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Das erste „Gepant“ gegen Migräne: Migränetherapie: Rimegepant kurz vor der Zulassung

Rimegepant soll sowohl bei akuten Attacken als auch zu Vorbeugung von Migräne helfen. | Bild: fizkes / AdobeStock

Der erste Wirkstoff der „Gepante“ steht kurz vor EU-Zulassung: Am 24. Februar empfahl der Humanarzneimittelausschuss der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA), das CHMP, Rimegepant in VyduraTM zuzulassen – und zwar sowohl zur Akuttherapie bei Migräne als auch zur Prophylaxe. 

Folgt die Europäische Kommission der EMA-Zulassungsempfehlung, was sie in der Regel tut, kommt mit Rimegepant zum einen der erste orale CGRP-Rezeptorantagonist gegen Migräne in die EU. Und zum anderen kommt damit auch das einzige Arzneimittel, das sowohl zur Akuttherapie von Migräne als auch zur Vorbeugung von Attacken angewendet werden darf. Antragsteller der Zulassung ist Biohaven Pharmaceutical Ireland.

Rimegepant zur Akutbehandlung und Vorbeugung

VyduraTM wird (erstmal) nur Erwachsenen zur Verfügung stehen, und zwar in einer Dosierung von 75 mg. Das vollständige Anwendungsgebiet lautet:

  • Akute Behandlung von Migräne mit oder ohne Aura bei Erwachsenen;
  • Vorbeugende Behandlung der episodischen Migräne bei Erwachsenen, die mindestens vier Migräneanfälle pro Monat haben.

Nähere Informationen sollen nach erfolgter Zulassung verfügbar werden. Mehr Daten zur Anwendung findet man bereits in der US-amerikanischen Fachinformation – in den Vereinigten Staaten ist Rimegepant bereits auf dem Markt. 

Auch dort liegt die empfohlene Dosierung bei akuter Migräne bei 75 mg „je nach Bedarf“, jedoch maximal eine Tablette pro Tag. Die Sicherheit ist laut der amerikanischen Fachinformation für 18 Dosen pro Monat gezeigt. Um Migräneattacken vorzubeugen, sollen Migränepatienten jeden zweiten Tag eine Tablette à 75 mg einnehmen.

VyduraTM: Schnelle Wirkung durch Schmelztablette

VyduraTM gibt es als Schmelztablette, was die Anwendung für die Migränepatienten erleichtert und bei akuten Attacken für eine rasche Wirkung sorgen dürfte. Die EMA stützt ihren positiven Bescheid zu Rimegepant auf Ergebnisse von mehreren Phase-3-Studien, einer offenen Sicherheitsstudie (Akutbehandlung) sowie einer Phase-3-Studie, in der Biohaven die Wirksamkeit von Rimegepant in der Migräneprophylaxe untersuchte.

CGRP bislang nur von Migräne-Antikörpern zur Prophylaxe genutzt

Zwar ist Rimegepant nun der erste Vertreter einer neuen Wirkstoffklasse bei Migräne, das Ziel der „Gepante“ wird in der Migränebehandlung – besser gesagt in der Prophylaxe – jedoch bereits seit Jahren genutzt: CGRP – Calcitonin Gene-Related Peptide –, der Angriffspunkt der seit 2018 verfügbaren Migräne-Antikörper Erenumab (Aimovig®), Fremanezumab (Ajovy®), Galcanezumab (Emgality®) und Eptinezumab (Vyepti®). 

CGRP spielt eine Schlüsselrolle bei der Entstehung von Migräne. Die Antikörper binden entweder CGRP direkt (Eptinezumab, Fremanezumab, Galcanezumab) oder neutralisieren den CGRP-Rezeptor (Erenumab). Dieser ist auch Angriffspunkt von Rimegepant. Die Folge: Die CGRP-vermittelte Migräne-Kaskade wird gehemmt. 

Anders als die Migräne-Antikörper, die alle subkutan oder intravenös verabreicht werden, kann Rimegepant als schnell lösliche Tablette oral eingenommen werden. 

Rimegepant: Schneller schmerzfrei bei akuten Migräneattacken

Unter anderem konnte Biohaven in einer im „The Lancet“ veröffentlichten Studie(„Efficacy, safety, and tolerability of rimegepant orally disintegrating tablet fort the acute treatment of migraine: a randomised, phase 3, double-blind, placebo-controlled trial“)  zeigen, dass Migränepatienten nach Rimegepant (n = 669) schneller schmerzfrei waren als nach Placebogabe (n = 682): Jeder fünfte Rimegepantteilnehmer (21 Prozent) berichtete zwei Stunden nach Tabletteneinnahme über Schmerzfreiheit, während es in der Placebogruppe nur jeder zehnte (11 Prozent) war. 

Auch waren mehr Patienten nach zwei Stunden frei von den am meisten störenden Begleiterscheinungen einer Migräne (Übelkeit, Licht- und Lärmempfindlichkeit), wenn sie Rimegepant statt Placebo erhalten hatten (35 Prozent vs. 27 Prozent). 

Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählten Übelkeit (Rimegepant: 2 Prozent; Placebo: 1 Prozent) und Harnwegsinfektionen (Rimegepant: 1 Prozent; Placebo: 1 Prozent) 

Wie gut beugt Rimegepant Migräne vor?

