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Warnbox und effektivere Schwangerschaftsverhütung bei Isotretinoin & Co.: Retinoid-Therapie soll sicherer werden

Bild: Matthias Buehner / Adobe Stock

Arzneimittel aus der Gruppe der Retinoide sind embryotoxisch. Sie führen bei schwangeren Frauen zu schweren Fehlbildungen des ungeborenen Kindes. Deswegen gelten strenge Verhütungsvorschriften für Frauen im gebärfähigen Alter, die Retinoide anwenden. Das Problem ist nur: Offenbar werden diese nicht konsequent umgesetzt. Noch immer werden Frauen unter Retinoiden schwanger – trotz EU-weiter Schwangerschaftsverhütungsprogramme. Aus diesem Grund hatte die Europäische Arzneimittelbehörde EMA bereits 2016 ein Risikobewertungsverfahren zu Retinoiden eingeleitet. Zusätzlich bestand der Verdacht, dass eine orale Retinoid-Therapie Depressionen und Angst begünstigen. Das Risikobewertungsverfahren ist nun abgeschlossen, in Deutschland setzt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Maßnahmen nun um. Was hat sich geändert?

Orale Retinoide erhalten Packungs-Warnbox

Die Verpackungen der oralen Retinoide Isotretinoin (Isotretinoin-ratiopharm® Weichkapseln), Acitretin (Acicutan® 10 mg / 25 mg Hartkapseln) und Alitretinoin (Toctino® 10 mg / 30 mg Weichkapseln) müssen künftig eine Packungs-Warnbox erhalten. Diese weist die Patienten auf das teratogene Potenzial, also die fruchtschädigende Wirkung, des Arzneimittels hin und darauf, dass Frauen im gebärfähigen Alter während einer Therapie mit Isotretinoin-, Acitretin- und Alitretinoin-haltigen Medikamenten sicher verhüten müssen. Das ist jedoch nicht die einzige Maßnahme, die die Europäische Arzneimittelbehörde umgesetzt sehen möchte. Noch bevor ein Arzt überhaupt orale Retinoide verordnet, müssen alle Maßnahmen im Bereich des Möglichen ausgeschöpft werden, um die Kombination Retinoide und Schwangerschaft zu verhindern. So müssen Ärzte bei Frauen im gebärfähigen Alter eine bereits ungeahnt bestehende Schwangerschaft der Patientin vor Therapiebeginn ausschließen. Sie müssen die Patientin darüber hinaus auf die fruchtschädigende Wirkung des Arzneimittels hinweisen, ebenso, dass sichere Verhütungsmethoden erforderlich sind. Sowohl Arzt als auch Patientin bestätigen die erfolgte Information schriftlich.

Isotretinoin-, Acitretin- und Alitretinoin-haltige Medikamente – diese Arzneimittel setzen Ärzte bei schweren Formen der Akne (Isotretinoin), bei Psoriasis (Schuppenflechte) und bestimmten Formen der Dermatitis (Acitretin) oder Handekzem (Alitretinoin) ein. Daneben gibt es weitere, ebenfalls oral zu applizierende Retinoide: Bexaroten (Targetin®) und Tretinoin (Vesanoid®). Beide Arzneimittel dienen der Therapie bestimmter Formen der Leukämie. Da Krebspatientinnen ohnehin unter enger medizinische Überwachung stehen, entfallen für diese Medikamente zusätzliche Schwangerschaftsverhütungsprogramme

Topische Retinoide auch kontraindiziert bei Schwangerschaft

Diese Kontraindikation für Retinoide, Schwangerschaft, gilt auch für topische, also für lokal applizierte. Das ist ebenfalls Ergebnis der aktuell abgeschlossenen Risikobewertung. Fraglos sind die Konzentrationen und die teratogene Wirkung die durch eine topische Retinoidtherapie im Körper erreicht werden deutlich geringer als bei einer systemischen Therapie mit Kapseln. Auch die EMA sieht das so und erachtet die systemische Exposition durch topisch applizierte Retinoide als „extrem gering“. Dennoch fährt die Arzneimittelbehörde einen sicheren Kurs und auch topische Retinoide sollen bei schwangeren Frauen oder Frauen, die eine Schwangerschaft planen, nicht eingesetzt werden. Die Begründung liegt unter anderem darin, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Patientinnen die Lokaltherapie auch stets vorschriftsmäßig anwenden.

2022 wird bewertet, ob Risikominimierungsmaßnahmen erfolgreich waren

Ob diese schärferen Maßnahmen tatsächlich die erhoffte Wirkung zeigen und weniger Frauen unter Retinoiden schwanger werden, zeigt sich erst in ein paar Jahren. Allerdings hält das BfArM die pharmazeutischen Unternehmer mit Isotretinoin-, Acitretin und Alitretinoin-haltigen Arzneimitteln an, Arzneimittelanwendungsstudie durchzuführen. Bis 2022 erwartet das BfArM hier die Ergebnisse, um Wirksamkeit der aktualisierten Risikominimierungsmaßnahmen zu bewerten.

Hinweis zu Depressionen und Angststörungen

Die EMA ging auch dem Verdacht nach, ob orale Retinoide Depressionen, Stimmungsschwankungen und Angst begünstigen. Künftig werden Beipackzettel und Fachinformation einen Warnhinweis zum möglichen Risiko neuropsychiatrischer Erkrankungen bei oraler Anwendung tragen. Auch wenn aufgrund einer begrenzten Datenlage die neuropsychiatrischen Nebenwirkungen nicht klar in Zusammenhang mit der Einnahme oraler Retinoide gebracht werden konnten. Hier gibt die EMA zu bedenken, dass auch die zugrundeliegende Erkrankung, die eine orale Retinoidtherapie überhaupt erst erforderlich macht, Depressionen begünstigen könnten. Diese Warnhinweise gelten nicht für topische Retinoide.

Unter Retinoiden an Schwangerschaftsverhütung denken!