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Welche Säuglingsnahrung für wen?

Vater hält Baby in dem Arm und füttert es mit einem Fläschchen
Säuglinge, die nicht gestillt werden, benötigen Formulanahrung – hier ist die Auswahl riesig. Pre, 1, 2, 3, HA, AR, HN – was ist wofür? | Bild: o_lypa / AdobeStock

Industriell gefertigte Säuglingsnahrung ist nicht „neu“. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts kamen sogenannte "Kindermehle" auf den Markt, um die damals hohe Säuglingssterblichkeit einzudämmen. In die Kritik geriet die Babyfertignahrung erst in den 1970er-Jahren. 

Grund dafür war, dass die großen Hersteller von Babynahrung so aggressive Werbung gemacht haben, dass die Stillrate in Entwicklungsländern sank. In Folge dessen kam es dort durch die Zubereitung der Nahrung mit verunreinigtem Trinkwasser zu einer erhöhten Säuglingssterblichkeit. 

Den Herstellern wurde unter anderem vorgeworfen, die Mütter zu verunsichern, indem sie durch massive Werbung und durch Gratisproben suggerierten, dass Fertigprodukte besser für das Baby seien als die Muttermilch. 

Muttermilchersatzprodukte unterliegen WHO-Kodex

1981 wurde als Reaktion auf diese Entwicklungen der „Internationale Kodex für die Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten“, von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verabschiedet und von 118 WHO-Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, unterschrieben. 

Der Kodex stellt Regeln für den kommerziellen Umgang und die Bewerbung von industriell gefertigter Säuglingsnahrung (Pre- oder Anfangsnahrungen, Folgenahrungen 1 + 2/ab Geburt bzw. 6. Monat, Spezialnahrungen) sowie für Getränke (Babywässer, Tees), Beikost, Babyfläschchen und Sauger auf und soll Herstellern, aber auch Gesundheitseinrichtungen als Leitfaden und Empfehlung im Umgang mit Werbung und Marketing für die genannten Produkte dienen. 

Die Überwachung der Anwendung des Kodex obliegt den Regierungen der Unterzeichner-Staaten. Auch innerhalb der EU gibt es Richtlinien für die Werbung für Muttermilchersatzprodukte, die durch nationale Gesetze umgesetzt werden. Verboten bzw. stark eingeschränkt ist in Deutschland die Werbung für Pre- und Folgenahrung 1 für Kinder unter zwölf Monaten, also jene Produkte, die in direkte Konkurrenz zur Muttermilch treten könnten.

WHO wirft Firmen skrupelloses Marketing bei Babynahrung vor

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wirft Herstellern von Babynahrung „skrupellose Vermarktung“ vor, die gezielt Schwangere und junge Mütter verunsichere. Die Hersteller manipulierten Eltern und Gesundheitspersonal, hieß es in einer Studie der WHO und des UN-Kinderhilfswerks Unicef. So würden irreführende oder wissenschaftlich nicht fundierte Behauptungen aufgestellt, um Mütter dazu zu bringen, Babys Säuglingsnahrung statt Muttermilch zu geben.

Die Industrie war 2019 der Studie zufolge 55 Milliarden Dollar (48 Mrd. Euro) wert. Während die Stillquote in den vergangenen 20 Jahren leicht angestiegen sei, habe sich im gleichen Zeitraum der Umsatz der Säuglingsnahrungshersteller fast verdoppelt. Es gebe rund ein halbes Dutzend große Unternehmen, sagte Nigel Rollins, bei der WHO zuständig für Mutter-Kind-Gesundheit. Ihre Praktiken seien ähnlich. Einzelne Firmen werden nicht genannt. 

Es gehe der WHO nicht darum, Babynahrung aus den Verkaufsregalen zu verbannen, betonte Rollins. Manche Säuglinge brauchten diese Nahrung. In der Studie gehe es nur um Vermarktungsmethoden, die Mütter, die eigentlich stillen wollten und könnten, manipulierten. „Soll die Geburt eines Kindes wirklich eine Angelegenheit für kommerzielle Geschäfte sein?“, sagte Rollins. Die Studie vergleicht die Vermarktung von Säuglingsnahrung mit der von Tabak oder Glücksspielangeboten, „bei denen der Verkauf Vorrang vor der Gesundheit und Entwicklung des Kindes hat“, wie es heißt.

Firmen starteten oder infiltrierten Müttergruppen in sozialen Medien, um Babynahrung zu propagieren, heißt es in der Studie. Gesundheitspersonal werde etwa bei Konferenzen oder durch Broschüren mit zweifelhaften Informationen versorgt, die sie oft an Mütter weitergäben: etwa, dass Babys mit Säuglingsnahrung länger schliefen, dass Muttermilch mit der Zeit an Qualität verliere oder dass bestimmte Produkte Allergien vorbeugen könnten. Manchmal erhielten sie eine Provision von Firmen, wenn sie Kundinnen rekrutierten. Quelle: dpa / 23.02.2022 

Säuglingsnahrung: Ziffern, Bezeichnungen und Namen

Das Angebot an Säuglingsnahrung ist groß. Pre-Nahrung, Anfangsnahrung, 1er, 2er, 3er-Folgemilch, Kindermilch, HA-Anfangsnahrung, AR-Nahrung – was für wen? 
 

