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Ersthilfe bei schweren Hypoglykämien: Glucagon als Notfallmedikament

Glucagon-Notfallspritze
Glucagon gibt es als Spritze, Fertigpen und Nasenspray. | Bild: inomnim / AdobeStock

Die meisten insulinpflichtigen Typ-1-Diabetiker dürften ein Glucagon-Notfallset zu Hause haben, denn bei einer schweren Unterzuckerung kann das Medikament lebensrettend sein. Doch das setzt voraus, dass sich der Betroffene und vor allem auch die Angehörigen mit der Verabreichung des Medikaments auskennen. In der Apotheke kann dazu wichtige Aufklärungsarbeit geleistet werden. 

Was versteht man unter einer Hypoglykämie?

Bei Menschen mit Typ-1-Diabetes fehlt die körpereigene Bildung von Insulin meist vollständig. Deshalb muss das lebensnotwendige Hormon von außen zugeführt werden. Bei einer Überdosierung von Insulin kann es jedoch zu einer gefährlichen Absenkung des Blutglucosespiegels – einer Hypoglykämie – kommen. 

Eine solche Insulinüberdosierung kann entstehen, wenn 

  • Insulin versehentlich doppelt gespritzt,
  • zu wenig gegessen oder das Essen erbrochen wurde.
  • Auch ungeplante körperliche Aktivitäten bis hin zu Stress begünstigen eine Unterzuckerung.

Schon ab einem Blutzuckerwert von unter 70 mg/dl (3,9 mmol/l) spricht man von einer leichten Unterzuckerung. Eine genaue Definition ist jedoch nicht ganz einfach, da das Auftreten von Symptomen individuell sehr unterschiedlich sein kann. 

Bei den Betroffenen können Angstgefühle, Unruhe, Herzklopfen, Übelkeit, Zittern, Schwitzen und Heißhunger aufkommen. Diese Symptome gelten bei jedem Diabetespatienten als Warnsignale. Im weiteren Verlauf können Verwirrtheit, Denkstörungen, Schwindel bis hin zu Krämpfen dazukommen. Sinkt der Blutzuckerspiegel weiter, kann es zu Bewusstlosigkeit und hypoglykämischem Koma kommen. 

Hilfe bei einer Unterzuckerung

Bei den ersten Anzeichen einer Hypoglykämie muss daher sofort gegengesteuert und zur Normalisierung des Blutzuckerspiegels Traubenzucker zugeführt werden. Dabei gilt stets die Regel „Erst essen, dann messen!“ 

Geeignet sind zuckerhaltige Getränke wie Limonade oder Obstsaft, Traubenzuckertäfelchen oder auch Gummibärchen. Lightprodukte mit Süßstoffen wie Cola Light enthalten keinen Zucker und helfen deshalb nicht bei einer Hypoglykämie. 

Nach 10–15 Minuten sollte der Blutglucosespiegel erneut gemessen werden. Bei immer noch niedrigen Werten wird erneut Glucose aufgenommen. Hat sich der Blutzuckerwert wieder normalisiert, sollte noch ein Snack mit langsam freisetzenden Kohlenhydraten, wie eine Banane oder eine Scheibe Brot, aufgenommen werden. Damit soll eine erneute Hypoglykämie verhindert werden. 

Ist der Patient allerdings bereits bewusstlos, darf keine Nahrung oder Flüssigkeit oral zugeführt werden, da sonst die Gefahr des Erstickens besteht. Bei einer schweren Unterzuckerung wird Glucagon als Notfallarzneimittel eingesetzt, der zu verständigende Notarzt wird intravenös Glucose verabreichen. 

Wie wirkt Glucagon?

Glucagon wird ebenso wie Insulin in der Bauchspeicheldrüse gebildet. Das Peptidhormon gilt bei der Regulation der Glucosekonzentration im Blut als Gegenspieler zum Insulin. Bei einer Abnahme des Glucosespiegels im Blut wird also Glucagon freigesetzt. 

