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Corona, Grippe, Magen-Darm und Co.: Wie man Krankheiten im Abwasser finden kann

Können vermehrte Abwasseranalysen dabei helfen, Krankheitserreger und bevorstehende Krankheitswellen aufzuspüren? | Bild: Felipe Caparrós / AdobeStock

Derzeit brechen mehrere Infektionswellen über Deutschland herein. Neben Influenza und Corona führt auch das Respiratorische-Synzytial-Virus (RSV) zu steigenden Krankmeldungen und Hospitalisierungszahlen. Die letzten Untersuchungen des Abwassers zeigen einen dramatischen Anstieg der SARS-CoV-2-Konzentration. 

Neben dem R-Wert und der 7-Tages-Inzidenz hat sich die Messung der Virenlast im Abwasser als wertvolle Ergänzung bei der Trendermittlung in einer Infektionswelle erwiesen, auf die gegenwärtig verstärkt zurückgegriffen wird. Das Verfahren ist langjährig erprobt, jedoch hat sich die Anwendung in der Epidemieforschung erst in den letzten Jahren etabliert. Das überregionale Abwassermonitoring wurde im Zuge der Corona-Pandemie in Deutschland implementiert.

Infektionswelle per Abwassermonitoring ablesen

„Während Umweltmonitoring in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckt, entsteht in den USA bereits ein neuer Industriezweig“, sagt der Molekularbiologe Markus Landthaler vom Max-Delbrück Centrum für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin. Er erzählt von neuen Start-ups, die etwa Abwassermonitoring für Kommunen anbieten.  

Aus den gemessenen Viruskonzentrationen lassen sich Trends von Infektionswellen ablesen. Und das laut Experten viel früher als mit Meldezahlen. Auch fielen Verzerrungen durch das Testen weg: Während nur manche Infizierte zum Arzt oder ins Testzentrum gehen, muss nun mal jeder zur Toilette.

Corona-Dashboards basierend auf Abwasser 

Das haben sich in der Pandemie schon manche Länder zunutze gemacht: Bürger in Österreich und den Niederlanden zum Beispiel können sich im Internet anschauen, wie sich die Lage regional entwickelt. Dort wird Abwasser vielerorts auf Corona gecheckt

Susanne Lackner, Professorin im Fachgebiet Wasser und Umweltbiotechnologie der TU Darmstadt, arbeitet in einem EU-geförderten Pilotprojekt zu Abwassermonitoring mit 20 Standorten bundesweit. 28 weitere seien integriert über eine Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Basierend auf diesen 48 soll die Ausweitung erfolgen. Schon jetzt laufen auch noch Extra-Projekte in manchen Bundesländern.  

Wie sehen die Schritte im Labor aus?

Der Ablauf der Analyse unterscheidet sich etwas von Labor zu Labor, ist Fachleuten zufolge aber keine Zauberei. „Jedes einigermaßen ausgerüstete Labor könnte diese Art von Untersuchung machen“, sagt der Molekularbiologe Emanuel Wyler aus der MDC-Arbeitsgruppe von Landthaler. Im Labor der Sicherheitsstufe 2 lässt er sich, gekleidet in Maske, Schutzkittel und -handschuhe, bei den Arbeitsschritten über die Schulter schauen.  

Seit anderthalb Jahren werden hier in Berlin-Mitte regelmäßig Abwasserproben aus der Hauptstadt unter die Lupe genommen. Den Forschenden geht es nicht mehr nur vorrangig um aktuelle SARS-CoV-2-Nachweise, sondern um das größere Bild. Dutzende Erreger sind im Blick. 

Die Abwasserprobe gießt Wyler zunächst in zwei becherartige Behälter, um groben Schmutz herauszufiltern. Übrig bleibt ziemlich klares Wasser, das leicht müffelt. Dann fügt der Forscher winzige Eisenkügelchen hinzu: „Daran binden Erreger, die im Abwasser enthalten sind“, sagt der Forscher. Deren Erbinformation wird mithilfe einer Zentrifuge extrahiert. Dann folgt ein PCR-Test, genau wie bei Corona-Nasen- und -Rachenabstriche. So wird geprüft, ob ein Erreger vorhanden ist und in welcher Menge.

