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Nervenschmerzen frühzeitig verhindern

Forscher haben einen Weg gefunden, die Entwicklung und das fortschreitende Verschlimmern von Neuropathien einzudämmen. | Bild: dusanpetkovic1 / Adobe Stock

Wenn es in den Fingerspitzen, Handflächen und Füßen kribbelt, brennt oder sticht, wenn Taubheitsgefühle oder Missempfindungen auftreten und Reize entweder übermäßig stark oder nur noch unzureichend verarbeitet werden, handelt es sich möglicherweise um eine Neuropathie. Bei dieser Erkrankung entsteht durch Schädigungen des peripheren oder zentralen Nervensystems jene besondere Form von Schmerzen. Dauern die Nervenschmerzen mehrere Monate an, spricht man von einer chronischen Neuropathie, die verschiedene Ausprägungen haben kann.

Ursachen von Neuropathien

Die Ursachen dafür sind vielfältig: Einer der häufigsten Auslöser von neuropathischen Schmerzen ist der Diabetes, aber auch andere Stoffwechsel- und Autoimmunerkrankungen sowie Alkoholmissbrauch und ein daraus resultierender Vitamin-B-Mangel oder auch ein Vitaminmangel anderer Art schädigen die Nervenfasern. Infektionen (z. B. Herpes zoster) oder eine Krebserkrankung und die damit oft verbundene Chemotherapie können unter Umständen ebenso ursächlich für die Neuropathien sein, die – wenn erst einmal chronisch – nur schwer zu behandeln sind.

Manchmal kommt es vor, dass auch mechanische Traumata durch Unfälle oder Operationen anhaltende Nervenschmerzen nach sich ziehen. Ein spezieller Fall ist der Phantomschmerz, der häufig nach Verlust eines Körperteils an der Stelle auftritt, an der sich einmal jener Teil befunden hat. Auch hier sprechen wir von einer mechanisch induzierten Neuropathie. Diese sollte so früh wie möglich unterbrochen werden, denn besteht erst einmal ein manifester Nervenschmerz oder wird dieser sogar chronisch, wirken Therapien nur sehr eingeschränkt. Medikamente gegen neuropathische Schmerzen wie z. B. Opioide, Antikonvulsiva (Carbamazepin, Gabapentin, Pregabalin) oder Antidepressiva (Amitriptylin), die die Schmerzwahrnehmung verändern sollen, haben oft eine unzureichende Wirkung bei gleichzeitig starken Nebenwirkungen.

Forscher finden Ansatz, Neuropathien einzudämmen

Lässt sich der dauerhafte Nervenschmerz nicht eindämmen, leiden Betroffene häufig unter einer großen Einschränkung ihres alltäglichen Lebens. Sie können ihren Beruf nicht mehr ausüben und vernachlässigen Freizeitbeschäftigungen und Freundschaften. Die Folgen sind Isolation, Resignation und Depression. Es ist also extrem wichtig, Nervenschmerzen frühzeitig zu erkennen und zu unterbinden. Die Forscher am Institutsteil Translationale Medizin und Pharmakologie TMP des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME haben einen Weg gefunden, die Entwicklung und das fortschreitende Verschlimmern von Neuropathien einzudämmen.

Wenn Immunzellen zum Feind werden

Die Forschergruppe des Fraunhofer IME in Frankfurt beschäftigt sich mit alternativen Therapien für die frühzeitige Behandlung von Nervenschmerzen. Besonders bei trauma-induzierten Schmerzen durch eine Verletzung der Nervenfasern werden, so konnte das Team nachweisen, verschiedene Lipide freigesetzt. Die Lipide dienen als Signalstoffe, die Immunzellen im Körper dorthin locken sollen, wo sie gebraucht werden.

„Die Nerven schlagen Alarm und setzen Lipide frei, um dem Immunsystem zu signalisieren, dass eine Verletzung vorliegt und die Ursache beseitigt werden muss“, sagt Prof. Dr. Klaus Scholich, Gruppenleiter Biomedizinische Analytik und Imaging am Fraunhofer IME. „Bei neuropathischen Schmerzen werden die angelockten Immunzellen nach einiger Zeit zum Feind. Sie interagieren derart mit den Nerven, dass die betroffenen Areale permanent entzündet sind. Die Nervenschmerzen können nicht mehr abflauen, sie werden chronisch. Indem wir Signalwege unterbrechen, die Immunzellen anlocken, können wir die Schmerzen deutlich verringern.“

Sind Ibuprofen und Diclofenac der Durchbruch?

Dieser Signalweg und die dauerhafte Entzündung lasse sich durch den rechtzeitigen Einsatz von Schmerzmitteln, wie beispielsweise Ibuprofen oder Diclofenac, unterbrechen. Die Wirkstoffe sorgen dafür, dass die Herstellung von bestimmten Prostaglandinen gehemmt wird. Prostaglandine sind Lipide, die natürlicherweise im Körper vorkommen und dort für Schmerzen und Entzündungserscheinungen sorgen, um von der defekten Stelle über die Nervenfasern ans Gehirn das Signal zu senden, dass etwas nicht stimmt.

„Sie haben also trotz des unangenehmen Gefühls, das sie hinterlassen, in den meisten Fällen eine schützende Funktion. Kommt es allerdings zu einer überschießenden Reaktion, bei der immer und immer wieder Signalstoffe ausgeschüttet werden, ist das Ergebnis eine chronische Entzündung. Die Prostaglandine locken an verletzten Nerven auch Immunzellen an und sorgen dafür, dass weitere entzündungs- und schmerzfördernde Substanzen – hier besonders das Chemokin CCL2 zu nennen – an dieser Stelle freigesetzt werden. Hemmt man dieses CCL2, kann man die Schmerzentstehung an den Nervenfasern deutlich verringern“, erläutert Prof. Scholich. Das CCL2 ließe sich mit therapeutischen, spezifischen Antikörpern abfangen. Diese Antikörper könnten bei chronischen Schmerzen zum Einsatz kommen, wenn herkömmliche Schmerzmittel nicht mehr wirken. Der Nachteil: Antikörper müssen gespritzt werden. Da dies von den meisten Patienten als unangenehm empfunden wird, forschen Scholich und seine Kolleginnen und Kollegen an alternativen Wirkstoffen, die sich oral verabreichen lassen.