Pre-Nahrung enthält als einziges Kohlenhydrat Lactose. Das enthaltene Eiweiß ist in einem speziellen Verfahren adaptiert und kommt so der Muttermilch in ihrem Aufbau am nächsten. Pre-Nahrung ist – ähnlich wie Muttermilch – gut und schnell verdaulich und darf immer nach Bedarf gefüttert werden (ad libidum). 

Die Inhaltsstoffe der beiden Säuglings-Anfangsmilchen (Pre und 1) sind, so gut es geht, an den Nährstoffgehalt der Muttermilch angepasst. Um hierbei eine einheitliche Qualität sowie eine hohe Nahrungsmittelsicherheit zu gewährleisten, sind diese Fertigmilchen nach den Empfehlungen der europäischen Ernährungskommission ESPGHAN in der EG-Richtlinie (91/321/EWG) europaweit eindeutig definiert. Aufgrund der optimal an die Muttermilch adaptierten Nährstoffzusammensetzungen kann die „Pre“-Milch von Anfang an und beliebig lange während des gesamten ersten Lebensjahres verwendet werden. 

Die Anfangsmilch mit der Ziffer 1 ist sämiger und soll so für ein verbessertes Sättigungsgefühl mittels der Zugabe von Stärke oder Maltodextrin als weitere Kohlehydratquellen zum Milchzucker sorgen. Im Übrigen ist sie als Säuglingsanfangsnahrung ebenfalls an die natürlichen Nährstoffgehalte der Muttermilch adaptiert und daher ebenso noch nach dem sechsten Lebensmonat und bis zum Ende des Flaschenalters ausreichend.

Folgemilch – ab wann?

Säuglingsnahrung mit der Ziffer 2 ist weniger gut an die Muttermilch angepasst und daher vor dem vierten Lebensmonat nicht geeignet. Der Folgemilch werden neben der Lactose Stärke und verschiedene Kohlenhydrate (wie Glucose, Maltose oder Kristallzucker) zugesetzt. Der Proteingehalt und die Eiweißzusammensetzung werden in unphysiologischer Weise erhöht, bei einer eher geringen Erhöhung der Gesamtkalorienmenge. 

Nahrung mit der Ziffer 3 wird ab dem achten Lebensmonat beworben. Um das Kleinkind zufriedener zu machen, wird die Kalorienzahl auf bis zu 80 kcal/100 ml erhöht und oft süße oder fruchtige Geschmacksstoffe zugeführt. 

Insgesamt soll Folgemilch für ein verbessertes Sättigungsgefühl sorgen. Die Folgemilchen sind im Vergleich mit den beiden Anfangsnahrungen weniger gut an die Qualität der Muttermilch angepasst. 

Der hohe Eiweißanteil kann die Ausscheidungsorgane belasten und zu längerfristigen Veränderungen im Gesamtstoffwechsel führen. Werden die Folgemilchen nicht strikt beschränkt, können sie zudem zu Übergewicht führen, das sich häufig auch langfristig manifestiert.

HA-Nahrung nur bei Allergierisiko

Wenn Eltern oder Geschwister unter Allergien leiden und das Baby nicht voll gestillt wird, kann auf die sogenannte HA-Nahrung zurückgegriffen werden. HA steht für hypoallergen, also weniger allergieauslösend. 

HA-Nahrungen gibt es auch als Pre- und 1er-Nahrungen. Diese sollte bis zur Einführung der Beikost verwendet werden. Sobald das Kind Beikost erhält, kann wieder auf herkömmliche Säuglingsnahrung zurückgegriffen werden.

Spezialnahrungen AR und HN

Viele Säuglinge spucken einen Teil der aufgenommenen Nahrung kurz nach dem Trinken wieder aus. Das ist normal, muss aber vom Krankheitsbild des Gastroösophagealen Refluxes abgegrenzt werden. Hier ist der Reflux, also das Zurückfließen der Nahrung, so groß, dass die Kinder ständig größere Mengen erbrechen, und bedarf ärztlicher Behandlung. Dieser kann dann die Verwendung von Spezialnahrung empfehlen, zu der auch die Anti-Reflux (AR)-Nahrung gehört. 

AR-Nahrung wird Johannisbrotkernmehl, ein natürlicher Quellstoff, zugesetzt. Dieser macht die Nahrung besonders sämig und soll dafür sorgen, dass sie besser im Magen bleibt und der Rückfluss in die Speiseröhre vermindert wird. 

Sogenannte Heilnahrung (HN) mit einer bestimmten bedarfsdeckenden Menge an Mineralstoffen, Spurenelementen und Vitaminen kann zum Kostaufbau und zur Normalisierung bei Durchfällen und Erbrechen nach ärztlicher Empfehlung eingesetzt werden.