Daraufhin wird in der Leber vermehrt Glucose aus der Speicherform Glycogen gebildet. Außerdem wird die Neubildung von Glucose aus Aminosäuren erhöht. Insgesamt kommt es so innerhalb weniger Minuten wieder zu einem Anstieg des Blutzuckerspiegels. 

Zur Notfalltherapie kann Glucagon bei einer Unterzuckerung auch von außen zugeführt werden. Bei bewusstlosen Patienten muss die Verabreichung durch Angehörige oder andere Personen erfolgen. Als Notfallarzneimittel sind in Deutschland verschiedene Glucagon-haltige Darreichungsformen erhältlich. 

Pulver zur Herstellung einer Injektionslösung mit Glucagon

Am längsten bekannt ist Glucagon als Notfallspritze: Dabei muss die zu injizierende Lösung vom Anwender vor der Applikation selbst hergestellt werden. Das Arzneimittel GlucaGen Hypokit besteht aus einer Durchstechflasche mit gefriergetrocknetem Glucagon. Nach Rekonstitution mit Wasser für Injektionszwecke kann die Lösung subkutan oder intramuskulär verabreicht werden. 

Da der Wirkstoff in flüssiger Form relativ instabil ist, darf er erst kurz vor der Anwendung mit der Flüssigkeit gemischt werden. Die fertige Spritze enthält dann 1 mg Glucagon pro Milliliter.

Tipps zur Anwendung der Glucagon-Notfallspritze:

  • Zunächst wird die Plastikkappe von der Durchstechflasche und die Schutzkappe der Nadel von der Spritze entfernt.  
  • Anschließend wird die Nadel durch den Gummistopfen der Durchstechflasche gestochen und die Flüssigkeit aus der Spritze injiziert.  
  • Die Flasche wird zum Auflösen des Pulvers vorsichtig geschwenkt, dabei verbleibt die Nadel in der Durchstechflasche. 
  • Nun kann die gesamte Lösung aufgezogen und die Spritze aus der Durchstechflasche herausgezogen werden.  
  • Zur Entfernung von Luftblasen sollte die Spritze mit der Nadel nach oben gehalten und mit dem Finger vorsichtig dagegen geklopft werden.  
  • Die benötigte Dosis kann unter die Haut oder in einen Muskel injiziert werden.  

Die fertige Lösung muss sofort nach der Rekonstitution verabreicht werden, möglicherweise vorhandene Reste dürfen nicht wieder verwendet werden. 

Erwachsene und Kinder ab 25 kg Körpergewicht oder ab 8 Jahren enthalten die komplette Menge aus der Spritze injiziert. Bei Kindern unter 25 kg Körpergewicht oder unter als 8 Jahren wird nur die Hälfte benötigt. Die Spritze ist dazu mit einer entsprechenden Markierung versehen. 

Normalerweise wirkt das Arzneimittel innerhalb von zehn Minuten. Spricht der Patient nicht auf die Behandlung an, muss der Notarzt verständigt werden. GlucaGen Hypokit muss bei 2 °C bis 8 °C im Kühlschrank gelagert werden. Zu Hause kann der Patient das Arzneimittel bei Raumtemperatur bis zu 18 Monate aufbewahren.

Glucagon als fertige Spritze

Seit letztem Herbst gibt es Glucagon als neue Darreichungsform. Mit dem Präparat Ogluo Injektionslösung 0,5 mg / 1 mg ist ein vorgefüllter Fertigpen zur Notfallversorgung erhältlich. 

Der Herstellerfirma ist es dabei gelungen, Glucagon auch in flüssiger Form zu stabilisieren. Das Arzneimittel kann somit in einer gebrauchsfertigen Applikationshilfe angeboten werden. 

Die subkutane Injektion kann in den Unterbauch, in die Außenseite des Oberschenkels oder Oberarms erfolgen. Vorab ist an entsprechender Stelle die Kleidung zu entfernen. Zur Injektion wird der Fertigpen auf die Haut heruntergedrückt und anschließend 5 Sekunden gewartet. 

