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Rote-Hand-Brief: Neue Nebenwirkung unter Gliflozinen

Ein Roter-Hand-Brief vom 21.01.2019 weist auf die potenzielle Nebenwirkung einer Fournier-Gangrän unter SGLT2-Hemmer-Einnahme hin. | Bild: BPI

Manche Nebenwirkungen von Arzneimitteln fördern auch große klinische Studien im Rahmen der Arzneimittelzulassung nicht zutage. Sie zeigen sich erst, wenn das Präparat zur breiteren Anwendung beim Patienten kommt – nach der Zulassung also. Diese Erfahrung machen derzeit auch die Hersteller gliflozinhaltiger Arzneimittel. In Deutschland sind derzeit drei Wirkstoffe zugelassen: Dapagliflozin in Forxiga® (in Kombination mit Metformin in Xigduo®), Empagliflozin in Jardiance® und Ertugliflozin in Steglujan®. In den USA und manchen europäischen Ländern gibt es noch einen weiteren SGLT2-Hemmer, Canagliflozin in Invokana®.

Die Hersteller dieser Arzneimittel informieren nun in Abstimmung mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und der EMA (Europäische Arzneimittel-Agentur) über eine neue, schwere Nebenwirkung, die nach Markteinführung beobachtet wurde: die Fournier-Gangrän.

Wie wirken Gliflozine?

Gliflozine oder auch SGLT2-Hemmer (von Sodium-Glucose-Co-Transporter 2) greifen an der Niere an. Dieser Natrium-Glucose-Co-Transporter ist normalerweise dafür zuständig, dass Glucose zurück in den Körper resorbiert wird. Eine Blockade des Transporters durch Gliflozine verhindert dies jedoch. Die Folge: Glucose wird über die Nieren mit dem Urin ausgeschieden. Das bringt in der Tat – neben dem blutzuckersenkenden Effekt – noch einen weiteren Vorteil für die Diabetiker: sie nehmen ab. Das ist vor allem für übergewichtige Typ-2-Diabetiker günstig. Im Durchschnitt liegt die Gewichtsreduktion durch Glucoseausscheidung und somit Kalorienverlust bei zwei bis drei Kilogramm.

Das Wirkprinzip der Gliflozine mit dem vermehrten Ausscheiden von Glucose geht jedoch auch mit einer Nebenwirkung einher. Denn die erhöhten Glucosekonzentrationen im Harn begünstigen bakterielle Infekte und folglich Harnwegsinfektionen. Auch Vulvovaginitis (Entzündung von Vulva und Scheide) und Balanitis (Eichelentzündung) treten bei Patienten unter Gliflozin-Therapie häufiger auf. Diese Infektionen sind in der Regel leicht bis moderat und lassen sich durch eine Standardbehandlung in den Griff kriegen. Allerdings gibt es auch Infektionen, die potenziell lebensbedrohlich sind: die Fournier-Gangrän.

Was ist eine Fournier-Gangrän?

Die Fournier-Gangrän (nekrotisierende Fasziitis des Perineums) ist eine seltene, jedoch schwere und potenziell lebensgefährliche Infektion, der urogenitale Infektionen oder perineale Abszesse vorausgehen können (Perineum = Damm, Gewebebezirk zwischen dem Anus und den äußeren Geschlechtsorganen). Die nekrotisierende Fasziitis ist eine durch Bakterien ausgelöste, sehr heftig verlaufende Infektionskrankheit der Unterhaut und Faszien. Die Eintrittspforte für die Erreger können kleinste Verletzungen oder auch Injektionen sein.

USA: FDA warnte bereits 2018 vor Fournier-Gangrän unter Gliflozinen

Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde (FDA) warnte bereits im vergangenen Jahr vor einer Fournier-Gangrän. In den USA liegt die Wahrscheinlichkeit für eine Fournier-Gangrän bei 1,6 pro 100.000 Männern pro Jahr. Diabetiker jedoch haben per se ein erhöhtes Risiko für eine nekrotisierende Fasziitis. Die amerikanische Hochrechnung der Inzidenz einer Fournier-Gangrän bezieht sich nur auf Männer. Das hat seinen Grund, denn in der Allgemeinbevölkerung sind Männer deutlich häufiger von der Infektion betroffen als Frauen. Das ist bei einer Fournier-Gangrän unter Gliflozinen offenbar jedoch anders. Bei den zwölf gemeldeten Fällen einer Fournier-Gangrän unter Gliflozinen war die Geschlechterverteilung nahezu gleich (sieben Männer, fünf Frauen). Die Meldungen erreichten die FDA über einen Zeitraum von fünf Jahren, alle Patienten mussten im Krankenhaus antibiotisch behandelt werden und wurden operiert. Ein Patient verstarb.

Mit Ausnahme von Ertugliflozin traten Fournier-Gangräne bei allen Gliflozinen bislang auf. Allerdings ist Ertugliflozin auch der jüngste Vertreter – Steglujan® gibt es erst seit einem Jahr. Die FDA erteilte Ertugliflozin im Januar 2018 die Zulassung. Auch unter anderen Diabetika sei es zu einer Fournier-Gangrän gekommen, erklärte die FDA im Sommer letzten Jahres – allerdings waren dies lediglich sechs Fälle in den letzten 30 Jahren. Wohingegen der erste SGLT2-Inhibitor erst vor sechs Jahren, 2013, die Zulassung erhielt.

Was sind die Maßnahmen des BfArM?

Die Produktinformationen werden dahingehend geändert, dass Fournier-Gangrän als Nebenwirkung in Abschnitt 4.8, Warnhinweise entsprechend der Zusammenfassung oben in Abschnitt 4.4 der Fachinformation aufgenommen werden.