Der Zulassung zur Prophylaxe von Migräne liegt eine doppelblinde, randomisierte placebokontrollierte klinische Phase-3-Studie mit einer Open-Label-Erweiterung zugrunde. In dieser Studie profitierten die Migränepatienten stärker von Rimegepant als von einer Placebotherapie (Überlegenheit): Mit Rimegepant behandelte Patienten (n = 373) litten neun bis zwölf Wochen nach Beginn der medikamentösen Prophylaxe durchschnittlich 4,3 Tage weniger pro Monat an Migräne. Bei Placebopatienten hatten sich die monatlichen Migränetage um 3,5 Tage reduziert. 

Laut Biohaven ging unter Rimegepant auch bei etwa der Hälfte der Migränepatienten die Zahl der schweren und mittelschweren Migränetage pro Monat um 50 Prozent oder mehr zurück. 

Hinsichtlich der Nebenwirkungen waren Rimegepant und Placebo vergleichbar: In beiden Studiengruppen berichte rund jeder Dritte (36 Prozent) über unerwünschte Ereignisse. Allerdings brachen mehr Rimegepant-Studienteilnehmer die Untersuchung aufgrund von Nebenwirkungen ab (2 Prozent vs. 1 Prozent). 

Die Studie erschien im Dezember 2020 im Fachjournal „The Lancet(„Oral rimegepant for preventive treatment of migraine: a phase2/3, randomised, double-blind, placebo-controlled trial“) .

Die EMA sieht zusammenfassend „die Schmerzlinderung bei akuter Migräne und die Verringerung der monatlichen Migränetage in Studien zur Vorbeugung“ als Vorteile einer Therapie mit Rimegepant und begründet damit ihre Zulassungsempfehlung.

Migräne-Antikörper Eptinezumab hilft auch bei akuter Migräne

Dass die Blockade des CGRP-Systems sowohl in der Prophylaxe als auch der Akutbehandlung effektiv sein kann, darauf lieferte bereits der ausschließlich zur Vorbeugung von Migräneanfällen zugelassene Antikörper Eptinezumab Hinweise. Denn: Eptinezumab half in Studien auch bei akuten Attacken – die Patienten waren schneller und häufiger kopfschmerzfrei, sie benötigten weniger ihrer Akutmedikation, und auch neue Migräneanfälle traten später auf. 

Grund für die rasche Linderung auch im Akutfall könnte die intravenöse Verabreichung von Eptinezumab sein (alle anderen Migräne-Antikörper spritzen die Migränepatienten subkutan).

Ist Rimegepant besser als die Migräne-Antikörper?

Interessant ist auch die Frage: Wirkt der orale CGRP-Rezeptorantagonist besser in der Migräneprophylaxe, als es die bereits angewendeten Migräne-Antikörper tun? 

Eine Studie, die Rimegepant direkt gegen einen oder mehrere CGRP-Antikörper oder CGRP-Rezeptor-Antikörper untersucht, fehlt derzeit. Doch kann man versuchen, Daten aus unterschiedlichen Studien miteinander zu vergleichen, was zwar fehleranfälliger ist, aber zumindest Hinweise zu der Fragestellung liefern kann. 

Eine solche Analyse veröffentlichten Wissenschaftler im Mai 2021 im Fachjournal „Headache(„Matching-adjusted indirect comparisons of oral rimegepant versus placebo, erenumab, and galcanezumab examining monthly migraine days and health-related quality of life in the treatment of migraine“) . Sie verglichen Daten zu Rimegepant mit Studiendaten von Erenumab (STRIVE-Studie) und Galcanezumab (EVOLVE-Studie). Die Ergebnisse: Rimegepant (75 mg alle zwei Tage) beugte Migräne besser vor als Placebo und war Erenumab und Galcanezumab zumindest nicht unterlegen.

Rimegepant: Zwei-Schritt-Zulassung in den USA

Die FDA ließ Rimegepant in den Vereinigten Staaten bereits am 27. Februar 2020 zu, und zwar zunächst ausschließlich zur Akuttherapie der Migräne. Im Jahr darauf, am 27. Mai 2021, erweiterte die FDA das Anwendungsgebiet. Seither dürfen Migränepatienten Rimegepant auch einnehmen, um Migräneattacken vorzubeugen

Nurtec® ODT 75 mg – so lautet der Handelsname des Migränepräparats in den Vereinigten Staaten – war auch in den USA der erste orale CGRP-Antikörper in der Prophylaxe von Migräne und das einzige Mittel, mit dem Migräniker sowohl akute Migräneanfälle behandeln können als auch neuen Attacken vorbeugen. Daneben dürfen bereits Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emirate und Israel Rimegepant einsetzen, allerdings (bislang) nur zur Akuttherapie.

Pfizer hat Vermarktungsrechte

Anfang dieses Jahres einigten sich Pfizer und Biohaven zu den Vermarktungsrechten von Rimegepant: Pfizer verfügt über die Vermarktungsrechte für Rimegepant in Märkten außerhalb der USA. Biohaven ist weiterhin weltweit für die Forschung und Entwicklung zuständig und behält die Rechte für den US-Markt.