Abwasserdaten liefern ein besseres Virusbild

Ob sich ein einziger Infizierter in einer Millionenstadt aufhält, kann man auf diese Weise nicht herausfinden. Je nach Messmethode und Virusvariante gilt das Verfahren aber als sehr empfindlich: „Bereits Anfang 2020 haben wir in Leipzig bei einer Inzidenz von fünf Fällen pro 100.000 Einwohner Abwasser positiv getestet“, sagt René Kallies vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. Wyler spricht bei Omikron von einer Nachweisschwelle bei einer Inzidenz von rund 50. Umgekehrt ist zu bedenken: Nicht alle Infizierten scheiden gleich viel Virus aus. Abwassermonitoring erlaubt daher keine Inzidenz-Berechnung.

Oft heißt es, es handle sich um ein Frühwarnsystem. Mit dem Begriff hadert Expertin Lackner. „Es ist ja keine Methode, die voraussagt, was kommt.“ Vielmehr sehe man den Ist-Zustand. „Der Vorteil ist, dass sich die Dynamik sehr schnell erfassen lässt. Abwasserdaten würden helfen, endlich vor die Welle zu kommen, statt der Entwicklung immer nur nachzulaufen“, sagt die Professorin. Auch zunehmend vorkommende Mutationen seien erkennbar. „Wir können das komplette Virusgenom im Abwasser nachweisen.“ So könne man auch zu einem besseren Bild der vorkommenden Virusvarianten kommen. Analysen dazu werden bisher nur bei sehr wenigen positiven PCR-Abstrichen gemacht.  

Was sich aus Abwasserdaten ableiten lässt 

Wenn es eine Art Wetterbericht für die regionale Verbreitung etwa von Corona gäbe, könnten Menschen ihr Verhalten anpassen, argumentierten Forschende. Verschlechtere sich die Lage, könne man eher im Homeoffice bleiben oder sich für eine FFP2-Maske beim Einkaufen entscheiden. Bisher habe kein Land einen idealen Weg gefunden, mit den Abwasserdaten umzugehen, meint Kallies. Er lässt nicht unerwähnt, dass das Schmutzwasser auch sensible Infos birgt: Mit entsprechender Probenentnahme ließen sich Hotspot-Kieze finden.

Die Stadt Köln ist einer der 20 Pilotstandorte im Abwasserprojekt. Dort lagen erste Auswertungen schon vergangenen Herbst und Winter vor. Der Leiter des Gesundheitsamts Johannes Nießen ist überzeugt vom Nutzen als Zusatzindikator, wie er sagt. Die Stadt sei so früher vorbereitet gewesen, auch um über Maßnahmen zu entscheiden.  

Die Erreger-Vielfalt in der Umwelt verstehen 

Eine einzelne Probe bei Wyler im Labor indes erlaubt keine schnelle Auskunft über die Lage, wie der Forscher sagt. Es brauche den Kontext der Messreihe, um Trends zu erkennen. Für Wyler und seine Kollegen in der Grundlagenforschung steht die eigentliche Arbeit ohnehin noch bevor: Daten am Computer auswerten. Schlussendlich gehe es bei ihrer Forschung darum, die Vielfalt der Viren und Bakterien in der gesamten Natur zu verstehen und möglichst frühzeitig zu erkennen, ob etwas für Menschen gefährlich werden könnte.

Da sich das Monitoring in der Pandemie bewährt hat, werden Forderungen nach einer Ausweitung des Verfahrens lauter. So wird bereits in vielen Ländern auch nach Polioviren gefahndet, im August 2022 konnte so ein Polio-Ausbruch in London registriert werden. Das California Department of Public Health hat bereits RSV und Influenza-Viren im Abwasser erfasst, auch das mPox-Virus ist laut dem New England Journal of Medicine im Abwasser nachweisbar. Ebenso kann das Influenza-A-Virus auf diese Weise gemessen werden. Quelle: dpa / vs / daz.online