Ogluo kann bei Erwachsenen und Kindern ab 2 Jahren angewendet werden. Bei Kindern ab 6 Jahren beträgt die empfohlene Dosis 1 mg Glucagon, jüngere Kinder bekommen 0,5 mg. Normalerweise wirkt das Arzneimittel innerhalb von 15 Minuten. Ist dies nicht der Fall, kann eine zweite Dosis aus einem neuen Injektionsgerät verabreicht werden und der Notarzt ist zu verständigen. 

Die Patienten sollten sich daher zwei Injektionsgeräte verschreiben lassen. Die Fertigpens gehören nicht in den Kühlschrank, sondern können bei Raumtemperatur aufbewahrt werden. 

Nasale Anwendung von Glucagon

Glucagon kann im Notfall nicht nur injiziert werden, auch eine nasale Anwendung ist möglich. Dadurch hat sich die Notfallbehandlung einer Hypoglykämie weiter vereinfacht.

Das Arzneimittel Baqsimi enthält 3 mg Glucagon als Pulver in einem Einzeldosisbehältnis. Es darf bei Erwachsenen und Kindern ab 4 Jahren angewendet werden. Das Nasenspray wird dabei in ein Nasenloch eingeführt und der Wirkstoff durch Drücken des Kolbens freigesetzt. 

Tipps zur Anwendung des Glucagon-Nasensprays:

  • Das Einzeldosisbehältnis ist zwischen Daumen und Zeige- und Mittelfinger zu halten.
  • Das Arzneimittel enthält nur eine Dosis, daher darf die Anwendung vorher nicht getestet werden.
  • Die Spitze des Einzeldosisbehältnisses wird vorsichtig in eines der Nasenlöcher geschoben.
  • Zum Verabreichen der Dosis ist der Kolben des Behältnisses vollständig durchzudrücken, ein vorher sichtbarer grüner Streifen darf nicht mehr zu sehen sein.

Die Aufnahme von Glucagon erfolgt über die Nasenschleimhaut, tiefes Einatmen ist dabei nicht nötig. Die Anwendung ist daher bei bewusstlosen Patienten möglich. Auch bei erkältungsbedingtem Schnupfen ist die Resorption nicht beeinträchtigt, auch nicht, wenn vorher ein abschwellendes Nasenspray angewendet wurde. 

Das Arzneimittel soll unter 30 °C gelagert werden. Neuere Untersuchungen zur Stabilität haben gezeigt, dass die Wirksamkeit sowohl bei hohen Temperaturen im Sommer als auch bei winterlicher Kälte gewährleistet ist. 

Das nasale Glucagon-Präparat kann also unter unterschiedlichen klimatischen Bedingungen transportiert werden. Gefährdete Patienten sollten es daher immer dabeihaben. 

Wann wirkt Glucagon nicht?

Wachen die Betroffenen trotz Glucagon-Gabe nicht aus der Bewusstlosigkeit auf, kann es dafür mehrere Gründe geben: Das Hormon kann nur wirken, wenn in der Leber Glycogen, also die Speicherform von Glucose, vorhanden ist. Wenn der Patient also über einen längeren Zeitraum nüchtern war und die Glycogen-Speicher leer sind, kann Glucagon bei einer Hypoglykämie nicht helfen. 

Auch bei einer Unterzuckerung, die durch Alkoholkonsum ausgelöst wurde, wirkt Glucagon nur eingeschränkt. Denn unter Alkoholeinfluss ist die Zuckerausschüttung aus der Leber reduziert. Reagiert ein Diabetiker nicht auf die Glucagon-Gabe, sollte dieser in die stabile Seitenlage gebracht und sofort ein Notarzt verständigt werden. Quellen:
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2012/daz-41-2012/gefuerchtete-unterzuckerung;
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2020/daz-6-2020/erst-essen-dann-messen;
Fachinformation GlucaGen® Hypokit;
Fachinformation Ogluo® Fertigpen;
Fachinformation Baqsimi® 3 mg Nasenpulver
 

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