bei 4,4. 

Wie lange ist man also ansteckend?

Die Wissenschaftler fassen ihre Ergebnisse zusammen: „Nach einer SARS-CoV-2-Exposition beim Menschen beginnt die Virusausscheidung innerhalb von zwei Tagen nach der Exposition, erreicht schnell bis zu zwölf Tage nach Kontakt nachweisbare vermehrungsfähige Viren und eine deutlich höhere Viruslast in der Nase als im Rachen, obwohl diese dort später einsetzt.“ 

Da vermehrungsfähige und damit infektiöse Viren durchschnittlich bis zu zehn Tage nach Kontakt (maximal zwölf Tage nach Kontakt) nachweisbar waren, unterstützten diese Daten die Quarantänezeit, die in den meisten Leitlinien empfohlen werde, heißt es in der Mitteilung des Imperial College London.

Infektiosität bislang unterschätzt?

Die Studienautoren nennen auch Einschränkungen der Studie – die nur kleine Teilnehmerzahl, die geringe Vielfalt bei den Teilnehmern (alle jung, erwachsen und gesund) und eine kurze Nachbeobachtungszeit. Auch trägt die Studie nicht den möglichen Virusvarianten von SARS-CoV-2 Rechnung. 

Dennoch sieht der leitende Prüfarzt Professor Christopher Chiu von der Abteilung für Infektionskrankheiten und dem Institut für Infektionskrankheiten am Imperial College London enormen Wert hinter der Studie: „Es gibt zwar Unterschiede in der Übertragbarkeit aufgrund des Auftretens von Varianten wie Delta und Omikron, aber im Grunde handelt es sich um dieselbe Erkrankung, und die gleichen Faktoren sind für den Schutz dagegen verantwortlich.“ Man gehe davon aus, dass die Studie „grundsätzlich repräsentativ“ für diese Art der Infektion sei. Und er ergänzt: Man habe die Infektiosität bislang „wahrscheinlich unterschätzt“.

Wie ging es den Patienten?

Im Rahmen der Studie erfassten die Wissenschaftler auch das Befinden der Patienten. Entwickelten sie Symptome? Welche? Und waren diese von milder Natur? 

Die meisten der nach Infektion positiv getesteten Teilnehmer (89 Prozent; 16 von 18) berichteten über milde bis mittelschwere Symptome, ähnlich einer Erkältung mit verstopfter oder laufender Nase, Niesen oder Halsschmerzen, die bereits zwei bis vier Tage nach Kontakt mit dem Virus anfingen. Einige berichteten auch über Kopfschmerzen, Muskel- und Gelenkschmerzen, Müdigkeit und Fieber. 

Professor Chiu fasst zusammen: „In erster Linie traten in unserem Challenge-Infektionsmodell mit gesunden jungen erwachsenen Teilnehmern keine schwerwiegenden Symptome oder klinischen Probleme auf.“ Keiner habe „ernsthafte Symptome“ oder Veränderungen an der Lunge gezeigt. 

Nicht überraschen dürfte, dass nahezu alle Infizierten ihren Geruchssinn verloren (13 von 18), der sich bei den meisten innerhalb von 90 Tagen nach Infektion auch wieder normalisierte. Nur bei drei Teilnehmern lagen auch nach drei Monaten noch Einschränkungen vor, die sich jedoch auch bei ihnen besserten. 

Insgesamt sind die Studienautoren beruhigt, dass die Human-Challenge-Studie neben den neuen Erkenntnissen zu SARS-CoV-2 auch gezeigt hat, dass solche Untersuchungen für die Teilnehmer sicher sein können.

Antigen-Schnelltests: Zweimal testen pro Woche erkennt Infektion frühzeitig

Die Wissenschaftler konnten zudem zeigen, dass Antigen-Schnelltests „ein guter Indikator“ sind, ob eine Person infektiöse Viren in sich trägt. So korrelierten positive Schnelltest-Ergebnisse gut mit den Ergebnissen aus laborbestätigten Abstrichen, und zwar während des gesamten Verlaufs der Infektion – auch bei Personen, die keine Symptome aufwiesen.

Die Studienautoren schränken jedoch ein, dass vor allem zu Beginn und gegen Ende der Infektion – bei geringen Virusmengen – die Tests weniger zuverlässig waren. „Die Lateral-Flow-Ergebnisse waren stark mit lebensfähigen Viren assoziiert, und die Modellierung zeigte, dass zweimal wöchentlich durchgeführte Schnelltests eine Infektion diagnostizieren können, bevor 70–80 Prozent der lebensfähigen Viren vorhanden sind.“

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